Abstract schreiben, eigene Fragen zu vorgegebenem Text beantworten




Universität Wien
Institut für Europäische Ethnologie

PS Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben / STEOP B 130
LV-Leiterin: Katrin ECKER
WS 2016/17

Hummer (1616508)
25.11.2016

A4: Abstract schreiben, eigene Fragen zu vorgegebenem Text beantworten

Bibliographische Angabe:
Jens Wietschorke: Beziehungswissenschaft. Ein Versuch zur volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Epistemologie. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, LXVI/115 (2012), Heft 3+4, S. 325-359.

Abstract


Die Unsicherheit über die Identität der Europäischen Ethnologie/Volkskunde ist durch die Fachgeschichte und die Position zwischen ihren Nachbardisziplinen begründet. Jens Wietschorke diskutiert auf theoretischer Ebene die fachspezifische Epistemologie.
Der kleine Wirklichkeitsausschnitt und die gegenstandsnahe Kontextualisierung werden als kulturwissenschaftliche Stärken kritisch untersucht und es wird deren fachspezifisch-volkskundliche Funktion und Ausprägung beleuchtet. Die Stellung des Kulturbegriffs als Analysegegenstand und Analyseperspektive der Volkskunde sowie eine Anwendungsmöglichkeit dieses Begriffs, mithilfe welcher Soziales und Kulturelles produktiv in Zusammenhang gebracht werden können, werden erläutert.
Die Europäische Ethnologie/Volkskunde ist eine reflexive Dialog-, Kontext- und Beziehungswissenschaft. Forschungsthemen werden aus kultureller Perspektive auf das Soziale mithilfe interdisziplinärer Kombinatorik behandelt.

 

 

 

 

 

 

Drei Fragen zum Text, anhand des Textes behandelt


Welche Bedeutung haben die Kontextualisierung und der kleine Wirklichkeitsausschnitt in der Volkskunde/Europäischen Ethnologie?
Die volkskundliche Arbeit kann als Behandlung bedeutender Phänomene anhand empirischer Auseinandersetzungen mit stark eingegrenzten Forschungsobjekten verstanden werden, daher darf von einer großen fachlichen Bedeutung der „mikrologische[n] Perspektive“[1] ausgegangen werden. Die Aufbereitung bedeutungsschwächster und „klein[ster] Banalitäten des Alltags“[2] ist jedoch nicht in jedem Fall zielführend, sondern birgt, nach Köstling, durchaus die Gefahr, das Essentielle auszublenden[3] statt zu behandeln, weswegen der „kleine[n] Wirklichkeitssauschnitt[s]“[4] in seiner kulturwissenschaftlichen Funktion ernstgenommen und jede konstruierende Auseinandersetzung mit einem solchen in ihrer wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit und Vorgehensweise untersucht und hinterfragt werden muss. Der „kleine[n] Wirklichkeitsausschnitt[s]“[5] ist nicht fachspezifisches Merkmal der Europäischen Ethnologie, da in anderen Kulturwissenschaften genauso mit ihm gearbeitet wird. Der Autor sieht ein eventuelles Fachspezifikum höchstens in dem kritisch beleuchteten „Banalen“[6], also in den kleinsten alltäglichen Phänomenen.
Die Kontextualisierung ist von jeher als disziplinäre Arbeitsweise bedeutend. Die Unumgänglichkeit des Konstruktionscharakters erkennend, der Kontextualisierung den Rücken zuzukehren, ist nicht sinnvoll, da die bedeutende Stärke der Kulturwissenschaft nicht das Aufzeigen eines bisher unbekannten Phänomens, sondern die Erschließung dessen in bislang nicht gedachten Zusammenhängen, die durchaus auch „potentiell[e]“[7], wenn auch nicht vollkommen willkürliche sein können, darstellt. Die Bedeutungen konstruierende Kontextualisierung eines Forschungsgegenstandes, der sorgfältig gewählt, zur Auseinandersetzung mit essentiellen Thematiken dienen soll, ist vielseitig und weitsichtig zu vollziehen, unter ständig präsentem Bewusstsein für die eigene konstruierende Tätigkeit, wobei gerade die reflexive, problemorientierte Epistemologie in der Auseinandersetzung mit „Kontexte[n]“ und „Beziehungen“[8] aller Art eine Stärke der Europäischen Ethnologie darstellt.
Welche Bedeutung hat der Kulturbegriff in der volkskundlichen Disziplin?
Der Autor bezeichnet die „Karriere des Kulturbegriffs“[9] als Fachspezifikum und setzt sich mit gegenwärtigen, so wie auch möglichen neuen Funktionen und Definitionen des Kulturbegriffs, welcher oft kritisch hinterfragt wird, auseinander. Bedeutend für das Verständnis des volkskundlichen Gebrauchs des Kulturbegriffs ist das Wissen über die Anwendung dessen als „Thema“ und als „analytischer Zugang“[10]. Kultur als „integraler Modus des Sozialen“[11] bezeichnet sowohl die Aneignung und Umgestaltung  „gesellschaftliche[r] Verhältnisse“[12], wie auch deren Verarbeitung. Dies macht sie zu einer wissenschaftlich nutzbaren „analytische[n] Perspektive“[13]. Der zweifach angewandte Begriff sollte nach Eggmann nur das fachspezifische „Instrument“[14] meinen[15]. Die Gesellschaft könnte ihn als Forschungsobjekt ersetzen, während die „kulturelle[n] Perspektive“[16] erhalten bliebe, da durch diese verstanden werden kann, wie die selbst „Identität[en]“[17] und „Differenzen“[18] konstruierende Gesellschaft funktioniert. Infolge der Neudefinierung sieht der Autor eine Einbindung des essentiellen sozialwissenschaftlichen Aspekts als Gegenstand und eine neu ermöglichte klare Beschreibung von „Soziale[m]“ und „Kulturelle[m]“[19] im Sinne einer „kulturellen Perspektive“[20] auf die „symbolisch-materielle[n] Praktiken im sozialen Raum“[21], wobei die Definition des Kulturbegriff nicht genau festgelegt oder eindimensional sein sollte.
Was sind die zentralen Thesen?
Es ist Zielsetzung des Textes, die Frage nach der fachspezifischen Erfassung des Sozialen und der Bedeutung des Kulturbegriffs darin zu beantworten. Hauptthese des Textes ist, dass die Frage nach dem Fachspezifischen „weder auf theoretische[m] Gebiet noch im Bereich der Methodologie“[22] lösbar ist, sondern viel mehr anhand des „volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Blick[s]“[23], also der „Art und Weise, den Forschungsgegenstand zu denken, zu konzipieren und in Zusammenhängen zu situieren.“ [24]
In der Forschungsgegenstandswahl ist möglicherweise der Fokus auf alltäglich „Banales“[25], in der Kontextualisierung die reflexive, „kommunikative[n]“, „hermeneutische[n] Erschließung“[26] von „plausiblen Zusammenhängen“[27] ein Fachspezifikum, wobei im Zusammenhang mit dem Kulturbegriff dessen besondere, im Text kritisch analysierte Doppelrolle und in der Methodenfindung die „transdisziplinäre[n] Kombinatorik“[28] hervorzuheben sind. So ist gerade die interdisziplinäre Arbeitsweise nicht argumentativ gegen eine Fachidentität anwendbar, sondern als Notwendigkeit zur Fachetablierung zu verstehen, die sowohl in der auf die Untersuchung materieller Forschungsgegenstände reduzierten volkskundlichen Arbeit (die allein sie im Grunde nie war) neue wissenschaftliche Ergebniserschließung ermöglicht, wie auch zu variantenreichen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Thematiken führt, wobei diese auch durch die „kulturale[n]“[29], „kontextualisierende[n] Perspektive“[30] auf das „Soziale[n]“[31] als „flexibles Ensemble von Beziehungen“[32] ermöglicht wird. Um den Zusammenhang beider genannter Faktoren fachspezifisch zu beschreiben, spricht der Autor von einem „epistemologisch disziplinär gebundene[n] transdisziplinäre[n]“[33] Arbeitsprozess, wobei es auch im disziplinären Bereich selbst um eine Kombinatorik geht. Die wissenschaftliche Arbeit soll der Bezeichnung der Volkskunde als „Beziehungs[-]“, „Kontext[-]“ und „Dialogwissenschaft“[34] bestmöglich gerecht werden.



