Begriffserklärungen
Lektüretabelle, 3.
Sitzung, 25.10.2016
Kultur (Verständnisse und Begriffsgeschichte)
Kultur ist nie ein zentraler Begriff
der Fachdefinition, doch ein wichtiges
Leitvokabel zur theoretischen Eigendeutung, wobei im Laufe der Geschichte
und in den verschiedenen Begriffsdefinitionen meist zwischen materielle und geistige, so wie auch
zwischen niedere und hohe Kultur differenziert
wird.
Antike:
Der Begriff ist
naturwissenschaftlich geprägt. Cicero verwendet ihn erstmals im Zusammenhang
mit Pflege der geistigen Kultur.
Mittelalter:
Es kommt zur Wiederentdeckung Ciceros
und weiterführend zur Verwendung seines Kulturbegriffs.
18.Jh./19.Jh:
Die Annahme Kultur steht als das vom Menschen Geschaffene Natur
gegenüber ist weit verbreitet.
In Culturstudien wird der Alltag untersucht, dokumentiert und
interpretiert, wobei man zwischen Reiseberichten und der Untersuchung des
eigenen Volks, speziell der Bauern, differenzieren kann. Der Schwerpunkt ist
das Verhältnis von Alltag und Kultur im sozialen
Kontext, wobei hier wiederrum der Fokus auf Sitte, Gebräuche und
Gewohnheiten gelegt wird Rhiel spricht von der Volkskultur und vertritt eine religiös- mythologisch begründete
Kulturdefinition.
Es wird zunehmend zwischen
Materiellem der Kultur unterschieden und Kultur umfasst die humane Geistigkeit (Goethes Bildungskultur (menschliche Herzens- und intellektuelle Geistesbildung). Die
Kultur ist den höheren Schichten vorbehalten und in manchen Augen auch nicht
Thematik der Volkskunde, die sich an der neuen Begriffsdefinition orientiert.
Der Kulturbegriff bleibt lange in
der Volkskunde nicht genau definiert, daher ist man in Deutschland auch an Modellen aus dem Ausland, die schon von weiteren Kulturbegriffen ausgehen, interessiert.
19.Jh/20.Jh.:
Die
Kultur wird weiterhin als zusammenhängendes
Ganzes betrachtet (Glaube an homogene Einheit). Sie dient
als Ersatz für die fehlende staatlich-politische Gestalt (besonders in
Deutschland) und man verbindet die Begriffe der Kultur und der Nation. Es
setzt sich eine Einteilung in Stammes-
und Nationalkulturen durch.
1920er-1970er:
Naumann spricht von dem gesunkenen
Kulturgut
und sieht das Volk als Traditionsbewahrer
(einzige kulturelle Aufgabe).
Die Münchner Schule forscht historisch
und geht von der Kultur von unten aus.
Zunehmend wird die Kultur als wertgebendes Ordnungs- und
Orientierungssystem gesehen. Diese Ansicht stammt aus der amerikanischen
Kulturanthropologie, laut deren Vertretern Kultur determinierend wirkt,
jedoch nicht determiniert ist (Urformen
der Kultur). Diese Definition setzt ein statisches Denkmuster voraus.
Diese Annahme wird weitgehend von
amerikanischen Anthropologen durch einen weiteren
Kulturbegriff ersetzt. Die Kultur wird als funktionale Verhaltensorientierung gesehen. Es ist ein wechselseitigen Prozess .Die Kultur ist
Orientierungsmuster, das
Verhaltenssicherheit und Anerkennung im sozialen Untereinander gewährleisten
soll.
Kultur wird als die andere Seite der Gesellschaft angesehen
(weites Spektrum von sozialen
Ausdrucksformen gelebter Wirklichkeit, in dem sich gemeinsame historische
Prägung einer Gesellschaft abbilden und interne soziale Unterschiede und
Spannungen äußern).
Dialektik
der Aufklärung: Klassenantagonsimus
Norbert Elias: Die Kultur ist mit ideologischem Unterfutter unterleg und
hat eine doppelte Bedeutung. Sie
ist empirischer Stoff der
geschichtlichen Entwicklung und dessen analytische Erklärungsfolie, also
sowohl historische Handlungsdimension,
als auch gesellschaftliche Deutungsdimension.
Raymond Williams: Kultur wird
gesellschaftlich bestimmt. Er weitet den Begriff hin zum praktischen Lebensvollzug (Kultur
ist das Leben).
Tylorsche
Kulturwissenschaft: Kultur ist all das, was der
Mensch sich als Glied der Gesellschaft zur alltäglichen Problembewältigung
angeeignet hat. Er negiert die noch immer weit verbreitete Annahme, dass
die Kultur allein in der elitären Welt aufzufinden ist.
Clifford Geertz: selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe
1980er:
Die Kultur wird nicht mehr als Kanon von Phänomenen und Beobachtungen
sondern als System gesellschaftlicher
Verständigungsweisen und Leitbegriff
wissenschaftlicher Analyse aufgefasst und so wird ihre Erklärungsfähigkeit erweitert.
Helge Gerndt: Kultur ist nicht genau definierbar,
aber als Forschungsfeld zu begreifen.
Kultur wird zum Modewort.
1990er:
Das Interesse verlagert sich zunehmend von
Kulturgegenständen auf Kulturforschung überlagert.
21.JH.: Volkskunde
als Kulturwissenschaft
Die Untersuchungen von Gegenkulturen nehmen zu. Es gibt ein gesteigertes Interesse an
der Selbstwahrnehmung und Darstellung
sozialer Gruppen.
Ausstellungen: Noch immer findet man im Rahmen
von Ausstellungen die Behandlung des Kulturbegriffs mit Schwerpunkt auf Güter und deren Erschaffung, Erhaltung und Gestaltung
(objektive statt funktionalistischer Betrachtungsweise
der Kultur).
Der Kulturbegriff wird zunehmend
als Überbauformation gesehen und
nicht als Begriff von Strukturen und
Institutionen des Alltäglichen.
Kultur ist gekennzeichnet von
Neuerwerb und Erbgut, Bestimmungsfaktor und Produkt des Alltags, von Menschen
beeinflusster Prozess der Menschen beeinflusst
Begriffe der letzten Jahre: Kultur der Vielen, Alltagskultur, Kultur
des kleinen Mannes, Kultur im Erdgeschoß, Kultur als Praxis
Kultur ist ein kontroverser Begriff, heutzutage sind sich jedoch viele Wissenschaftler
einig über seine Weite und befreien
ihn in anthropologische und
soziologische Entwürfe aus der geisteswissenschaftlichen
Definitionstradition. Die Kritik an
kulturellen Repräsentationseffekt und Überlegungen Kultur als Leitbegriff zu ersetzen sind teilweise
begründet, es ist jedoch schwierig die semantische
Weite des Kulturbegriffs zu erreichen.
Kultur als Ensemble von Differenzen
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Volkskultur
/ "Kultur des Volkes" (Herder)
18.Jh./19.Jh.:
Die
Volkskultur wird bereits festgelegt und untersucht bevor der Kulturbegriff
ausreichend definiert ist.
Die
Volkskultur wird anhand empirischer Alltagsforschung (Fokus auf Brauch- und
Sittenforschung), entweder religiös-mythologisch oder rein auf Empirie
gestützt interpretiert und hinterfragt.
Herder
(Kultur der Völker) sucht zivilisationskritisch nach dem Ursprünglichen und Unverbildeten, nach
ästhetischen Zeugnissen, nach der natürlichen Poetik in Märchen- und
Liedtexten, nach kultureller Authentizität.
Kulturkunde: In Landes- und
Reisebeschreibung wird Bräuche, Sitte, Kenntnisse
über Stand der Landpflege, die Beobachtung der Mentalitäten bäuerlichen Lebens etc. dokumentiert.
Kulturpessimismus: Manche glauben
an den Verlust
der Volkskultur mit fortschreitender
Industrialisierung.
Friedrich Ludwig Jahn
beschäftigt sich mit dem nationales Volkstum (Nationalkultur) und verwendet den ideologisch
aufladbaren Begriff des Deutschtums.
In seinen Untersuchungen der Volkskultur knüpft er an mythologischen Ursprüngen an. Die Kultur- und Nationsgemeinschaft ist in
seine Augen das natürliche Prinzip
der kollektiven Identität.
Die rationale (politische) Vergesellschaftung wird als persönlicher Gemeinschaftsbeziehung angesehen
und man geht von einer homogenen
Volksgemeinschaft aus.
(weitere Begriffe: ethnische Linie der Überlieferung,
Volkspersönlichkeit, Kollektiver Nationalcharakter, Stammraum und Erbe einer
Schicksalsgemeinschaft, Abstammungs- und Territorialgesellschaft , Ursprung
und Kontinuität, Folklorismus, Kollektives Gedächtnis, Feste und Bräuche als
Ideologisches Kampfmittel)
Nach 1945:
Man geht zu einer historischen Untersuchung von Volkskultur als Kultur von unten aus.
Es entsteht eine neue Theorie, die gegen den
Verlust der Volkskultur durch Industrialisierung und komplexere Gesellschaft argumentiert und stattdessen auf die Qualitäts- und Funktionsänderung der alten Formen, die noch immer existent sind, hinweisen. Man untersuchte
diese Überlieferungsformen der
Volkskultur in der Gegenwartsgesellschaft.
Andornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung befasst sich mit dem Kulturantagonismus.
21.JH.:
Die politische Benutzung von Volkskultur und Volkskunde
ist noch immer beobachtbar.
Zur Ergänzung der Theorie der Überlieferungsformen in komplexen Gesellschaften: Es wird
davon ausgegangen, dass diese kulturellen
Überlieferungsformen in hochdifferenzierten
Gesellschaftstypen ganz anders verlaufen, als in einfachen Systemen.
Volkskultur als Orientierungsmuster
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Wilhelm Heinrich Riehl
19.JH.:
Er wird als einer der Stammväter der Volkskunde
bezeichnet und betrieb Volks- und Kulturstudien
(Culturgeschichte
von Land und Leuten). Er untersuchte das primitive Gemeinschaftsgut.
Er betrachtete die Volkskunde als Statistik der Sitten (Erforschung der volkstümlichen Sitte).
Er erkannte bereits die Funktion kultureller Normierung und die politische Macht vorhandener Sitten, dass
Sitte und Brauch die Instanz zur Festlegung von Normen und das Orientierungsmuster für ein soziales System, so wie für die Formierung und Strukturierung des
alltäglichen Verhaltens sind.
Ein wichtiger Beitrag zum frühen Kulturstudium
stellt Rhiels Empfehlung der Erforschung des Volkslebens, nicht nur als
Bericht, sondern mit dem Ziel der Erkennung umfassender Strukturzusammenhänge, dar. Er plädiert für eine Zusammenfassung von Einzelforschungen und zerstreuten Untersuchungsrichtungen in
einem kategorialen Rahmen (Kategoriensystem), wobei die von ihm
genannten vier S eine bedeutende
Rolle spielen (Sitte, Siedlung,
Sprache, Stamm), die die
Konstituenten der nationalen Kultur ausmachen.
Rhiel überzeugt bei seiner Erforschung der Mentalitäten bäuerlichen Lebens durch genaue, realitätsgerechte Regionalanalysen
des Alltags (Arbeits- und
Lebensformen), interpretiert jedoch soziale
Fragestellungen aus ständisch-konservativer
Sicht und vertritt eine Gesellschaftstheorie
mit Fixierung auf organologische Vorstellungen und naturgesetzliche
Prinzipien. Seine eigentlich
exakte Beobachtung und Beschreibung wird durch geschichtstheoretische Deutungen überformt.
