Brief
24. Dezember, 1918, Keine halbe Stunde Fahrt entfernt von
New York
Elizabeth,
wie kann ich jemals in Worte fassen was mir in den letzten
Tagen widerfahren ist. Glaub mir, kein dreckiger erbärmlicher Satz vermag es,
mein Seelenglück auf diesem schäbigen Papier für dich nachempfindbar zu machen.
Ich sitze seit meinem Friseurtermin am frühen Nachmittag hier und verzweifle
über das Unvermögen der Sprache. Sie kann nichts. Manchmal können Bilder dieses
Unvermögen kompensieren und man bedient sich in einem Satz nach dem anderen an
den fantastischsten Metaphern. Die Sprache alleine jedoch, das Wort alleine,
Elizabeth, das Wort kann nichts. Ich werde nur noch sprechen, wenn es zum
lebensnotwendigen Stillen meiner Grundbedürfnisse dient, andernfalls gebe ich
auf irgendetwas zu erläutern, denn jeder solcher Versuche muss kläglich
scheitern. Sobald man ein Gefühl verschriftlicht wird es klein und verstirbt
noch im selben Moment, begraben unter schwerer Tinte, gebetet auf schneidenden
Papier.
Entschuldige diese Abhandlungen, dabei wollte ich dir nur
einen dieser belanglosen Weihnachtsbriefe schicken, die man alle Jahre in einer
Box stapelt, bis man diese öffnet und unter einem herausfliegendem Meer aus
Briefen und Karten begraben wird und das Wegwerfen des Boxen Inhaltes logische
Folge ist. Hierbei wollte ich dir von meinem neuen Auto erzählen, dann die
Thematik der kritischen Stimme an Mr. Forts wirtschaftlichen Zielen abhandeln,
über die leisen Versprechen des Friedens diskutieren, und schlussendlich hätte
ich mich scheinbar, und ich betone scheinbar, interessiert gezeigt, wie es
deiner greisen Tante aus Alabama geht und ob du dieses Jahr eine Auszeichnung
für die Erhaltung des wirtschaftlichen Sektors des Blumenhandels in deiner
Region erhältst, oder vielleicht doch eher ein Clubbeitrittsangebot des
Vereines für private Begräbnisgestaltung. Du hättest gelacht, obwohl du dich
deiner Respektlosigkeit deiner doch in relativ kurzem Zeitraum zahlreich
verstorbenen Verwandten, allen voran dieser liebreizenden Tante, geschämt
hättest. Dann hättest du, und keine Angst so etwas nehme ich nicht persönlich,
meinen Brief extra nicht in die Box gelegt, da unsere jahrelange Freundschaft
Grund genug darstellte auf diesen Brief, trotz seiner unglaublich schwer zu
ertragenden Belanglosigkeit, zu antworten. Doch dann hättest du dich um den
Truthahn kümmernd oder die Geschenke in kinderfreie Zone versteckend, eine
Vielzahl an Ausreden gehabt nicht oder dann im Neuen zu antworten. Kurzum
früher oder später wäre der Brief in der Box gelandet und das nehme ich dir bei
Gott nicht übel.
Doch dieses Jahr kann Henry Fort in Konkurs gehen und deine
Verwandten Charleston um ihre gottverdammten Gräber tanzen, es ist mir
einerlei. Dieses Jahr, Elizabeth, dieses Jahre ist Weihnachten nicht mehr das
langweiligste, nervenaufreibendste Fest nach dem Geburtstag der Queen. Dieses
Ereignis an Langeweile zu überbieten ist beinahe unmöglich, was ich aus den
Radioübertragungen, die aus unerfindlichsten Gründen die ganze Welt über das
Kerzenausblasen und die gratulierenden Lords informiert, erschließe, denen man
sich als unterbeschäftigter Soldat wiederum schwer entziehen kann. Grund dafür
könnte die unglaubliche Abhängigkeit von dem Radio sein in den unendlich langen
Stunden der Freizeit die wir genießen müssen. Doch ich schweife ab.
Meine weihnachtliche Abneigung wurde gesteigert, als ich das
Haus meiner lieben Mutter vor mir sah und die Schatten, die durch die seidenen
Vorhängen zu erkennen waren, die auf die übliche Anzahl an Gästen schließen
ließen, welche sowohl Besinnlichkeit und Intimität, wie auch, und dies war unweigerlich
mit Alter und provinzieller Herkunft der Gäste verbunden, eine
erinnerungswürdige Party, ausschloss.
Zu feste Händedrucke zu weit entfernter Verwandten, das
fordernde Verlangen nach Handküssen Damen, die im besten Fall aus der
Elterngenerationen stammen, und Gespräche über Regionalpolitik mit Vater und
Großvater falls dieser den Weg von der
Mini-Bar in den Salon schafft.
Du kennst mich und meine Reaktion eines raschen
Verschwindens in die recht separat gelegenen Bibliothek mit einem guten Gläschen
und möglichst unauffällig, dürfte dich nicht weiter verwundern. Doch ich kam
nicht zur Bibliothek, da das Klavierzimmer offen stand und das Klavier, das dem
Zimmer den Namen verlieh, doch sonst wenig Funktion in diesem Haushalt besaß
wurde tatsächlich in diesem Moment angeschlagen. Sanft und zögernd erklang eine
klassische Melodie, doch meine peinlich gering vorhandenen Kenntnisse erlaubten
mir keine Zuordnung. Ich lugte durch den Spalt und erblickte blondes Haar, kurz
wie das eines Schulbuben, doch eindeutig zu sorgfältig in Form gebracht, um von
einem zu stammen. Ich hörte die schweren Schritte meines Vaters über den Gang,
entschied einem weiteren Gespräch mit ihm in jedem Falle aus dem Weg gehen zu
wollen und öffnete mit einem Ruck die Tür. Das Glas schwappte über und ergoss
sich über meine feine Hose. Ich schluckte und sah an mir herab. Doch die Person
spielte weiter, vollkommen unbeirrt. Ein Gruß, eine Frage nach der Herkunft des
Liedes und eine Entschuldigung für das plötzliche unerlaubte erscheinen, dann
drehte sie sich um. Sie sah mich an und grinste unmerklich und fragte nach
meiner Meinung zu den Karrierechancen eines gewissen Cole Porters. Ich
erwiderte, dass ich nur höre, was im Radio gesendet werde. Kein Entsetzen, nur
ein Blick aus dem Fenster, als müsste sie einen Augenblick nachdenken, wie sie
am besten beginne und dann spielte Liz uns sang ein Lied von Kokain, Alkohol
und eng umschlungenes Tanzen. Sie bat mich sich neben sie zu setzen und ich
hörte zu und sah sie an und, Elizabeth, sie war so schön. Ihre Schläfen, die
nur durch wenige blondierte Strähnen verdeckt waren, ihr Nasenrücken sanft
gebogen, ihr Wimpernschlag wie ein dichtes Federkleid über ihren dunklen Augen,
die konzentriert auf die Tasten sahen ohne dabei angestrengt zu wirken. Ihre
nackte Schulter streifte gelegentlich meinen Oberarm und obwohl ich Angst hatte
sie in ihren Bewegungen einzuschränken, wagte ich nicht ihn zurückzuziehen.
Elizabeth, hier will ich aufhören, weil keine Worte zu finden sind, die die
folgende Vorfälle zu erzählen würdig wären.
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