Kurzgeschichte



Als er an diesem Sonntag aufwachte, hielt er die Augen geschlossen.
Er wollte das Licht, so wie es durch das Fenster seines Schlafzimmers, gedämpft und gefärbt von seinen dunklen Vorhängen, drang, nicht zu seinem Auge lassen.  Er wollte überhaupt nicht wach werden, wenn es nicht endlich einmal so geschah, wie er es sich ausmalte. Dabei waren seine Anforderungen bescheiden. Er wollte bloß aufwachen ohne zu fühlen, wie alle an ihm zerren. Er hatte die Kraft seiner Gedanken schnell zu respektieren gelernt. Sie zerrissen ihn in Stücke. Dann lag er da. Gerade aufgewacht, sieht er aus dem Winkel seines einen Auges auf der Matratzenkante seine rechte Hand, die sich, die Luft betastend, in Richtung Klavier drehte. Weiter unten stieß die Ferse gegen die Bettkante und drängte ihrem Bewegungsdrang gerecht zu werden. Anders verhielt es sich mit seinem Bein. Es schluchzte, jemand solle es eincremen. Die Gelenksschmerzen im Knie, sie bräuchten die Salbe aus der Apotheke. Sein Oberkörper hing flach und mager schräg übe dem Kopfende und warf mit letzter Kraft die oberen Wirbel rhythmisch gegen die Wand, die das Schlafzimmer von der Küche trennte, nur die Schultern blieben starr und murmelten verärgert über die Last der Verspannungen, dem Stress sollte Einhalt geboten werden. Die linke Hand drückte den Zeigefinger gegen den Daumen und Muster in das Leintuch. Seine Arme stemmten gegen die Wände, erinnerten an ihre Schlaffheit, wollten Muskeln. Seine Ohren drückten sich zusammengerollt in die Ecke, in welche eine untere Bettkante geschoben war,  verweigerten sich dem Aufnehmen der Geräusche. Seine Nasenflügel weiteten sich und zogen sich zusammen. Sie vernahmen den Geruch des frischen Brots, dass Mutter allmorgendlich vom Bäcker holte und machten seinen Kopf auf den Geruchsfaden, der unter dem Türschlitz gezogen worden war, aufmerksam. Dieser wünschte sich für einen kleinen Moment, er könnte aus seinem Zimmer gehen, ohne auf jene zu treffen, die ihm jeden Tag einen guten Morgen wünschten, ihm das Brot in die Aktentasche steckten, nach der Lage der Finanzen fragten. Das Herz, das eigentlich in seinem Brustkorb mit regelmäßigen Schlägen seinen Körper stärken sollte, hüpfte aufgeregt über die zusammengelegte Tagesdecke. Es sang mit unbeschwerter Kinderstimme von Liebe und Menschen. In seinem Kopf löste das Lied Gewissensbisse aus. Er durchforstete den Kalender, drückte freie Seiten gegen die Schläfen. Er hatte so manchem seine Hilfe angeboten. Ein Umzug, eine Krankheit, eine Verwaltungsangelegenheit. Er sollte seine Versprechen nicht vergessen. Doch sein Kopf selbst, nahm all das nur am Rande war. Er hatte eine Arbeitsteilung eingeleitet und so lagen die beiden Gehirnhälften leicht separiert auf dem Polster. Während eine Erinnerungen und Geschehnissen schon längst vergangener Tage immer wieder lebendig machte, dachte die andere über die Zukunft nach, über die Zeit, die er noch vor wenigen Wochen so wundervoll entschleunigen konnte, ihr jedoch nun schlaff und machtlos beim verziehen zusah, über die Jahre, in denen der Tod nie weg, sondern immer näher rückte, auch wenn er manchmal ferner schien und über die Menschheit, deren Bedeutung ihm unklar schien. Doch das, was ihn am meisten aus dem Konzept brachte, waren nicht seine aufgewühlten Körperpartien, sondern viel mehr, dass er ihnen allen liebend gern nachgab und nicht verstand, weshalb sie nicht ruhig beieinander blieben. Nicht einmal seine Gedanken konnten ihm noch etwas anhaben, er kannte sie schon, hatte sogar jene, die eine erschreckende Ziellosigkeit besaßen, so oft durchgedacht, dass er ihnen durch diese Vertrautheit etwas von ihrem Schrecken genommen hatte. Da spürte er seine Hüfte, die als einzige an ihrem Platz geblieben war, und befahl mit letzten mentalen Kräften, all den anderen Bruchstücken seiner selbst leise zu sein, sodass er ihr leises murmeln hören konnte. Und er hörte sie flüstern, spürte die leichte Wärme zwischen seinen Hüftknochen. Sein Unterleib sprach von langem Haar und seine Augen horchten auf und schmiegten sich in seinen Schädel. Es sprach von langen Gesprächen nachts und seine Ohren lauschten und bogen sich links und rechts seiner Augen zu recht. Es erzählte von weicher Haut und seine Finger entspannten sich und beide Hände legten sich unter die Bettdecke. Es sprach von wohligen Morgen, an denen die Sonne durch die Jalousien auf die nackten Füße scheint, die unter der gemeinsamen Bettdecke hervorlugen und seine Ferse entspannte sich und schob sich unter die Decke. Es sprach von gemeinsamen Wegen auf denen man vergisst, darüber nachzudenken, weshalb oder ob man glücklich sein darf, und seine Beine schoben sich sanft zwischen Unterleib und Knöchel. Seine Arme beendeten ihren sportlichen Akt, als sie von innigen Umarmungen in den Wintermonaten hörten. Sein Oberkörper und seine Schulter rutschten das Kopfende herab und legten sich zwischen Hals und Unterleib, da dieser von der Wärme eines fremden Kopfs, der auf dem Brustkorb ruhte sprach. Seine Nase zierte sich, doch sie schlummerte schlussendlich wieder unter seinen Augen, die aus dem Fenster ins Grüne sahen, da ihr der Gedanke an Haut die nach Meersalz und ein selbstgekochtes Gericht, das nach trautem Abend roch, genügte. Und auch das Gerz wurde ganz leise, aus dem Lied wurde ein Summen und dem folgte die Stille, da es sich in seinen Brustkorb bettete und ruhig schlug, im Wissen, für das, von dem der Unterleib noch immer leise sprach, zu schlagen. Und seine Gehirnhälften hielten sich umschlungen und waren so vertieft in die Rede, die von der Hüfte heraufschallte, dass sie vergaßen Fragen zu stellen oder in Altem zu wühlen. Und da lag er. Alles an seinem Platz und auch er hatte das Gefühl, dies sei sein Platz. Er wollte für einen kurzen Augenblick nirgends anders hin, jedoch nicht, weil ihn nichts freute, sondern weil er genau hier sein wollte, hätte er auch alle anderen Orte dieser ihm unklaren Welt wählen können. Und er lächelte. Dann öffnete sich die Tür.

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