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Identität(en)
Identität kann als zum Teil konstruiert bezeichnet werden. Sie
setzt sich aus dem unbewusste
Teil, dem So-Sein (umstandslos,
reflexhafte, alltägliche Selbstverständlichkeiten und Standorte machen
Identisch- Sein mit uns selbst aus) und den bewussten Anteile, dem
So-Erscheinen-Wollen (strategische Setzungen und
Selbstverständnisse zur Erzeugung bewusster Effekte unserer Selbstdarstellung
und Beeinflussung unserer Wahrnehmung
durch andere) zusammen.
Der Allgemeine Identitätsbegriff
hat viele Varianten, wobei die ethnische
Identität eine von vielen darstellt.
Kollektive
Identitätsvorstellung entsteht
durch Übereinstimmung und Grenzziehung,
wobei gerade die Versichernde Wirkung der Abgrenzung zum Anderen eine große Rolle
spielt (extrem: Aggressives
Identitätskonzept). Gerade in der modernen Gesellschaft ist keine totale
Übereinstimmung wegen Individualisierung,
Ästhetisierung, soziale Differenzierung und Mobilität möglich (alle
Fremde)
Sensible Kulturelle Haut der Identität: In psychischen oder existentiellen
Krisen besteht die Gefahr des sozialen
Identitätsverlust oder jene der Überidentifikation,
als einer enormen Abhängigkeit von einem zentralen
Identitätsbezug.
Im Grunde ist es oft wenig
hilfreich, von der Identität zu
sprechen, da dies nur in konkreten
Untersuchungsfeldern, insbesondere zur Klärung von entworfenen Eigen- und Fremdbildern, nützlich ist.
Heutzutage ist die kulturelle Identität ein politisch
geprägter Begriff.
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"Kultur" und "Zivilisation"
19..JH.:
In den Culturstudien ist die Kultur mit dem Alltäglichen und der
Produktion stark verbunden. Es kommt zunehmend durch die Industrialisierung
zur Teilung von körperlicher und geistiger Arbeit bis hin zur beinah völligen
Trennung in vielen Bereichen. Auch der Kulturbegriff wird abgehoben (elitärer Anspruch) und wird drückt einen besonderen Wert aus.
Es kommt zu einer Opposition von Kultur und Zivilisation, wobei
Zivilisation mit materieller
Produktion verbunden wird und etwas Minderwertiges beschreibt (Schwundstufe der Kultur). Dieser bürgerliche Kulturbegriff (Kultur
umfasst Vorstellung, Wünsche, Programme
des geistigen Lebens der Nation)wird in Deutschland in diesem
Bedeutungszusammenhang auch in der Wissenschaftspraxis
der Kulturwissenschaften übernommen. In Deutschland wird angenommen, dass
die deutsche Kultur ererbt und nicht
zivilisatorisch anerzogen ist. Als Negativbilder dienen England und
Frankreich.
20.JH.:
Norbert Elias Prozessorientierter Zivilisationsbegriff: Er setzt sich neu mit dem
Menschenbild auseinander und sieht dessen Veränderung
und Differenzierung in einen langgezogen
Prozess der Zivilisierung eingebunden (sozio- und psychogenetischer Vorgang). Dieser Prozess produziert
die gesellschaftliche
Entwicklungspotenziale und Herrschaftsformen.
Einerseits bietet er die Möglichkeit
der Ausbildung individueller Fähigkeiten, andererseits unterliegt das
Individuum Anpassungszwängen an soziale
Verhaltensstandards. Die gesellschaftliche
Verhaltenskonditionierung schlägt moralische
Strategien, Bedürfnis- und Triebkontrolle etc. nieder (Kulturelle Vergesellschaftung: durch Kulturelle Praxis der Menschen werden Gesellschaftliche Werte- und
Deutungshorizonte zur zweiten Natur des Menschen). Auf welcher Zivilisationsstufe sich das Individuum
oder ein Gesellschaftsausschnitt laut äußerer Beurteilung befindet, hängt von
der Einhaltung des festen Kanons und
der Verhaltensnormen ab. So
erscheint die Zivilisation als Welt der
Unterschiede und der Abgrenzung, da sich nicht fügen und daher anders
sein als unzivilisiertes Verhalten
zum Negativbild wird.
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Enkulturation
1948:
Begriff des Anthropologen Herskovits
(1939: Kluckhohns Begriff der Kulturisation)
Ähnliche Begriff: Sozialisation
Definition: Das Hineinwachsen (vorallem des Kindes) in eine bestimmte Kultur, das
Erwerben der Kulturkompetenz (aktuelle Thematik!)
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Semiotischer Kulturbegriff
21.JH.:
Kulturanthropologe
Clifford Geertz bezieht sich auf einen semiotischen
Kulturbegriff
(semiotische = zeichenhafte Bedeutung).
Der Mensch ist in
ein selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe
verstrickt. Diesen Begriff, nutzt er gemeinsam mit Max Weber zur
Kulturbeschreibung, wobei das Gewebe die Kultur ist und deren ständige Herstellung und Umdeutung verbildlicht werden soll.
(Das Bedeutungsgewebe besteht zwar auch aus
nationalen und ethnischen Fäden, diese sind jedoch zu hinterfragen. Nation,
Gemeinschaft und Volk dürfen nicht mit der Tiefenstruktur des dahinterliegenden sozialen Geländes
gleichgesetzt werden. Es dürfen keine ethnischen Grenzen gezogen werden. Der
Zusammenhang von Kultur und Gesellschaft, so wie auch von Nation und Kultur darf
nicht vereinfacht dargestellt werden.)
Die Untersuchung
definiert er nicht als experimentelle
Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern als interpretierende, die nach Bedeutung sucht. Ihr Mittelpunkt ist
die vom Beobachter abhängige Sinnbildung,
die sich in der Handlung der Akteure
verwirklicht, wobei man immer Akteur und Beobachter nur mit unterschiedlicher Gewichtung ist. So
ist Kultur zwar überall, doch
eigentlich nur dort, wo die Kultur des
Tuns und die Kultur des Denkens
auffindbar sind, also nur dort, wo Menschen
sich und andere zum Gegenstand der Suche nach Verstehen machen.
Zu kritisieren
wäre, dass bei Geertz und Webers Überlegungen die materielle Seite der Kultur nicht eindeutig mit einbezogen ist
und die Vorstellung der homogenen
Einheit, also die Annahme einer herrschaftsfreien
Kultur mitschwingt.
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Ethnizität / "Ethnisches Paradigma"
Ein
besonders traditions- und folgenreiches kollektives Identitätskonzept, dass konstruiert
und zweckgebunden ist. Es dient zur Begründung von Ressourcen- und Gebietsansprüche, der sozial kulturellen Machtposition und zur Sicherung, wenn Ordnung
nur noch fragil oder nicht mehr
vorhanden ist. Zusätzlich bietet das Ethnische
Paradigma Vereinfachung. Die Abgrenzung
zum Anderen hilft zur Bildung einer Wir
Identität. (Ethnische Säuberung
als Extrem)
Ethnische Zusammengehörigkeit (zusammengesetzt
aus: Ideologie, Imagination, soziale
Praktik) gibt manchen das Gefühl von
Etwas
Bleibendem im Wechsel.
Antike:
Der Begriff ethnos (gr.) dient zur Benennung der Gesamtheit aller nicht griechischen
Bevölkerungsgruppen, wobei sich die Griechen selbst wertfrei von ihnen unterscheiden. Im Verlaufe der Geschichte durchlebt dieser
Begriff und bewusste Abgrenzung eine Bedeutungsänderung hin zur extremen
Abwertung des Anderen und
Hervorhebung der eigenen Ethnie (Deutsches Volk).
Vor
19.JH.:
Die ethnischen Zuschreibungskriterien wandeln sich. Man unterscheidet
Gemeinschaften durch ihre Sprache,
Kultur, Werte, Geschichte, regionale Herkunft etc.
19.JH./20.JH.:
Besonders in Deutschland durchlebt
die Bevölkerung einen existentiellen
Sicherheitsverlust. Es wächst das Verlangen noch Heimat in der unsicheren
Zeit. Die Zahl an regionalen und nationalen Bewegungen steigt enorm (Nationalisierung). Der Glauben an die Verwandtschaft der Ethnie (Blutsverwandtschaft) führt zu einem neuen
nationalen Gefühl. Der Begriff des Ethnischen
Paradigmas erlebt einen großen Bedeutungsaufschwung. Man orientiert sich
zunehmend an einer rassischen Ordnung
(Stammes- und Rassenlehre, Rassenanthropologie). Die Verbindung
ist das biologische Abstammungsprinzip
statt des
kulturellen
Zusammengehörigkeitsgefühls. Die Thematik wird zunehmend naturwissenschaftlich behandelt (Entwicklung
eines objektiven Merkmalskatalogs, Einstufung auf einer Entwicklungsskala
eines universell gedachten Zivilisationsmodells). Die ethnische
Weltanschauung (Denken in
Nationalkulturen) und das Ziehen strikter Grenzen etablieren sich.
Max Weber spricht in der zweiten
Hälfte des 20.JH. von einer künstlichen
Art der Entstehung ethnischen Gemeinschaftsglauben und von einer
Inklusion durch
Exklusion (Zusammenschluss des
Eigenen (Soziale Abschließung)
und Integration
nach Innen durch Abgrenzung nach außen).
21.JH.:
Die Ethnische Identität
ist das Prinzip, in dem wir denken und ordnen und seine Manifestierung in der
Gesellschaft nimmt
zu. Doch gibt es historisch gesehen und in der heutigen Zeit im Schatten auch Konzepte sozialer Loyalität.
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Bronisław
Malinowski (Funktionalismus)
20.JH.:
Obwohl
als Naturwissenschaftler beginnend, wird Malinowski einer der einflussreichsten
Ethnologen jener Zeit. Er konzipiert die Beobachtung vom Alltagsleben
Einheimischer neu, indem er viele
Jahre an einem Beobachtungsort verweilt und den Lebensrhythmus des Alltags übernimmt.
Er schreibt den Quellen aus erster Hand
und dem im Feld sein viel
Bedeutung zu. Dies bedeutet eine wichtige empirische
Wende und viele ihm folgende Forscher orientieren sich am Paradigma Malinowskis.
Die
beiden Forscher nehmen an, dass die Vielfalt der Kultur aus der Beziehung von
Mensch und Natur entsteht.
Funktionalismus sagt aus, dass jede
kulturelle Praxis nicht einfach aufgrund von Tradition, sondern durch den
Zweck, den sie erfüllt, besteht. Dies macht sie auch wandelbar, da Tradition
und Kontinuität nur solange Bestand haben, solange sie nützlich sind (nicht Form um der Form Willen).
Der
Funktionalismus stellt die Basis der skandinavischen Forschungsrichtung dar,
an der orientiert, Ingeborg Weber Kellermann das Werk Wald- und Feldkulte (mythologisch- archaisch anmutende Auswertung
von ausgesendeten Fragebögen) Wilhelm Mannhardts, (Vertreter mythologische
Forschungsrichtung im 19.Jh.) der, von
heidnischen fruchtbarkeitskultischen
Ablagerungen in existenten Brauchformen ausgehend, eine sichere Kunde über die Mythen der Vorwelt
aus heutigen Bräuchen zu gewinnen meint, auf den Hintergrund des lokal verschiedenen, sozialen, historischen und ökonomischen Kontextes überprüft.
