Portfolio Wehrpflicht
Einführung ins Thema
Am 20. Jänner 2013 wird in
Österreich eine Volksbefragung zur Wehrpflicht durchgeführt. Das Ergebnis der
Befragung muss danach von der Regierung verpflichtend umgesetzt werden. Die
Fragen lauten:
a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres
und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?
oder
b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen
Wehrpflicht und des Zivildienstes?
Diese Volksbefragung wurde notwendig,
weil sich die Regierungsparteien (SPÖ und ÖVP) nicht auf eine gemeinsame Vorgangsweise
bei der dringend notwendigen Heeresreform einigen konnten. Nun sollen die
Bürgerinnen und Bürger entscheiden.
Wehrpflicht bedeutet, dass alle
männlichen Bürger eines Staates verpflichtet sind, eine bestimmte Zeit lang als
Soldaten in der Armee ihres Landes zu dienen. Eine solche Wehrpflicht gibt es
in vielen Ländern, aber in letzter Zeit überlegen mehrere Staaten ein Berufsheer
einzuführen. In der Geschichte gibt es eine allgemeine Wehrpflicht erst seit
relativ kurzer Zeit. In früheren Zeiten mussten Soldaten meistens angeworben
werden.
Unter Kaiser Franz Joseph I.
wurde 1866 in Österreich eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt, d.h. alle
Männer waren verpflichtet, eine Zeit lang als Soldaten dem Kaiser zu dienen. Durch
den Friedensvertrag nach dem 1. Weltkrieg (1919) wurde Österreich zu einer
Demokratie und das erste österreichische Bundesheer wurde eingeführt. 1934 kam
es zu einem Bürgerkrieg, in dem das Bundesheer gegen die bewaffneten Verbände
der Sozialdemokraten (Schutzbund) kämpfte. 1936 wurde in Österreich die
allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. 1938 wurde das Bundesheer in die deutsche Wehrmacht eingegliedert. 1955
durfte Österreich wieder ein eigenes Bundesheer haben und die allgemeine
Wehrpflicht wurde wieder eingeführt. Seit 1975 gibt es für alle, die das Bundesheer
ablehnen, den Zivildienst. Das ist ein Ersatzdienst in einer sozialen Einrichtung. Seit 1960 nimmt
das Bundeheer an internationalen, friedenserhaltenden Einsätzen teil (z.B. in
Zypern, auf den Golanhöhen oder vor kurzem im Tschad). Unter
Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) hat eine Kommission 2004
einschneidende Reformvorschläge für das Bundesheer erarbeitet. Diese konnten
nur zu einem kleinen Teil umgesetzt werden.
Die SPÖ war lange Zeit strikt
gegen ein Berufsheer. Erst im Jahr 2010 hat sich der Wiener Bürgermeister
Michael Häupl (SPÖ) für ein Überdenken der Wehrpflicht ausgesprochen. Vor allem
der Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) ist für den Umstieg auf ein
Berufsheer. Aber die SPÖ ist sich nicht einig. Der Bundespräsident Heinz
Fischer (SPÖ) möchte keine Veränderung des derzeitigen Zustandes.
Die ÖVP, die früher für ein Berufsheer
war, ist für die Beibehaltung der Wehrpflicht, die sich ihrer Meinung nach sehr
bewährt hat. Der gleichen Meinung ist die FPÖ. Die GRÜNEN bezeichnen die
Wehrpflicht als überflüssig und überholt.
1.
Artikel
Die Wehrpflicht und das Stockholmsyndrom
(Format-Trend, online, 23.12.2012)
In diesem Artikel ist Robert Prazak verwundert
darüber, dass nach Meinungsumfragen eine deutliche Mehrheit der
österreichischen Bevölkerung für die Beibehaltung der Wehrpflicht stimmen wird. Das findet er deshalb erstaunlich, weil viele
Menschen in Österreich entweder selbst schlechte Erfahrungen beim Bundesheer
gemacht haben, oder von jemandem darüber gehört haben. Weil der Dienst mit der Waffe oft mit
Schikanen verbunden ist, müssten viele für die Abschaffung des Bundesheers
stimmen. Doch offenbar sehen die meisten
der ehemaligen Bundesheersoldaten mittlerweile jene Kasernenzeit positiv. Der
Autor vergleicht das mit dem sogenannten Stockholm-Syndrom (die Bezeichnung
geht zurück auf eine Geiselnahme 1973 in Stockholm, bei der sich die Geiseln
überraschender Weise mit den Verbrechern angefreundet hatten.) Die damals
schlecht behandelten jungen Männer empfinden heute die soldatischen Erlebnisse
als etwas Positives, oder zumindest als eine Erfahrung, die niemandem schaden
kann – Disziplin, Kameradschaft und körperliche Ertüchtigung hat die heutige
Jugend angeblich ohnehin nötig. Prazak vermutet allerdings, dass weniger der Glaube,
der Wehrdienst in seiner derzeitigen Form könnte einen sinnvollen Erziehungsbeitrag
leisten, sondern Schadenfreude
ausschlaggebend für die Zustimmung zur Wehrpflicht sein dürfte: Warum
sollte jetzt Anderen erspart werden, was ich selbst durchmachen musste?