[1] Jens Wietschorke: Beziehungswissenschaft. Ein Versuch zur volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Epistemologie. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, LXVI/115 (2012), Heft 3+4, S. 325-359, hier S. 336.
[2] ebd. S. 331.
[3] vgl. Konrad Köstling: Der Tod der Neugier, oder auch: Erbe – Last und Chance. In: Zeitschrift für Volkskunde 91 (1995), S. 47-64, hier S. 47, zitiert nach Wietschorke (wie Anm. 1), S. 334.
[4] ebd. S. 332.
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] ebd. S. 344.
[8] ebd. S. 358.
[9] ebd. S. 348.
[10] ebd. S. 350.
[11] ebd. S. 353.
[12] ebd. S. 350.
[13] Rolf Lindner: Antwort auf Chris Hann. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1 (2007), S. 135-136, hier S. 136, zitiert nach Wietschorke (wie Anm. 1), S. 350.
[14] Sabine Eggmann: „Kultur“-Konstruktionen. Die gegenwärtige Gesellschaft im Spiegel volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Wissens. Bielefeld 2009, S. 246, zitiert nach Wietschorke (wie Anm. 1), S. 351.
[15] vgl. Eggmann (wie Anm. 14), S. 246, zitiert nach Wietschorke (wie Anm. 1), S. 351.
[16] ebd. S. 351.
[17] ebd. S. 352.
[18] ebd. S. 351.
[19] ebd. S. 353.
[20] ebd. S. 351.
[21] ebd. S. 346.
[22] ebd. S. 329.
[23] ebd. S. 357.
[24] ebd. S. 329.
[25] ebd. S. 348.
[26] ebd. S. 346.
[27] ebd.
[28] ebd. S. 355.
[29] ebd. S. 357.
[30] ebd. S. 355.
[31] ebd.
[32] ebd. S. 357.
[33] ebd.
[34] ebd. S. 358.

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