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Alfred Radcliff-Brown (Funktionalismus)
angelsächsischen
Anthropologe Funktionalistische Kulturtheorie: Die Forderung nach einer
Kulturforschung, die am jeweiligen
Zusammenhang orientiert ist.
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Münchner Schule
Nach
1945:
In München arbeiten die
Wissenschaftler Hans Moser und Karl S. Kramer an der Erforschung des Alltags früherer Zeiten, wobei diese
neue historische Richtung die Kultur nicht von ihrer materiellen Basis trennt
und so Volksleben als Gesamtheit betrachtet.
Sie wollen die Fragmentierung aufheben
und so werden auch Sitte und Brauch nicht als isolierte, aus Zeit- und Raumbedingungen entbundene Kulturphänomene, die
einem unveränderbaren Prinzip folgen, sondern
verbunden mit einem speziellen Milieu gesehen, für welches sie eine Funktion
haben, also in einer historisch-konkreten
Umwelt- und Sozialsituation. (räumliche
und historische Differenzierung)Sie greifen daher auf regional-
und sozialgeschichtliche Quellen zurück.
Sie weisen auch auf die oft unbeachtete Tradition der Volkskunde als
Alltagswissenschaft hin.
In der Folklorismusdebatte weist Moser darauf hin, dass die Volkskunde in
der Vergangenheit Brauchtümliches und
Volkstumhaftes dem Volk, mit neuer
Gebrauchsanweisung versehen, unterbreitete. So wird sie selbst zur
Produzentin von Traditionalität.
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Charakteristika der Volkskunde als
Alltagswissenschaft
Einerseits beschreibt der Alltagsbegriff die Formen
eines Alltagsbewusstseins (gesellschaftlich
vorhandene Routine nicht reflektiertes,
empirisch verfügbares Wissen), andererseits das wissenschaftliche Erklärungsmodell,
das sich mit dem weitgehend unbewussten
Alltagsbewusstseins auseinandersetzt. So kann man ihn als verschleiernd und Schleier lüftend
betrachten. Der verwobene Mensch selbst vertritt die zeitgeisthaft praktizierten Kultur- und Politikauffassung. Als
Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler setzt er sich genau mit dieser
hinterfragend auseinander. Es besteht bei diesem Forschungsprozess, der
bereits bei der Auswahl des Themas und
der Perspektive beginnt, die Gefahr des Versuchs eine kulturelle Erklärung für
politisch-sozial begründete Phänomene der
Gesellschaft. Die Voraussetzung
zur Erforschung des Alltags und der Kultur ist, dass die Regeln und Praktiken gesellschaftlichen
Zusammenlebens im Bereich des Kulturellen und im Alltag beobachtbar sind,
also an Orten und in Situationen sozialen Lebens, wobei ein
überschaubarer
Beobachtungsbereich
ausgewählt werden sollte, damit eine möglichst genaue Analyse, Beobachtung
und Beschreibung der Frage wie
Gesellschaft funktioniert möglich ist, wobei mit Sorgfalt gearbeitet
werden muss, hermeneutische und methodische Kompetenzen vorhanden sein müssen
und man aus einem kleinen gesellschaftlichen Ausschnitt keine vorschnellen
Rückschlüsse auf das Ganzen der Kultur
ziehen darf.
18.JH./19.
JH.:
Culturstudien/Kulturkunde: Die Grundlagen,
Strukturen und Institutionen des Alltäglichen werden
anhand von Studien erforscht und religiös-
mythologisch gedeutet. So werden Verhaltensmuster und Tätigkeiten auf einen
mythologischen Ursprung (aus archaischer Zeit) rückgeführt(Rhiels Mentalitätsbeobachtung). Es gibt
Ausnahmen, die ihre Fragen und Ergebnisse rein aus empirischer Analyse
gewinnen, deren Herangehensweise jedoch wenig Akzeptanz findet.
Der fortschreitende Prozess der Arbeitsteilung in
geistige und materielle Tätigkeit führt zu einer zunehmenden Trennung des
Kulturbegriffs und materieller Produktion.
20./21.JH.:
Von der Kulturanalyse fordert
Raymond Williams die Erfassung des whole
way of life (des Wesens der
Organisation kultureller Praxen und Werte).
Heinz Bude spricht ebenfalls von einer
Beschreibung ganzer Kultur, wobei er empfiehlt bei der Erforschung des
eigenen Umfelds den Passanten als
Fremden oder Anderen zu betrachten und seine Handlungen in verschiedensten,
noch so nichtig scheinenden Bereichen zu untersuchen.
Soziologe Heinz Maus fordert die exakte Analyse
des historischen Alltags und vertritt so die Geschichtsschreibung von unten her. Die historische
Auseinandersetzung ist die empirische Alternative zur mythomanischen Kontinuitätstheorien
(faschistische Volkskunde).
Auf ihn beziehen sich viele der kulturwissenschaftlichen
Nachkriegsarbeiten, die Alltagsforschung betrieben.
Lévi-Strauss vertritt die Auffassung der Alltagswelt als konkreter Ort und konkrete Zeit in der
Kultur gelebt wird. In Mikrostrukturen
des Alltags, so wie Handlungslogiken
sozialer Akteure zeigen sich die
Wirkung des kulturellen Bedeutungsgewebes und die unbewusste Bedingungen des sozialen Lebens.
Forscher haben sich dem Vorwurf der Flucht in Harmonie und Idylle zu
stellen, doch wesentliche soziale
Problemzonen stellen zentrale Felder der Alltagsgeschichts- und Alltagskulturforschung dar, wobei zwei Themen
besonders intensiv behandelt werden: die Erfahrungsgeschichte
des Nationalsozialismus und die Frauen-
und Geschlechtergeschichte.
Heutzutage hat Kulturwissenschaft einen neuen
gesellschaftlichen Marktwert
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Dialektik der Aufklärung
20.JH.:
Andorno; Horkheimer: Dialektik der Aufklärung
Sie untersuchen das Unterhaltungsangebot für die Masse gesellschaftlich reflektiert. Erste
Forschungsansätze zu dieser Thematik stammen aus den 1930er Jahren (wichtige
Auseinandersetzungen: Benjamin; Eisler)
Ihr Fazit: Die
Kultur der einfachen Leute unterliegt dem Diktat der Kulturwarenproduktion.
Ihr Spezifikum ist das Gemachte (exakt
kalkuliertes Profitinteressen) und der
Manipulationseffekt (Eingehen auf die Bedürfnissen der Konsumenten; Sicherung
Einfluss auf sie (Wahlfreiheit des von
Oben Angebotenen ausgeklammert)). Der Absinkprozess (ähnlich zu Naumanns gesunkenem Kulturgut) wird bewusst
gesteuert. Sie verwenden den Begriff des Klassenantagonsimus.
Die hohe und niedere Kultur wird nicht
auseinanderdividiert, sondern als Ausformung gesellschaftlicher Widersprüche betrachtet. So muss das Ganze bei Erklärung der Kultur kompexer Gesellschaftssysteme
betrachtet werden. Alle kulturellen
Objektivationen stehen in Bezug zueinander (statt isolierten soziokulturellen Standards oder patterns).
Die Widersprüche der antagonistischen
Gesellschaft verkleistern. Die
populäre wird als popularisierte Kultur gesehen.
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Lektüretabelle, 4.
Sitzung, 8.11.2016
Horizontale und vertikale
Ungleichheit
Modell „horizontaler“ Ungleichheit:
Anderssein vorausgesetzt (verweisend auf Unterschiede der materiellen
Lebensführung und der kulturellen Lebensstilen (Alter, Herkunft etc.)
Modell „vertikaler“ Ungleichheit: Unterschiedliche
Berufsposition (Besitz, Bildung, Status) -> klar abgestufte Hierarchie
sozialer Macht und individueller Lebenschancen (dauerhaft und systematisch):
Sozialstatus bestimmt über fundamentale gesellschaftliche Handlungsoptionen
und wird über Generationen vererbt, sozialer Aufstieg oder Abstieg als
Ausnahme)
(Kaschuba 1999)
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Sex und Gender
Sexus: biologisch
Gender: soziale Geschlechtsidentität, Produkt
kultureller Zuschreibung (Folge tradierter, erlernter und wandelbarer
kultureller Konzepte von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“
(Kaschuba 1999)
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Karl Marx' und Max Webers
Gesellschaftstheorie
19./20.Jh.:
Karl Marx „Politische Ökonomie“:
neue „systematische“ Ungleichheit
durch Epoche Industriekapitalismus in postfeudaler Gesellschaft strukturiert
durch „Produktionsverhältnisse“ (ungleiche Verteilung der Mittel der
Erhaltung und Gestaltung menschlichen Lebens) -> unüberbrückbarer
Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit ->zwei Klassen ( „Klassenlage“
führt zu „Klassenbewusstsein“)
Klassenmodell: Stichwortgebende
Theorie damit Menschen Erfahrungen erkennen und sich in mit politischer
Absicht versammeln (Veränderung Gesellschaftssystem in Richtung einer
herrschaftsfreien Ordnung)
Soziologe Max Weber andere
Auffassung von Gesellschaft und „Klassen“ -> Werk „Wirtschaft und
Gesellschaft“: Klassen sind nur mögliche Grundlagen eines
Gemeinschaftshandelns -> „Stand“: „Gemeinschaftsbewusstsein“ knüpft an
gemeinsame ethische Kriterien, Werthorizont an Normen, Regeln, Arbeitswerten
und Moralvorstellungen -> Lösung in wachsender „Vergesellschaftung“
ehemals lokaler Lebensformen und Lebensstile, die in der modernen Gesellschaft
notwendig fortschreitet
(Kaschuba 1999)
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Judith Butler und Negotiating Gender
„Negotiating gender“: „Geschlechtsidentität“ (kulturell
bedingte Bedeutungen des sexuell bestimmten Körpers) in jeder Gesellschaft
neu „verhandelbar“ ->folgt nicht dem biologischen Geschlecht ->
Unterscheidung anatomisches Geschlecht/Geschlechtsidentität -> „gender
trouble“ -> Hervorrufung heftiger Reaktionen
„Aushandeln“ der Geschlechtsidentitäten:
Aufbrechen von vorgegebenen Geschlechterrollen -> radikale Dekonstruktion
der Vorstellungen von geschlechtlicher Identität
Ethnologische Analyse der Geschlechterrollen: Vorschlag
von Butler faszinierend, aber verhängnisvoll in praktizierten Konsequenzen: Wahrnehmung
von Männlichkeit und Weiblichkeit im psychischen und kulturellen Raum des
gesellschaftlich Unbewussten und Vorbewussten angesiedelt“ als Bestandteil
der Identität, die schwer zur Disposition gestellt werden kann
(Kaschuba 1999)
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Klasse und Stand
20.Jh.