Mein Kommentar: Die Menschen, die ihren Militärdienst als eine
positive Erfahrung darstellen, kann man tatsächlich kaum ernst nehmen, wenn man
auf der anderen Seite hört, wie es in den österreichischen Kasernen oft zugeht.
Ein wichtiges Argument für die Abschaffung der Wehrpflicht ist, dass es der
Regierung trotz vielfacher Bemühungen bisher nicht gelungen ist, den
Präsenzdienst grundlegend zu reformieren und zu modernisieren. Wieso sollte das
also überhaupt jemals gelingen? Dann darf diese sogenannte Ausbildung aber auch
nicht mehr verpflichtend für alle jungen Männer sein, die mehr Schaden als
Nutzen für diese mit sich bringt.
2.
Artikel
„Was wir brauchen, ist eine Bürgerdienstpflicht“ (OÖ-Nachrichten,
28.12.2012)
Dieser Artikel ist ein Interview mit Ernst Lattner,
der in der Lebenshilfe-Arbeitsgruppe Steyr tätig ist. Lattner lehnt die
Fragestellung an das österreichische Volk zum Thema Wehrpflicht ab. Er ist der
Überzeugung, dass nur eine generelle Bürgerdienstpflicht, die jede Bürgerin und
jeder Bürger zu leisten hat, die sozialen Probleme der Zukunft lösen wird.
Überall wird mehr Betreuungspersonal benötigt: in der Alten- und Krankenpflege,
bei den Rettungsdiensten, in der Behindertenversorgung, aber auch bei der
Migrations- und bei der Entwicklungshilfe. Mit einem sozialen Dienst wäre das
auf Dauer möglich, anders kaum, denn wer sollte die Kosten dafür tragen.
Lattner spricht von einem einjährigen Dienst (zur Hälfte Ausbildung, dann
Einsatz), der natürlich auch beim Heer oder im Katastrophenfall abgeleistet werden
kann. Dafür gäbe es aber nur eine geringe Bezahlung. Weder SPÖ noch ÖVP seien für
diese Pläne, aber laut Lattner nehmen sie die sozialen Schwierigkeiten, die auf
uns zukommen, nicht wahr. Der geplante Ersatz für den Zivildienst wird viel zu
wenig bringen, ebenso wie die Kosten für ein Berufsheer falsch eingeschätzt
werden, vermutet er. Deshalb wird er für die Beibehaltung der Wehrpflicht
stimmen, auch wenn eine solche die Probleme der Zukunft noch lange nicht löst.
Mein Kommentar: Es ist sicher schwierig, die Frage der Wehrpflicht
und der Landesverteidigung gleichzeitig mit der der sozialen Betreuung zu lösen.
Vorstellbar sind vielleicht auch ein Berufsheer und dazu ein verpflichtender
Sozialdienst für alle jungen Menschen eines Landes, wenn ein dringender Bedarf
danach besteht.
3. Artikel
Wehrpflicht hat ausgedient (Presse, 30.12.2012)
Norbert Darabos, seit 2007 österreichischer
Verteidigungsminister, bringt in diesem Artikel seine Argumente für die
Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Zuerst erklärt er, dass die Lage
Österreichs „eingebettet in einem friedlichen Europa“ das Bundesheer, wie es
jetzt besteht, nicht mehr nötig macht, im Gegensatz zu früher, als die
politische Lage Europas sehr unsicher war. In diesem Zusammenhang kritisiert er
die ÖVP, die darauf bedacht ist, dass alles so bleibt wie es ist, ohne zu
hinterfragen, ob die jetzigen Bedürfnisse nicht ganz andere sind.
Dann spricht er über wirtschaftliche Aspekte, da die
Einführung eines Berufsheeres 400 Millionen Euro Ersparnis bei den
Personalkosten bedeuten würde. Außerdem erklärt er, worauf bei der Ausbildung
von Berufssoldaten besondere Beachtung gelegt würde, nämlich auf die Fähigkeit
bei Katastropheneinsätzen „auf Knopfdruck“ optimal vorbereitet zu sein. Durch
besondere Anreize wie finanzielle Zuwendungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und
zusätzliche Pensionsbeiträge, ist er sicher genug Soldaten zu bekommen.