Soziologe Max Weber: wissenschaftliches
Klassenmodell findet nicht unmittelbare Entsprechung in Ausdrucksformen von
Klassenbewusstsein:
Klassen sind ökonomische Kategorie (Mehrzahl
eine spezifische ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam, durch
ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und unter den Bedingungen des
(Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt)
„Stand“ (Begriff vorindustrieller
Gesellschaft) ist die Seite des „Gemeinschaftsbewusstsein“ (Regelkreis:
verbindlich für jeden, der Kreis angehören will)
(Kaschuba 1999)
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Gesellschaftsanalyse
Aufgabe: Was Menschen als „soziale
Wirklichkeit“ wahrnehmen, in Begriffe sozialer und kultureller Praxis fassen
und in seinen systematischen materiellen wie ideellen Begriffen erklären
(Ausbalancierung „subjektive“ Wirklichkeitsvorstellung und „objektive“
Wirklichkeitsbeschreibung, „weiche“ Interpretationen und „harte Daten“ in der
Kriterienbildung) -> Erkennung der markanten sozialen Strukturen und
Klassifikationssystemen
(Modell: komplexe
Wirkungszusammenhänge der Alltagswelten in theoretischer Konstruktion zusammengefasst
und vereinfacht)
Erkenntnistheoretisches Problem: „Deutung
der Gesellschaft konstituiert die Auswahl und Bedeutung der Fakten und nicht
umgekehrt.“
(Kaschuba 1999)
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Wandel
volkskundlicher Kulturmodelle (1960er bis 1980er Jahre)
1960er:
Einfluss
der Sozialwissenschaften -> Renovierung Modell -> Wende von Forschung
zur „Gemeinschaft“ hin zu Forschung zur „Gegenwartsgesellschaft“
->
Frage nach Erscheinungsformen und Entwicklungen der Kultur im
gesellschaftlichen Modernisierungsprozess -> Gegenüberstellung zwei idealtypischer
Kulturräume: ländlicher (kulturelle Homogenität) und städtischer Raum (soziale
Heterogenität) -> Erklärungssuche in Geschichte statt in Gesellschaft
1970er:
Ausbruch
von Kontroversen -> Beschreibung des gesellschaftlichen Hintergrunds von
Kultur im Sinne politischer Machtverhältnisse und Ressourcenverteilungen (herrschaftsorientierter
Gesellschafts- und Kulturbegriff war und blieb umstritten)
1980er:
Debatte
über „Ende der Arbeiterkultur“ in Nachkriegszeit, da Besserung der
Lebenshaltungsstandards nach 1950 und über
Sinnhaftigkeit
der Bezeichnung „Klassengesellschaft“ -> verändernde gesellschaftlichen
Ordnung -> Pluralisierung und Individualisierung der Lebenslagen ->
Beginn
Debatte um spätmoderne Lebens- und Kulturstile
Heute:
Ablesung
sozialer Ungleichheit aus der Differenzbestimmung kultureller Praxen
(Kaschuba
1999)
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Pierre Bourdieu und Die feinen
Unterschiede
Kultursoziologe und Ethnologe: Neues
Modell Gesellschaftsanalyse als Kulturanalyse
1970er:
„Theorie der Praxis“: Definierung
des Menschen durch Handlung und Art der Handlung (kollektiven Regeln des Tuns
unterworfen)
Praktisches Handeln beinhaltet
symbolische Botschaften -> (oft unbewusstes)
Erkennengeben der Identität
Analytische Anwendung der
Erkenntnisse auf westliche Industriegesellschaften
-> Werk „Die feinen
Unterschiede“-> Herauslesen unterschiedliches „Klassengeschmacks“ und
Lebensstils aus kulturellen Praxisformen -> feine Unterschiede in der
Gesellschaft durch Geschmack und Distinktion (Deutung von Verhaltensmustern
als Hinweis auf ein komplexes Lebensstilmuster, Erkennung und Identifizierung
des eigenen sozialen Milieus und bewusste, symbolische Abgrenzung von
anderen) (Klassifizierung erfolgt durch Menschen jeden Tag -> selber
Prozess, jedoch reflektiert in der Wissenschaft)
Klasse: konstituiert sich in
„klassifizierenden Akten“ (Selbstpositionierung und Zuordnung zu sozialem
Praxissystem durch soziale Akteure mit unterschiedlichen Möglichkeiten)
Kapital: ökonomisches Kapital,
soziales Kapital, kulturelles Kapital (bestimmen in unterschiedlichen Mischung
Klassenposition)
Kultur: zentrale Folie, auf der sich
soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen abbilden
Formulierung soziokultureller
Klassentheorie: Selbstdefinierung sozialer Klassen über in Form und
Sinngebung übereinstimmende kulturelle Praxis (homolog) und distinktive
Abgrenzung zu anderen
(Kaschuba 1999)
|
|
Naturalisierung von Geschlechtern
Geschlechteridentität = performative Leistung (durch gesellschaftliche
Tabus und Konventionen erzwungen)
Körper = Art Dramatisierung oder Inszenierung von Möglichkeiten
Geschlechterzugehörigkeit = performativer Akt (sozial erzwungen)
Inneres Selbst: Konstituierung um sozialen Diskurs
natürliche Geschlechtlichkeit und angeblich natürliche Anziehung durch
das andere Geschlecht = kulturelle und historische Konstrukte (im Laufe der
Zeit miteinander Verknüpfung -> Anschein des „Natürlichen“)
(Butler 2002)
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Von
Frauen- zur Geschlechterforschung
19.Jh.:
Popularisierung
des konservativen Bildes der Frau (restaurative Arbeitsweise) (Beschreibung
Rhiels sozialer und kultureller Bedingtheit der Geschlechtstypologie seiner
Theorie voraus)
19./20.Jh.:
Erwähnung
der Frauen im Zusammenhang mit Brauch und Sitte -> Frauen als
Repräsentantinnen und Objekte statt
Subjekte und als Randerscheinungen in der Geräte- und Arbeiterforschung
1970er:
(Paradigmenwechsel
->) (kleinteilige) Alltagsforschung: Alltag der Frau
geschlechterspezifisch, der des Mannes universal
1980er:
Frauenforschung
„Frauengeschichte“
(Weber-Kellermann) wichtige systematische Analyse des historischen
Frauenlebens (aber Ballast der Familienforschung (einziges Gebiet mit
Frauenuntersuchungen))
Gründung
Kommission für Frauenforschung (Deutsche Gesellschaft für Volkskunde) -> Veranstaltung
von Tagungen (Tagung in Tübingen, Freiburg), Inhaltliche Neuheiten (feministische
Kritiken an Patriarch, Frauen als Subjekte, weibliche Erfahrung und
Lebensgeschichte zentral, ignorierte Themen, große Breite der Fragestellung,
Paradigma der Differenz angezweifelt), neue Forschungstendenzen (Techniken
der Interviewführung und Analyse, Methode der Reflexion, additive und
kompensatorische Arbeit)
1990er:
Geschlechterforschung
J.
Butler „Das Unbehagen des Geschlechts“ („Doing Gender)
(Carola
Lipp 2001)
Heute:
Geschlechtergeschichte nicht partikulärer
Sonderbereich der Gesellschaftsgeschichte, sondern systematische Dimension
(Kaschuba
1999)
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Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit
Geschlecht als Kategorie -> keine Betrachtung
gesellschaftlicher Gruppen als geschlechtsneutral mehr und Beachtung der meist
männlichen Vorzeichen, unter denen
untersucht wird; Überarbeitung frauenspezifischer Forschungsthematiken;
Erkennung der Geschlechterwahrnehmung und -beziehung als kulturelles,
soziopolitisches Produkt -> Perspektivwechsel der wissenschaftlichen
Analyse
(Lipp 2001)
|
Lektüretabelle, 4.
Sitzung, 8.11.2016
Horizontale und vertikale
Ungleichheit
Frage nach sozialer Schichtung soziologischer
Betrachtungsweise der Gesellschaft zugehörig ->
Suche nach inneren Gefüge und den
strukturierenden Prinzipien, die eine Gesellschaft ordnen -> Beschreibung
in Modellen ermöglicht Nebeneinander wie Übereinander sozialer Gruppen:
Vorstellung einer horizontalen wie
vertikalen Ordnung (historisch wie empirisch plausible Annahme: Lebenschancen
in Gesellschaft immer systematisch ungleich verteilt)
Modell „horizontaler“ Ungleichheit:
Anderssein vorausgesetzt (verweisend auf Unterschiede der materiellen
Lebensführung und der kulturellen Lebensstilen (Verschiedenartigkeit von
Berufen, Einkommen, Wohnorten, Bildungshorizonten) Modell „vertikaler“
Ungleichheit: Unterschiedliche Ausstattung (Besitz, Bildung, Status) -> klar
abgestufte Hierarchie sozialer Macht und individueller Lebenschancen (dauerhaft
und systematisch): Sozialstatus bestimmt über fundamentale gesellschaftliche
Handlungsoptionen und wird über Generationen vererbt, sozialer Aufstieg oder
Abstieg als Ausnahme)
(Kaschuba 1999)
|
Sex und Gender
Sexus: biologisch
Gender: soziale Geschlechtsidentität, Produkt
kultureller Zuschreibung (Folge tradierter, erlernter und wandelbarer
kultureller Konzepte von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“
(Kaschuba 1999)
|
Karl Marx' und Max Webers
Gesellschaftstheorie
19./20.Jh.:
einflussreichste Modelle in
Geschichte der Sozialwissenschaften (systematische Analyse der Strukturen
sozialer Ungleichheit) -> Überlegungen zentrale Rolle Diskussion heute
(Weiterverfolgung, kritische Auseinandersetzung mit analytischen Begriffen
und Konzepten, Hinterfragung Sinn Klassen- und Schichtungsmodelle)
Karl Marx Erklärungsmodell
„Politische Ökonomie“:
neue „systematische“ Ungleichheit
durch Epoche Industriekapitalismus in postfeudaler Gesellschaft (Industriegesellschaft)
Ungleichheit strukturiert durch „Produktionsverhältnisse“
(ungleiche Verteilung der Mittel der Erhaltung und Gestaltung menschlichen
Lebens): Besitz Kapital (Produktionsmittel): „Bourgoisie“ (großes Bürgertum)/
körperliche und geistige Arbeitskraft: Proletariat (Lohnarbeiterschaft) ->
unüberbrückbarer Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit (da
kapitalistische Markt Arbeitskraft zur „Ware“ macht (Erträge privat angeeignet,
muss sich selbst verkaufen))
->zwei Klassen (als Resultat
ökonomischer Strukturen und daraus resultierenden politischer Macht
(„Politische Ökonomie“)), die
Interessensgegensatz und
unterschiedliche „Klassenlage“ in ihrer subjektiven Lebenswirklichkeit
erfahren
Erfahrungs- und Lernprozess:
„Klassenlage“ führt zu „Klassenbewusstsein“
Klassenmodell: entspricht den
sozialen Erfahrungen, die sich in Lebenswelten der beginnenden Industriegesellschaft
herausbilden -> Stichwortgebende Theorie damit Menschen Erfahrungen
erkennen und sich in dessen Namen mit politischer Absicht versammeln -> Versuch
der „unterdrückten Klassen“, die gesellschaftliches Reichtum schaffen, „Produktionsverhältnisse“ zu verändern und
dass politische Gesellschaftssystem in Richtung einer herrschaftsfreien
Ordnung zu verändern
Soziologe Max Weber andere
Auffassung von Gesellschaft und „Klassen“ gegenüber. -> Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“:
Klassen sind nur mögliche Grundlagen eines Gemeinschaftshandelns -> Klasse
bleibt ökonomische Kategorie und Struktur, die zunächst nur Auskunft gibt
über die „Klassenlage“ gibt ->
Für Seite des Bewusstseins Begriff
„Stand“: „Gemeinschaftsbewusstsein“ knüpft an gemeinsame ethische Kriterien,
Werthorizont an Normen, Regeln, Arbeitswerten und Moralvorstellungen, die das
Bewusstsein der Zusammengehörigkeit erzeugen
Marx versus Weber
„Klassenbewusstsein“ – „ständisches Bewusstsein“ („Idealtypus
sozialen Gemeinschaftsdenkens und Gemeinschaftshandelns“)
Lösung Interessensgegensätze im politischen Klassenkampf –Lösung
in wachsender „Vergesellschaftung“ ehemals lokaler Lebensformen und
Lebensstile, die in der modernen Gesellschaft in Gestalt von
Institutionalisierungs- und Uniformierungsprozessen notwendig fortschreitet
Verbindung der Theorien
Entwurf analytisches Modell (systematische Erfassung Bedingungen
gesellschaftlicher Ordnung und politischer Herrschaft)
Rückbindung Modell an Formen sozialer Erfahrung und Wahrnehmung (vorwissenschaftliches
Verständnis von „Wirklichkeit“)
->Heute Diskussion über Aktualität Überlegungen Marx und
Weber
->Marx Renaissance in 1970er Jahren
->Weber Renaissance heutzutage
(Kaschuba 1999)
|
Judith Butler und Negotiating Gender
„Negotiating gender“: provokanter Denkanstoß: Geschlechtsidentität
in jeder Gesellschaft neu „verhandelbar“
Judith Butler: „Begriff „Geschlechtsidentität“ bezeichnet
kulturelle Bedeutungen des sexuell bestimmten Körpers -> keine
Geschlechtsidentität folgt dem biologischen Geschlecht -> Unterscheidung
anatomisches Geschlecht/Geschlechtsidentität bis an logische Grenze treiben
-> grundlegende Diskontinuität zwischen den sexuell bestimmten Körper und
den kulturell bedingten Geschlechtsidentitäten -> kulturell bedingter Status
der Geschlechtsidentität unabhängig vom anatomischen Geschlecht ->
Geschlechtsidentität selbst „freischwebender Artefakt“ -> Begriffe „Mann“
und „männlich“ und „Frau“ und
„weiblich“ können männliche und weibliche Körper bezeichnen -> „gender
trouble“ -> Hervorrufung heftiger Reaktionen (sogar feministischen
Forscherinnen, denen „Entleibung“ der Geschlechter zu weit geht oder als eine
postmoderne Denkfigur, als ein Spiel der Beliebigkeit erscheint)
(-> „Aushandeln“ der Geschlechtsidentitäten:
Aufbrechen von vorgegebenen Geschlechterrollen -> Hervorbringen von
verborgenem Selbst, Zulassen von neuen Empfindungen (bis in den Bereich der
körperlichen Eigenbilder und Erfahrungen), Nachdenken über die
Wahlmöglichkeit der Geschlechteridentität unabhängig vom anatomischen
Geschlecht -> radikale Dekonstruktion der Vorstellungen von
geschlechtlicher Identität (Blick vom Ballast überkommener Bilder befreit,
Ermöglichung wirklich grundsätzliche Suche in ideologisch dicht verminten
Gebiet))
Ethnologische Analyse der Geschlechterrollen: Vorschlag
von Butler faszinierend, aber verhängnisvoll in praktizierten Konsequenzen:
„klassische“ Geschlechterrollen enthalten ideologisch vorgeprägte Regeln und
anthropologisch entwickeltes Kulturrepertoire -> Organisation und
Nominierung von gesellschaftlichem und individuellem Verhalten („Kontinuitäten der Erfahrung und
Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit im psychischen und kulturellen
Raum des gesellschaftlich Unbewussten und Vorbewussten angesiedelt“ als
Bestandteil der Identität, die schwer zur Disposition gestellt werden kann)
-> völlige Neukonstruktion von kulturellen Mustern (keine geschlechtlich bipolare Sortierung mehr ->
„ethnologischen Blick“ verwirrt (Merkmalsarsenal von Weiblichkeits- und
Männlichkeitsmustern käme durcheinander)
Nachhaltige Umakzentuierung der
Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen heutzutage in Butlers
Überlegungen mitgedacht
(und Möglichkeit, in diesem Feld der Kultur mit
den „klassischen Mustern“ zu spielen)
Butlers Überlegungen rühren an eine zentrale
Problemdiskussion der Forschung:
Unterschied Feldbetrachtung Forscherin und
Forscher -> Frage nach geschlechtsspezifischer Einfärbung des Feldes
(Kaschuba 1999)
|
Klasse und Stand
20.Jh.
Soziologe Max Weber neue Auffassung
von Gesellschaft und Klassen
Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“:
nicht selbstverständlich, dass ökonomische Lage und soziales Bewusstsein
identisch sind (wissenschaftliches Klassenmodell findet nicht unmittelbare
Entsprechung in Ausdrucksformen von Klassenbewusstsein) -> Klassen (Mehrzahl
eine spezifische ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam, durch
ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und unter den Bedingungen des
(Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt) sind keine Gemeinschafen, sondern
mögliche Grundlagen eines Gemeinschaftshandelns -> Klasse ökonomische
Kategorie und Struktur -> Auskunft über „Klassenlage“ (materielle
Lebensumstände, Besitzverhältnisse und Marktzugänge)
Begriff „Stand“ (Begriff
vorindustrieller Gesellschaft) für Seite des Bewusstseins -> in Ständen
Gemeinschaftsbewusstsein und Gemeinschaftshandeln (Selbstbild der
Gemeinschaft) -> „Gemeinschaftsbewusstsein“ knüpft an gemeinsame ethische
Kritierien, Werthorizont an Normen, Regeln(Regelkreis: verbindlich für jeden,
der Kreis angehören will), Arbeitswerten
und Moralvorstellungen
ökonomisch bestimmte „Klassenlage“
und „ständische Lage“ bezeichnen jede typische Komponente (bestimmt durch
positive oder negative, soziale Einschätzung der „Ehre“) des Lebensschicksals
von Menschen, die sich an gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft
Gruppe: Leben in ähnlichen
Materiellen umständen, ähnliche soziale Regeln
(Kaschuba 1999)
|
…
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Gesellschaftsanalyse
Doppelte Frage: Ob und wie nehmen
Menschen selbst soziale Ungleichheit wahr und wie gelingt es der Wissenschaft,
solche klassifizierenden Wahrnehmungsweisen mit empirisch überprüfbaren
Kriterien und Schichtungsmodell zu verbinden?
Aufgabe: Was Menschen als „soziale
Wirklichkeit“ wahrnehmen, in Begriffe sozialer und kultureller Praxis fassen
und in seinen systematischen materiellen wie ideellen Begriffen erklären
(Ausbalancierung „subjektive“ Wirklichkeitsvorstellung und „objektive“
Wirklichkeitsbeschreibung, „weiche“ Interpretationen und „harte Daten“ in der
Kriterienbildung
(Modell: komplexe
Wirkungszusammenhänge der Alltagswelten in theoretischer Konstruktion zusammengefasst
und vereinfacht)
(ethnologische Betrachtung von
Kultur und Gesellschaft: nicht nur reine Abbildung des „Schichtungmodells“ ->
Analyse dessen was „hinter dem Rücken“ der Menschen geschieht)
Fragt nach markanten sozialen
Strukturen und Klassifikationssystemen (Markierung sozialer Unterschiede und
Ungleichheiten über längere Zeiträume hinweg anhand von spezifischen
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Indikatoren)
Erkenntnistheoretisches Problem: „Deutung
der Gesellschaft konstituiert die Auswahl und Bedeutung der Fakten und nicht
umgekehrt.“(-> Verwendung von Stand, Klasse und Schicht kann wieder
pragmatischer erfolgen und vom marxisitischen oder bürgerlichen
„Gesinnungsverdacht“ befreit werden)
(Kaschuba 1999)
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Wandel
volkskundlicher Kulturmodelle (1960er bis 1980er Jahre)
1960er:
Einfluss
der Sozialwissenschaften -> Wende von „Gemeinschaft“ hin zur
„Gesellschaft“ -> Renovierung Modell
Einfluss
eigene Forschung zur Gegenwartsgesellschaft -> Frage nach
Erscheinungsformen und Entwicklungen der Kultur im gesellschaftlichen
Modernisierungsprozess -> Gegenüberstellung zwei idealtypischer
Kulturräume: ländlicher (kulturelle Homogenität) und städtischer Raum (soziale
Heterogenität) -> Kultursoziologische Überlegungen spielen Rolle bei Nachdenken
über Ursache solcher Standortunterschiede -> Erklärungssuche in Geschichte
statt in Gesellschaft
Historischer
Forschungsbereich: Arbeiter neben oder gar vor das Dorf als soziales Unten
1970er:
Ausbruch
von Kontroversen (Beschreibung des gesellschaftlichen Hintergrunds von Kultur
im Sinne politischer Machtverhältnisse und Ressourcenverteilungen) ->
Politisierung des Fachs (herrschaftsorientierter Gesellschafts- und
Kulturbegriff war und blieb (Gegenwartskulturanalyse)umstritten)
1980er:
Frage
nach Verlängerung des Befunds eines bürgerlich-proletarischen
Kulturantagonsimus in Gegenwart ausgewichen -> Debatte über „Ende der
Arbeiterkultur“ in Nachkriegszeit zuerst öffentliche Diskussion dann in
Forschung, da Besserung der Lebenshaltungsstandards der Arbeiterschaft nach
1950, immer dichteres Netz staatlicher Sozialleistungen, Verbesserung der
Lebensqualität (breiterer Zugang zu Wissens- und Kulturgütern (durch
Bildungsexpansion))
Frage
nach Sinnhaftigkeit der Bezeichnung „Klassengesellschaft“ -> Vermutung
einer sich verändernden gesellschaftlichen Ordnung (gekennzeichnet durch
schichtübergreifende Risiko- und Gefährdungspotenziale („Gefährdungsschicksal“)
und Freisetzung des Menschen aus den Lebensformen und
Selbstverständlichkeiten der industriegesellschaftlichen Epoche der Moderne
(„Erschütterung“) -> Pluralisierung und Individualisierung der Lebenslagen)
Beginn
Debatte um spätmoderne Lebens- und Kulturstile
Heute:
Ablesung
sozialer Ungleichheit aus der Differenzbestimmung kultureller Praxen
(Kaschuba
1999)
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Pierre Bourdieu und Die feinen
Unterschiede
Kultursoziologe und Ethnologe
Neues Modell Gesellschaftsanalyse
als Kulturanalyse
1960er:
Bedeutung der Faktoren Bildung und
Erziehung für Herausbildung von Lebensstilmilieus (in westlichen Industriegesellschaften)
1970er:
Studie „Entwurf einer Theorie der
Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft“
Intensive Feldstudien in Algerien
-> Herausarbeitung der symbolischen
Strukturierung sozialer Beziehungssysteme -> Auffindung
hochdifferenzierter kultureller Kode der Verständigung (Schaffung schneller
Klarheit über Absichten, Beziehungen, Rollen und Handlungsweisen der
Beteiligten in Alltagssituation (in kabylischer Gesellschaft) (Kode = festes
Formen- und Regelwerk, Überlieferung über Generationen, Anwendung und Erprobung
auf Gültigkeit in jede Situation neu (gegebenenfalls Umarbeitung)) ->
Begriff des „Kulturellen Habitus“ einer sozialen Gruppe (kulturelle
Regelkenntnis und Deutung, Neuinterpretation und Umdeutung)
„Theorie der Praxis“: Definierung
des Menschen durch Handlung und Art der Handlung (kollektiven Regeln des Tuns
unterworfen)
Praktisches Handeln beinhaltet symbolische
Botschaften -> oft unbewusstes
Erkennengeben, wer man ist, welche Rolle man spielt, welcher Gruppe man
angehört und zu was man sich abgrenzt -> unbewusste „inkorperierte“
Identität (Definierung über Handlungen, Geschmack ,Sprache etc.)