Mein Kommentar: Ich finde auch, dass das Bundesheer nun ganz andere Aufgaben
erfüllen muss, als nur die Verteidigung eines Landes, das sich in einer
sicheren Umgebung befindet. Deswegen ist verständlich, dass Darabos für ein
Berufsheer mit neuen Schwerpunkten ist.
4. Artikel
Rote, Grüne und Piraten neigen zum Berufsheer
(Standard, 28.12.2012)
In diesem Artikel geht es um die kommende
Volksbefragung. Wenn diese schon an dem Wochenende bevor dieser Artikel
verfasst wurde, stattgefunden hätte und alle Wahlberechtigten an der Befragung
teilgenommen hätten, wäre das Berufsheer abgelehnt worden, doch es ist nicht
sicher, dass alle der Befürworter der Wehrpflicht motiviert sein, werden zur
Wahl zu gehen. 64 Prozent aller Befürworter der Wehrpflicht gehen davon aus,
dass diese ohnehin beibehalten wird.
Der Artikel behandelt auch die Frage welche
Entscheidungen die Anhänger der einzelnen Parteien treffen werden. Das Ergebnis
wird zu einem großen Teil davon abhängen, welche Gruppe ihre Anhänger gut
überzeugen und motivieren kann. Während die Mehrheit der SPÖ-Wähler zum
Beispiel für ein Berufsheer ist, befürworten 76% der ÖVP-Anhänger hingegen die Wehrpflicht.
Mein Kommentar: Ich bin schon sehr gespannt, wie hoch die
Beteiligung an der Volksbefragung sein wird. Ich kann mir durchaus vorstellen,
dass die Befürworter der Wehrpflicht denken, dass diese, egal ob sie sich an der
Wahl beteiligen oder nicht, beibehalten wird. Ich zweifle auch daran, dass die
Regierung und das Bundesheer für so eine große Veränderung bereit sind.
Mein Standpunkt
Es gibt sowohl für die
Wehrpflicht als auch für das Berufsheer gute Argumente. Daher ist es gar nicht
leicht, sich für eines der beiden eindeutig zu entscheiden. Ich sehe das so:
Wenn man in letzter Zeit Berichte über dieses Thema liest, bekommt man den
Eindruck, dass die Zustände beim Bundesheer sehr schlecht sind. Um die
allgemeine Wehrpflicht zu erhalten, müssten viele Reformen durchgeführt werden,
damit die jungen Männer einen wirklich sinnvollen Dienst leisten und eine brauchbare
Ausbildung erhalten. So eine Reform scheint in Österreich aber kaum möglich zu
sein, weil zwar immer wieder davon gesprochen wird, aber sich dann trotzdem
nichts verändert. Ich glaube nicht, dass innerhalb der nächsten Jahre das
Bundesheer sich wirklich verbessern würde und bin einerseits für die
Abschaffung der Wehrpflicht, da die Zeit beim Bundesheer für die jungen Männer
meistens eine sehr belastende und wenig sinnvolle Zeit ist. Andererseits habe
ich Bedenken, dass hauptsächlich gewaltbereite und nicht sehr vertrauenswürdige
Menschen sich zu einem Berufsheer melden würden. Ein weiteres Problem ist, dass
der mit der Wehrpflicht in Zusammenhang stehende Zivildienst ist für viele
soziale Einrichtungen sehr wichtig ist. Wie sollte man diese Arbeitsleistungen
im Falle eines Berufsheeres ersetzen? Würden sich genügend Menschen für ein
freiwilliges Sozialjahr melden? Kann man sich also wirklich für eins der beiden
eindeutig entscheiden?
Argumente
Für die Wehrpflicht:
1.) Ein bestehendes und (halbwegs)
funktionierendes System sollte nicht geändert werden. Es hat sich bisher
(einigermaßen) bewährt. Ob die Umstellung auf ein Berufsheer gut funktionieren
würde, ist nicht absehbar. Auch die Kostenfrage ist nicht wirklich absehbar.
2.) Werden sehr viele Menschen für die
Landesverteidigung ausgebildet, wie das bei der allgemeinen Wehrpflicht der
Fall ist, stehen im Notfall auch sehr viele Personen zur Verfügung, Aufgaben zu
übernehmen.