Analytische Anwendung der
Erkenntnisse auf westliche Industriegesellschaften
-> Werk „Die feinen Unterschiede“:
empirische Untersuchungen in der französischen Gegenwartsgesellschaft ->
Herauslesen unterschiedliches „Klassengeschmacks“ und Lebenstils aus
kulturellen Praxisformen und ästhetischen Geschmacksdifferenzen -> Markierung
der Strategie der „Distinktion“ durch feine Unterschiede in Praxisfeldern
(Deutung von Verhaltensmustern als Hinweis auf ein komplexes Lebensstilmuster,
Erkennung und Identifizierung des eigenen sozialen Milieus und bewusste,
symbolische Abgrenzung von anderen)
Geschmack: nicht erlernbare oder
käufliche, auf „habitulisierten“ und „inkorporierten“ Erfahrungen, die in
Sozialisationskontexten erlernt wurden und als einzig Passendes erscheinen,
basierende, ästhetische Gestaltung der Lebensführung, die Grundlage des
Habens und der Wirkung auf andere ist; feine Unterschiede markieren
Geschmacksskala (Markierung und Analysierung komplexer sozialer
Situation)-> Klassifizierung erfolgt durch Menschen jeden Tag -> selber
Prozess, jedoch reflektiert in der Wissenschaft
Theorie der Kulturpraxis: in oberen
Klassen als empirische Übung bereits zuvor vorhanden (schon hunderte Jahre
vor empirischer Entdeckung)
Systematische Beschreibung sozialer
Situation: Rückgriff auf Marx Begriffe „Klasse“ und „Kapital“ und neue
Definierung:
Klasse: konstituiert sich in
„klassifizierenden Akten“ (Selbstpositionierung und Zuordnung zu sozialem
Praxissystem durch soziale Akteure -> Menschen machen soziale Ordnung
selbst aus unterschiedlichen Positionen und mit unterschiedlichen
Möglichkeiten)
Kapital: Auffächerung in
verschiedene Kapitalbegriffe: ökonomisches Kapital, soziales Kapital,
kulturelles Kapital (bestimmen in unterschiedlichen Mischung über
individuelle Position im Raum (Klassenposition))
Kultur: zentrale Folie, auf der sich
soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen abbilden: Herrschaftsstruktur der
Gesellschaft, da sie die Praxis verkörpert; Markierung feiner Unterschiede in
der kulturellen Landkarte der Gesellschaft durch Geschmack und Distinktion
->
Bereich der Selbsterkennung und
Abgrenzung
Formulierung soziokultureller
Klassentheorie: Selbstdefinierung sozialer Klassen über in Form und
Sinngebung übereinstimmende kulturelle Praxis (homolog) und distinktive
Abgrenzung zu anderen
Auswirkung auf Kulturanalyse: geschlossene
Theorie kultureller Lebensstile im sozialen Raum: Schwerpunkt auf Handlung, Produktion
der erhobenen Daten von Akteuren selbst -> Verweis auf Gestaltbarkeit und Eingreifmöglichkeit
in soziale Ordnung der Akteure, Verortung des Forschenden im Raum der Lebensstile
(Reflexion der eigenen kulturellen Brille, Forschung als kulturelle
Interaktion)
- >Hohe Akzeptanz in ethnologischer
Forschung
(Kaschuba 1999)
|
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Naturalisierung von Geschlechtern
Geschlechteridentität = performative Leistung (durch gesellschaftliche
Tabus und Tabus erzwungen)
Körper = Art Dramatisierung oder Inszenierung von Möglichkeiten
(hilfreich im Verkörperung und Inszenierung Kultureller Konventionen zu
verstehen)
Geschlechterzugehörigkeit = performativer Akt (sozial erzwungen)
Inneres Selbst: Konstituierung um sozialen Diskurs
Geschlechterzugehörigkeit, natürliche Geschlechtlichkeit, angeblich
natürliche Anziehung durch das andere Geschlecht = unnatürliche Verbindung
kultureller Konstrukte (im Dienste der
Reproduktion)
Aufteilung von Körpern in verschiedene Geschlechter -> Anschein des „Natürlichen“
Annahme: Geschlecht, Geschlechterzugehörigkeit und Heterosexualität =
historische Konstrukte = im Laufe der Zeit Verknüpfung miteinander und
natürliche Verdinglichung (viele kritische Stimmen)
(Butler 2002)
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Von
Frauen- zur Geschlechterforschung
19.Jh.:
Großer
Beitrag der Volkskunde zur Popularisierung des konservativen Bildes von Mann
und Frau (Rhiel)
Beschreibung
Rhiels sozialer und kultureller Bedingtheit der Geschlechtstypologie (restaurative
Arbeitsweise) (Beobachtung Theorie voraus) -> Parallelen zur modernen
kulturanthropologischen Frauenforschung (Vorstellung von Geschlecht als keine
Konstante sondern als historisch wandelbare kulturelle und soziale Konstrukte
19./20.Jh.:
Erwähnung
der Frauen in der Volksunde im Zusammenhang mit Brauch und Sitte (Vielzahl an
Brauchsammlungen: Frau im Zusammenhang mit Volksfrömmigkeit, vielfältigen
Glaubensregeln, Göttinnen, Heiligen, Fest- und Feiertagen, Liebe und Heirat
(Brauchtumsblick auf die Frau)) -> Frauen als Repräsentantinnen (Hüterin der Sitte) und Objekte statt
Subjekte -> Bildung von Stereotypen -> Heroisierung der „germanischen
Frau“
20.Jh.:
Eingehen
auf Frauen in der Geräte- und Arbeiterforschung, jedoch fehlende Auswertung
der gesammelten frauenspezifischen Daten
(Simone
de Beauvoir oder Maurice Merlau-Ponty : Auseinandersetzung mit Unterscheidung
zwischen Geschlecht als natürliches Körpermerkmal und historisch gemachtes
Handlungsresultat
(Butler
2002)
1970er:
Soziologisierung
der Volkskunde
in
allen Forschungsgebieten keine Untersuchung zur Thematik der Frau
Arbeiterforschung
und Güterforschung: Lieferung eines ausschnitthaften Bildes des (ländlichen)
Frauenlebens (Frau als Randerscheinung)
(Paradigmenwechsel
->) (kleinteilige) Alltagsforschung: Alltag der Frau
geschlechterspezifisch, der des Mannes universal
Marx
Theorie: Gefühl der Frauen, in Rolle der Reproduzentinnen verwiesen zu sein
(historische
Betrachtung: Gesamtschaffen der Frauen keine Aufmerksamkeit)
Familienforschung:
einziges Gebiet mit Frauenuntersuchungen -> zunehmende Auseinandersetzung
mit der Frauenproblematik
1980er:
Frauenforschung
„Frauengeschichte“
von Weber-Kellermann wichtige systematische Analyse des historischen
Frauenlebens (wenn auch Ballast der Familienforschung erkennbar)
Gründung
Kommission für Frauenforschung (Deutsche Gesellschaft für Volkskunde) ->
Veranstaltung von Tagungen (Tagung in Tübingen, Freiburg), Diskussion über Entwicklung
der Frauenforschung
Inhaltliche
Neuheiten: Einfluss von feministischen Kritiken an Patriarch, Frauen als
Subjekte untersucht, weibliche Erfahrung und Lebensgeschichte im Zentrum,
Bemühung ignorierte Themen aufzugreifen, große Breite der Fragestellung,
Paradigma der Differenz angezweifelt
Neue
Forschungstendenzen: neue Techniken der Interviewführung und Analyse, neue
Methode der Reflexion, große Breite an interdisziplinären Forschungstendenzen,
additive und kompensatorische Arbeit
1990er:
Geschlechterforschung
J.
Butler „Das Unbehagen des Geschlechts“ („Doing Gender)
Körper
= Produkt sozialer Praxen
Geschlecht
= kulturelle Konstruktion
Heute:
Frauenforschung
noch immer in ihren Anfängen
(Carola
Lipp 2001)
Frauenforschung
im engeren Sinn -> weiter Bereich der Geschlechterkulturen (kaum mehr
überschaubares Spektrum an Publikationen)
Geschlechtergeschichte ->
Überdenken gültiger Grundannahmen und Basiskonzepte der historischen
Gesellschaftsanalyse -> nicht partikulärer Sonderbereich des
geschichtlichen Prozess sondern systematische Dimension unserer Gesellschaftsgeschichte
(sonst Erklärung menschlicher Erfahrungshorizonte und gesellschaftlicher
Machtstrukturen nicht hinreichend möglich)
neue interdisziplinäre
Forschungsstrategien -> disziplinäre Herkunft der Forschenden und
angewandte Methoden und Theorien keine ausschlaggebende (hinderliche) Rolle
mehr, neue Ergebnisse, Quellen und Fragen, nicht erforschbar Scheinendes
erforschbar, interdisziplinäre Weiterentwicklung möglich (Erkenntnisse
verschiedener Disziplinen „gemischt“ (wenig disziplinäre Eitelkeit im
Unterschied zu anderen Disziplinen))
(Kaschuba
1999)
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Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit
Geschlecht als Kategorie -> Betrachtung gesellschaftlicher
Gruppen nicht mehr als /geschlechtsneutral und Beachtung der meist männlichen Vorzeichen, unter denen
untersucht wird, Überarbeitung frauenspezifischer Forschungsthematiken,
Erkennung der Geschlechterwahrnehmung und -beziehung als kulturelles,
soziopolitisches Produkt -> Perspektivwechsel der wissenschaftlichen
Analyse
(Lipp 2001)
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Lektüretabelle, 4. Sitzung, 8.11.2016
I. Fragen (Bitte
beantworten!)
1. Sehen Sie Ihre Notizen
zur den Begriffen „Identität“ und „Ethnizität“/„Ethnisches Paradigma“ durch!
2. Rekapitulieren Sie
Ihr(e) Verständnis(se) von den Perspektiven der Europäischen Ethnologie!
3. Exzerpieren Sie die
Texte gründlich! Ich werde einige Exzerpte in einer der kommenden Sitzungen
einsammeln und kommentieren.
4. Schreiben Sie zwei,
drei, vier, fünf Sätze zu den unter II. aufgeführten Begriffen!
5. Ergänzen Sie die
Begriffsliste!
II. Wichtige
Begriffe und Namen (Bitte näher ausformulieren und Tabelle ergänzen! Welche
Begrifflichkeiten fehlen?)
Horizontale und vertikale
Ungleichheit
Frage nach sozialer Schichtung soziologischer
Betrachtungsweise der Gesellschaft zugehörig ->
Suche nach inneren Gefüge und den
strukturierenden Prinzipien, die eine Gesellschaft ordnen -> Beschreibung
in Modellen ermöglicht Nebeneinander wie Übereinander sozialer Gruppen:
Vorstellung einer horizontalen wie
vertikalen Ordnung (historisch wie empirisch plausible Annahme: Lebenschancen
in Gesellschaft immer systematisch ungleich verteilt)
Modell „horizontaler“ Ungleichheit:
Anderssein vorausgesetzt (verweisend auf Unterschiede der materiellen
Lebensführung und der kulturellen Lebensstilen (Verschiedenartigkeit von
Berufen, Einkommen, Wohnorten, Bildungshorizonten) Modell „vertikaler“
Ungleichheit: Unterschiedliche Ausstattung (Besitz, Bildung, Status) -> klar
abgestufte Hierarchie sozialer Macht und individueller Lebenschancen (dauerhaft
und systematisch): Sozialstatus bestimmt über fundamentale gesellschaftliche
Handlungsoptionen und wird über Generationen vererbt, sozialer Aufstieg oder
Abstieg als Ausnahme)
(Kaschuba 1999)
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Sex und Gender
Sexus: biologisch
Gender: soziale Geschlechtsidentität, Produkt
kultureller Zuschreibung (Folge tradierter, erlernter und wandelbarer
kultureller Konzepte von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“
(Kaschuba 1999)
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Karl Marx' und Max Webers
Gesellschaftstheorie
19./20.Jh.:
einflussreichste Modelle in
Geschichte der Sozialwissenschaften (systematische Analyse der Strukturen
sozialer Ungleichheit) -> Überlegungen zentrale Rolle Diskussion heute
(Weiterverfolgung, kritische Auseinandersetzung mit analytischen Begriffen
und Konzepten, Hinterfragung Sinn Klassen- und Schichtungsmodelle)
Karl Marx Erklärungsmodell
„Politische Ökonomie“:
neue „systematische“ Ungleichheit
durch Epoche Industriekapitalismus in postfeudaler Gesellschaft (Industriegesellschaft)
Ungleichheit strukturiert durch „Produktionsverhältnisse“
(ungleiche Verteilung der Mittel der Erhaltung und Gestaltung menschlichen
Lebens): Besitz Kapital (Produktionsmittel): „Bourgoisie“ (großes Bürgertum)/
körperliche und geistige Arbeitskraft: Proletariat (Lohnarbeiterschaft) ->
unüberbrückbarer Interessensgegensatz von Kapital und Arbeit (da
kapitalistische Markt Arbeitskraft zur „Ware“ macht (Erträge privat angeeignet,
muss sich selbst verkaufen))
->zwei Klassen (als Resultat
ökonomischer Strukturen und daraus resultierenden politischer Macht
(„Politische Ökonomie“)), die
Interessensgegensatz und
unterschiedliche „Klassenlage“ in ihrer subjektiven Lebenswirklichkeit
erfahren
Erfahrungs- und Lernprozess:
„Klassenlage“ führt zu „Klassenbewusstsein“
Klassenmodell: entspricht den
sozialen Erfahrungen, die sich in Lebenswelten der beginnenden Industriegesellschaft
herausbilden -> Stichwortgebende Theorie damit Menschen Erfahrungen
erkennen und sich in dessen Namen mit politischer Absicht versammeln -> Versuch
der „unterdrückten Klassen“, die gesellschaftliches Reichtum schaffen, „Produktionsverhältnisse“ zu verändern und
dass politische Gesellschaftssystem in Richtung einer herrschaftsfreien
Ordnung zu verändern
Soziologe Max Weber andere
Auffassung von Gesellschaft und „Klassen“ gegenüber. -> Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“:
Klassen sind nur mögliche Grundlagen eines Gemeinschaftshandelns -> Klasse
bleibt ökonomische Kategorie und Struktur, die zunächst nur Auskunft gibt
über die „Klassenlage“ gibt ->
Für Seite des Bewusstseins Begriff
„Stand“: „Gemeinschaftsbewusstsein“ knüpft an gemeinsame ethische Kriterien,
Werthorizont an Normen, Regeln, Arbeitswerten und Moralvorstellungen, die das
Bewusstsein der Zusammengehörigkeit erzeugen
Marx versus Weber
„Klassenbewusstsein“ – „ständisches Bewusstsein“ („Idealtypus
sozialen Gemeinschaftsdenkens und Gemeinschaftshandelns“)
Lösung Interessensgegensätze im politischen Klassenkampf –Lösung
in wachsender „Vergesellschaftung“ ehemals lokaler Lebensformen und
Lebensstile, die in der modernen Gesellschaft in Gestalt von
Institutionalisierungs- und Uniformierungsprozessen notwendig fortschreitet
Verbindung der Theorien
Entwurf analytisches Modell (systematische Erfassung Bedingungen
gesellschaftlicher Ordnung und politischer Herrschaft)
Rückbindung Modell an Formen sozialer Erfahrung und Wahrnehmung (vorwissenschaftliches
Verständnis von „Wirklichkeit“)
->Heute Diskussion über Aktualität Überlegungen Marx und
Weber
->Marx Renaissance in 1970er Jahren
->Weber Renaissance heutzutage
(Kaschuba 1999)
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Judith Butler und Negotiating Gender
„Negotiating gender“: provokanter Denkanstoß: Geschlechtsidentität
in jeder Gesellschaft neu „verhandelbar“
Judith Butler: „Begriff „Geschlechtsidentität“ bezeichnet
kulturelle Bedeutungen des sexuell bestimmten Körpers -> keine
Geschlechtsidentität folgt dem biologischen Geschlecht -> Unterscheidung
anatomisches Geschlecht/Geschlechtsidentität bis an logische Grenze treiben
-> grundlegende Diskontinuität zwischen den sexuell bestimmten Körper und
den kulturell bedingten Geschlechtsidentitäten -> kulturell bedingter Status
der Geschlechtsidentität unabhängig vom anatomischen Geschlecht ->
Geschlechtsidentität selbst „freischwebender Artefakt“ -> Begriffe „Mann“
und „männlich“ und „Frau“ und
„weiblich“ können männliche und weibliche Körper bezeichnen -> „gender
trouble“ -> Hervorrufung heftiger Reaktionen (sogar feministischen
Forscherinnen, denen „Entleibung“ der Geschlechter zu weit geht oder als eine
postmoderne Denkfigur, als ein Spiel der Beliebigkeit erscheint)
(-> „Aushandeln“ der Geschlechtsidentitäten:
Aufbrechen von vorgegebenen Geschlechterrollen -> Hervorbringen von
verborgenem Selbst, Zulassen von neuen Empfindungen (bis in den Bereich der
körperlichen Eigenbilder und Erfahrungen), Nachdenken über die
Wahlmöglichkeit der Geschlechteridentität unabhängig vom anatomischen
Geschlecht -> radikale Dekonstruktion der Vorstellungen von
geschlechtlicher Identität (Blick vom Ballast überkommener Bilder befreit,
Ermöglichung wirklich grundsätzliche Suche in ideologisch dicht verminten
Gebiet))
Ethnologische Analyse der Geschlechterrollen: Vorschlag
von Butler faszinierend, aber verhängnisvoll in praktizierten Konsequenzen:
„klassische“ Geschlechterrollen enthalten ideologisch vorgeprägte Regeln und
anthropologisch entwickeltes Kulturrepertoire -> Organisation und
Nominierung von gesellschaftlichem und individuellem Verhalten („Kontinuitäten der Erfahrung und
Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit im psychischen und kulturellen
Raum des gesellschaftlich Unbewussten und Vorbewussten angesiedelt“ als
Bestandteil der Identität, die schwer zur Disposition gestellt werden kann)
-> völlige Neukonstruktion von kulturellen Mustern (keine geschlechtlich bipolare Sortierung mehr ->
„ethnologischen Blick“ verwirrt (Merkmalsarsenal von Weiblichkeits- und
Männlichkeitsmustern käme durcheinander)
Nachhaltige Umakzentuierung die
Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen heutzutage in Butlers
Überlegungen mitgedacht
(und Möglichkeit, in diesem Feld der Kultur mit
den „klassischen Mustern“ zu spielen)
Butlers Überlegungen rühren an eine zentrale
Problemdiskussion der Forschung:
Unterschied Feldbetrachtung Forscherin und
Forscher -> Frage nach geschlechtsspezifischer Einfärbung des Feldes
(Kaschuba 1999)
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Klasse und Stand
20.Jh.
Soziologe Max Weber neue Auffassung
von Gesellschaft und Klassen
Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“:
nicht selbstverständlich, dass ökonomische Lage und soziales Bewusstsein
identisch sind (wissenschaftliches Klassenmodell findet nicht unmittelbare
Entsprechung in Ausdrucksformen von Klassenbewusstsein) -> Klassen (Mehrzahl
eine spezifische ursächliche Komponente ihrer Lebenschancen gemeinsam, durch
ökonomische Güterbesitz- und Erwerbsinteressen und unter den Bedingungen des
(Güter- oder Arbeits-) Markts dargestellt) sind keine Gemeinschafen, sondern
mögliche Grundlagen eines Gemeinschaftshandelns -> Klasse ökonomische
Kategorie und Struktur -> Auskunft über „Klassenlage“ (materielle
Lebensumstände, Besitzverhältnisse und Marktzugänge)
Begriff „Stand“ (Begriff
vorindustrieller Gesellschaft) für Seite des Bewusstseins -> in Ständen
Gemeinschaftsbewusstsein und Gemeinschaftshandeln (Selbstbild der
Gemeinschaft) -> „Gemeinschaftsbewusstsein“ knüpft an gemeinsame ethische
Kritierien, Werthorizont an Normen, Regeln(Regelkreis: verbindlich für jeden,
der Kreis angehören will), Arbeitswerten
und Moralvorstellungen
ökonomisch bestimmte „Klassenlage“
und „ständische Lage“ bezeichnen jede typische Komponente (bestimmt durch
positive oder negative, soziale Einschätzung der „Ehre“) des Lebensschicksals
von Menschen, die sich an gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft
Gruppe: Leben in ähnlichen
Materiellen umständen, ähnliche soziale Regeln
(Kaschuba 1999)
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…
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Gesellschaftsanalyse
Doppelte Frage: Ob und wie nehmen
Menschen selbst soziale Ungleichheit wahr und wie gelingt es der Wissenschaft,
solche klassifizierenden Wahrnehmungsweisen mit empirisch überprüfbaren
Kriterien und Schichtungsmodell zu verbinden?