3.) Mit dem Präsenzdienst leistet jeder
männliche Staatsbürger einen Beitrag für die Gesellschaft. Das fördert das
Bewusstsein, dass jeder Einzelne an der Erhaltung unseres Staates aktiv mitwirken
sollte.
4.) Der Grundwehrdienst kann eine
erzieherische Funktion haben: Die jungen Menschen lernen Disziplin,
Kameradschaft, Einsatz für Andere, Heimatverbundenheit, usw.
5.) Das Bundesheer ist derzeit auch für
Katastropheneinsätze verfügbar. Unklar ist, ob ein Berufsheer das in diesem
Umfang leisten könnte.
6.) Der mit der Wehrpflicht in Zusammenhang
stehende Zivildienst ist für viele soziale Einrichtungen enorm wichtig. Wie
sollte man diese Arbeitsleistungen im Falle eines Berufsheeres ersetzen? Würden
sich genügend Menschen für ein freiwilliges Sozialjahr melden?
7.) Ein Berufsheer stellt unter Umständen ein
großes Risiko für den Staat dar: wenn nämlich diese konzentrierte militärische
Macht für bestimmte Interessen (z.B. durch eine einzelne politische Partei) missbraucht
wird.
8.) Ein Berufsheer wäre möglicherweise eine
Ansammlung von Möchtegern-Rambos, deren Bereitschaft zur Gewalt auch noch
gefördert würde.
9.) Besteht das Heer aus Berufssoldaten,
könnte es sein, dass nicht mehr ganz so sorgsam mit dem Einsatz dieser Soldaten
umgegangen wird, weil diese sich ja freiwillig und bezahlt der Gefahr stellen.
Dann kann man auch mehr Risiko eingehen.
10.)
Durch die allgemeine Wehrpflicht ist das Heer besser
in der Gesellschaft verankert, weil sehr
viele Menschen daran teilnehmen bzw. teilgenommen haben. Die Menschen im Land würden sich daher
weitaus weniger mit einem Berufsheer identifizieren. Das Heer wäre nicht mehr
Teil der Bevölkerung.
11.)
In vielen europäischen Ländern wurde zwar bereits
auf ein Berufsheer umgestellt. Doch nicht überall ist das besonders erfolgreich
verlaufen.
12.)
Ein Berufsheer tendiert stärker zu Bündnissen mit
anderen Militärverbänden. Das könnte die Neutralität Österreichs in Frage
stellen.
Gegen die Wehrpflicht:
1.) In einem Berufsheer herrscht eine höhere
Leistungsbereitschaft, weil die Soldaten aus freier Entscheidung einen
bezahlten Job übernommen haben und sich mit diesem identifizieren.
2.) Ein Berufsheer kann sinnvoller strukturiert
werden, weil der stetige Wechsel des Personals wegfällt. Dadurch gibt es auch
wesentliche Kostenersparnisse.
3.) Aufgrund der Geburtenentwicklung in
Österreich wird es in Zukunft, bei allgemeiner Wehrpflicht, immer weniger
Präsenzdiener geben, bald schon zu wenig.
4.) Das bestehende Bundesheer ist dringend
reformbedürftig. Weder Ausbildung noch Ausstattung und Organisation sind
derzeit auf einem sinnvollen Niveau.
5.) Die politische Situation hat sich in den
letzten Jahrzehnten stark verändert – eine Kriegsführung im herkömmlichen Sinn
wird immer unwahrscheinlicher (zumindest in Europa). Deshalb ist die allgemeine
Wehrpflicht überflüssig geworden und werden heute die militärischen Aufgaben
viel besser durch ein Berufsheer erfüllt. Die meisten europäischen Länder haben
bereits auf ein solches gewechselt.
6.) Ein Berufsheer ist für alle Einsatzmöglichkeiten
viel besser ausgebildet als Menschen, die lediglich einmal in ihrem Leben sechs
Monate lang gelernt haben, Soldat zu sein. Die Anforderungen an eine moderne
Landesverteidigung verlangen nach bestmöglich qualifiziertem Personal (auch
z.B. für den Katastropheneinsatz).
7.) Viele junge Menschen empfinden die
Wehrpflicht als eine gestohlene Zeit, in der nichts Sinnvolles für sie
passiert. „Alles grüßen, was
sich bewegt, alles putzen, was sich nicht bewegt" - das ist das tägliche
Motto eines Dienstes, in dem blinder Gehorsam und sinnlose Tätigkeit jedem
Zwangsrekrutierten ein halbes Jahr seines Lebens kosten (zitiert nach: http://www.gruene.at/themen/sicherheit/22-antworten-zur-wehrpflicht).
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