Aufgabe: Was Menschen als „soziale
Wirklichkeit“ wahrnehmen, in Begriffe sozialer und kultureller Praxis fassen
und in seinen systematischen materiellen wie ideellen Begriffen erklären
(Ausbalancierung „subjektive“ Wirklichkeitsvorstellung und „objektive“
Wirklichkeitsbeschreibung, „weiche“ Interpretationen und „harte Daten“ in der
Kriterienbildung
(Modell: komplexe
Wirkungszusammenhänge der Alltagswelten in theoretischer Konstruktion zusammengefasst
und vereinfacht)
(ethnologische Betrachtung von
Kultur und Gesellschaft: nicht nur reine Abbildung des „Schichtungmodells“ ->
Analyse dessen was „hinter dem Rücken“ der Menschen geschieht)
Fragt nach markanten sozialen
Strukturen und Klassifikationssystemen (Markierung sozialer Unterschiede und
Ungleichheiten über längere Zeiträume hinweg anhand von spezifischen
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Indikatoren)
Erkenntnistheoretisches Problem: „Deutung
der Gesellschaft konstituiert die Auswahl und Bedeutung der Fakten und nicht
umgekehrt.“(-> Verwendung von Stand, Klasse und Schicht kann wieder
pragmatischer erfolgen und vom marxisitischen oder bürgerlichen
„Gesinnungsverdacht“ befreit werden)
(Kaschuba 1999)
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Wandel
volkskundlicher Kulturmodelle (1960er bis 1980er Jahre)
1960er:
Einfluss
der Sozialwissenschaften -> Wende von „Gemeinschaft“ hin zur
„Gesellschaft“ -> Renovierung Modell
Einfluss
eigene Forschung zur Gegenwartsgesellschaft -> Frage nach
Erscheinungsformen und Entwicklungen der Kultur im gesellschaftlichen
Modernisierungsprozess -> Gegenüberstellung zwei idealtypischer
Kulturräume: ländlicher (kulturelle Homogenität) und städtischer Raum (soziale
Heterogenität) -> Kultursoziologische Überlegungen spielen Rolle bei Nachdenken
über Ursache solcher Standortunterschiede -> Erklärungssuche in Geschichte
statt in Gesellschaft
Historischer
Forschungsbereich: Arbeiter neben oder gar vor das Dorf als soziales Unten
1970er:
Ausbruch
von Kontroversen (Beschreibung des gesellschaftlichen Hintergrunds von Kultur
im Sinne politischer Machtverhältnisse und Ressourcenverteilungen) ->
Politisierung des Fachs (herrschaftsorientierter Gesellschafts- und
Kulturbegriff war und blieb (Gegenwartskulturanalyse)umstritten)
1980er:
Frage
nach Verlängerung des Befunds eines bürgerlich-proletarischen
Kulturantagonsimus in Gegenwart ausgewichen -> Debatte über „Ende der
Arbeiterkultur“ in Nachkriegszeit zuerst öffentliche Diskussion dann in
Forschung, da Besserung der Lebenshaltungsstandards der Arbeiterschaft nach
1950, immer dichteres Netz staatlicher Sozialleistungen, Verbesserung der
Lebensqualität (breiterer Zugang zu Wissens- und Kulturgütern (durch
Bildungsexpansion))
Frage
nach Sinnhaftigkeit der Bezeichnung „Klassengesellschaft“ -> Vermutung
einer sich verändernden gesellschaftlichen Ordnung (gekennzeichnet durch
schichtübergreifende Risiko- und Gefährdungspotenziale („Gefährdungsschicksal“)
und Freisetzung des Menschen aus den Lebensformen und
Selbstverständlichkeiten der industriegesellschaftlichen Epoche der Moderne
(„Erschütterung“) -> Pluralisierung und Individualisierung der Lebenslagen)
Beginn
Debatte um spätmoderne Lebens- und Kulturstile
Heute:
Ablesung
sozialer Ungleichheit aus der Differenzbestimmung kultureller Praxen
(Kaschuba
1999)
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Pierre Bourdieu und Die feinen
Unterschiede
Kultursoziologe und Ethnologe
Neues Modell Gesellschaftsanalyse
als Kulturanalyse
1960er:
Bedeutung der Faktoren Bildung und
Erziehung für Herausbildung von Lebensstilmilieus (in westlichen
Industriegesellschaften)
1970er:
Studie „Entwurf einer Theorie der
Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft“
Intensive Feldstudien in Algerien
-> Herausarbeitung der symbolischen
Strukturierung sozialer Beziehungssysteme -> Auffindung
hochdifferenzierter kultureller Kode der Verständigung (Schaffung schneller
Klarheit über Absichten, Beziehungen, Rollen und Handlungsweisen der
Beteiligten in Alltagssituation (in kabylischer Gesellschaft) (Kode = festes
Formen- und Regelwerk, Überlieferung über Generationen, Anwendung und Erprobung
auf Gültigkeit in jede Situation neu (gegebenenfalls Umarbeitung)) ->
Begriff des „Kulturellen Habitus“ einer sozialen Gruppe (kulturelle
Regelkenntnis und Deutung, Neuinterpretation und Umdeutung)
„Theorie der Praxis“: Definierung
des Menschen durch Handlung und Art der Handlung (kollektiven Regeln des Tuns
unterworfen)
Praktisches Handeln beinhaltet symbolische
Botschaften -> oft unbewusstes
Erkennengeben, wer man ist, welche Rolle man spielt, welcher Gruppe man
angehört und zu was man sich abgrenzt -> unbewusste „inkorperierte“
Identität (Definierung über Handlungen, Geschmack ,Sprache etc.)
Analytische Anwendung der
Erkenntnisse analytisch auf westliche Industriegesellschaften
-> Werk „Die feinen
Unterschiede“: empirische Untersuchungen in der französischen
Gegenwartsgesellschaft -> Herauslesen unterschiedliches
„Klassengeschmacks“ und Lebenstils aus kulturellen Praxisformen und
ästhetischen Geschmacksdifferenzen -> Markierung der Strategie der
„Distinktion“ durch feine Unterschiede in Praxisfeldern (Deutung von
Verhaltensmustern als Hinweis auf ein komplexes Lebensstilmuster, Erkennung
und Identifizierung des eigenen sozialen Milieus und bewusste, symbolische
Abgrenzung von anderen)
Geschmack: nicht erlernbare oder
käufliche, auf „habitulisierten“ und „inkorporierten“ Erfahrungen, die in
Sozialisationskontexten erlernt wurden und als einzig Passendes erscheinen,
basierende, ästhetische Gestaltung der Lebensführung, die Grundlage des
Habens und der Wirkung auf andere ist; feine Unterschiede markieren
Geschmacksskala (Markierung und Analysierung komplexer sozialer
Situation)-> Klassifizierung erfolgt durch Menschen jeden Tag -> selber
Prozess, jedoch reflektiert in der Wissenschaft
Theorie der Kulturpraxis: in oberen
Klassen als empirische Übung bereits zuvor vorhanden (schon hunderte Jahre
vor empirischer Entdeckung)
Systematische Beschreibung sozialer
Situation: Rückgriff auf Marx Begriffe „Klasse“ und „Kapital“ und neue
Definierung:
Klasse: konstituiert sich in
„klassifizierenden Akten“ (Selbstpositionierung und Zuordnung zu sozialem
Praxissystem durch soziale Akteure -> Menschen machen soziale Ordnung
selbst aus unterschiedlichen Positionen und mit unterschiedlichen
Möglichkeiten)
Kapital: Auffächerung in
verschiedene Kapitalbegriffe: ökonomisches Kapital, soziales Kapital,
kulturelles Kapital (bestimmen in unterschiedlichen Mischung über
individuelle Position im Raum (Klassenposition))
Kultur: zentrale Folie, auf der sich
soziale Ungleichheit und Klassenstrukturen abbilden: Herrschaftsstruktur der
Gesellschaft, da sie die Praxis verkörpert; Markierung feiner Unterschiede in
der kulturellen Landkarte der Gesellschaft durch Geschmack und Distinktion
->
Bereich der Selbsterkennung und Abgrenzung
Formulierung soziokultureller
Klassentheorie: Selbstdefinierung sozialer Klassen über in Form und
Sinngebung übereinstimmende kulturelle Praxis (homolog) und distinktive
Abgrenzung zu anderen
Auswirkung auf Kulturanalyse: geschlossene
Theorie kultureller Lebensstile im sozialen Raum: Schwerpunkt auf Handlung, Produktion
der erhobenen Daten von Akteuren selbst -> Verweis auf Gestaltbarkeit und Eingreifmöglichkeit
in soziale Ordnung der Akteure, Verortung des Forschenden im Raum der Lebensstile
(Reflexion der eigenen kulturellen Brille, Forschung als kulturelle
Interaktion)
- >Hohe Akzeptanz in ethnologischer
Forschung
(Kaschuba 1999)
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Naturalisierung von Geschlechtern
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Von
Frauen- zur Geschlechterforschung
19.Jh.:
Großer
Beitrag der Volkskunde zur Popularisierung des konservativen Bildes von Mann
und Frau (Rhiel)
Beschreibung
Rhiels sozialer und kultureller Bedingtheit der Geschlechtstypologie
(Beobachtung Theorie voraus) -> Parallelen zur modernen
kulturanthropologischen Frauenforschung (Vorstellung von Geschlecht als keine
Konstante sondern als historisch wandelbare kulturelle und soziale Konstrukte
19./20.Jh.:
Erwähnung
der Frauen in der Volksunde im Zusammenhang mit Brauch und Sitte (Vielzahl an
Brauchsammlungen: Frau im Zusammenhang mit Volksfrömmigkeit, vielfältigen
Glaubensregeln, Göttinnen, Heiligen, Fest- und Feiertagen, Liebe und Heirat
(Brauchtumsblick auf die Frau)) -> Frauen als Repräsentantinnen statt Personen
-> Bildung von Stereotypen -> Heroisierung der „germanischen Frau“
20.Jh.:
Eingehen
auf Frauen in der Geräte- und Arbeiterforschung, jedoch fehlende Auswertung
der gesammelten frauenspezifischen Daten
1970er:
in
allen Forschungsgebieten keine Untersuchung zur Thematik der Frau
Arbeiterforschung
und Güterforschung: Lieferung eines ausschnitthaften Bildes des (ländlichen)
Frauenlebens (Frau als Randerscheinung)
Alltagsforschung:
Alltag der Frau geschlechterspezifisch, der des Mannes universal
Marx
Theorie: Gefühl der Frauen, in Rolle der Reproduzentinnen verwiesen zu sein
(historische
Betrachtung: Gesamtschaffen der Frauen keine Aufmerksamkeit)
Familienforschung:
einziges Gebiet mit Frauenuntersuchungen -> zunehmende Auseinandersetzung
mit der Frauenproblematik
1980er:
Frauenforschung
„Frauengeschichte“
von Weber-Kellermann wichtige systematische Analyse des historischen
Frauenlebens (wenn auch Ballast der Familienforschung erkennbar)
Gründung
Kommission für Frauenforschung (Deutsche Gesellschaft für Volkskunde) ->
Veranstaltung von Tagungen, Diskussion über Entwicklung der Frauenforschung
Inhaltliche
Neuheiten: Einfluss von feministischen Kritiken an Patriarch, Frauen als
Subjekte untersucht, weibliche Erfahrung und Lebensgeschichte im Zentrum,
Bemühung ignorierte Themen aufzugreifen, große Breite der Fragestellung
Neue
Forschungstendenzen: neue Techniken der Interviewführung und Analyse, neue
Methode der Reflexion, große Breite an interdisziplinären Forschungstendenzen
Heute:
Frauenforschung
noch immer in ihren Anfängen
(Carola
Lipp 2001)
Frauenforschung
im engeren Sinn -> weiter Bereich der Geschlechterkulturen (kaum mehr
überschaubares Spektrum an Publikationen)
Geschlechtergeschichte ->
Überdenken gültiger Grundannahmen und Basiskonzepte der historischen
Gesellschaftsanalyse -> nicht partikulärer Sonderbereich des
geschichtlichen Prozess sondern systematische Dimension unserer Gesellschaftsgeschichte
(sonst Erklärung menschlicher Erfahrungshorizonte und gesellschaftlicher
Machtstrukturen nicht hinreichend möglich)
neue interdisziplinäre
Forschungsstrategien -> disziplinäre Herkunft der Forschenden und
angewandte Methoden und Theorien keine ausschlaggebende (hinderliche) Rolle
mehr, neue Ergebnisse, Quellen und Fragen, nicht erforschbar Scheinendes
erforschbar, interdisziplinäre Weiterentwicklung möglich (Erkenntnisse
verschiedener Disziplinen „gemischt“ (wenig disziplinäre Eitelkeit im
Unterschied zu anderen Disziplinen))
(Kaschuba
1999)
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Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit
Geschlecht als Kategorie -> Betrachtung gesellschaftlicher
Gruppen nicht mehr als geschlechtsneutral und Beachtung der meist männlichen
Vorzeichen, unter denen untersucht wird, Überarbeitung frauenspezifischer
Forschungsthematiken, Erkennung der Geschlechterwahrnehmung und –beziehung
als kulturelles, soziopolitisches Produkt -> Perspektivwechsel der
wissenschaftlichen Analyse
(Lipp 2001)
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