Lebendiger Tagebucheintrag


Aix-en-Provence

Das warme pfirsichfarbene Licht umschmeichelt seidig die in der spätnachmittäglich Sonne leuchtenden Häuserfassaden. Der Flug von Wien nach Nizza war unkompliziert und auf der zweistündigen Autofahrt vom Flughafen nach Aix konnte ich herrlich schlafen. So habe ich zwar die Beschreibung Handkes von seiner Wanderung zu dem St. Victoir nur halb mitgehört, bin nun jedoch ausgeruht – bereit die Stadt zu erkunden, von der aus man den Berg, der Cézanne so hingerissen hat, dass dieser das Motiv weit mehr als einmal genutzt hat, an so manchen Orten in seiner vollen Pracht sieht. Zu diesen Plätzchen zählt auch die Terrasse unseres Hotels, das Mamas liebste Kriterien (wenn wenig optischer Reiz vorliegt) „sauber“ und „gepflegt“ erfüllt. Guter Dinge begeben wir uns nach einer kurzen repos ins Stadtzentrum von Aix, einer der wenigen großen Städte der Provence. Vorbei an der römischen Therme, hinein in die Fußgängerzone und natürlich in die erste Boulangerie, die auf dem Weg zum Hauptplatz liegt. „Un croque chévre et un croissant pistache, s’il vous plait.“ Der mit Ziegenkäse überbackene Toast stellt sich als weitaus bessere Alternative zum klassischen croque monsieur heraus, auch wenn ich erst in den nächsten Tagen erfahren werde, dass es sich um Ziegenkäse und nicht um den vom Küchenchef kreierten Toast handelt.

Um den Hauptplatz bieten einige Fußgängerzonen Möglichkeiten zu flanieren und die ersten provenzalischen Eindrücke aufzunehmen. Natürlich bleibt die Gesellschaft anderer schaulustiger Touristen nicht aus, aber im Vergleich zu der Dichte an Touristen, die ich in dieser Woche noch erleben werde, sind die anderen Spaziergang hier ein recht überschaubares Grüppchen. Nach einer Zeit kommen wir zu dem wirklichen größten Platz, der mehr wie ein Boulevard wirkt, links und rechts mit Bäumen gesäumt, auf der einen Seite Cafés mit übermüdeten, Pläne studierenden oder doch einfach die Umgebung genießenden Touristen, gegenüber Marktstände, deren Besitzer einem mit Kostproben einen ersten Einblick in die Süße Seite der provenzalischen Spezialitäten gewähren. Weißen Nougat mit Honig so wie auch die Kombination von Zuckermelone und Mandel muss man mögen, das Ratatouille, das wir zum Abendessen auf einem kleinen Platz, zusammen mit der klassischen Käseplatte und einem weniger typischen Tofusalat verzehren, ist dann doch mehr meins. Noch nicht eingeweiht in die Selbstverständlichkeit einer Karaffe voll Leitungswasser und dem Baguettekorb bestellen wir außer einem Wein auch Wasserflaschen. Das Dessert lassen wir aus und so beenden wir unser Geplaudere über Jugendreisen Mama und Reiners, wobei sich dieser eher wortkarg als Spätalleinreisender entpuppt, und begeben uns auf die Suche nach einem Eissalon.

Die Supermärkte in der Provence haben oft bis Mitternacht geöffnet, zumindest in städtischen Gefielen und so wird es dann doch ein Cocos Aktivia, das wie Mama mehrmals freudig betont in Österreich nicht mehr verkauft wird, Jus de Coco und französische Marzipanschokolade für den Reiner, bevor wir müde ins Hotel zurückkehren.

Aix-en-Provence 2

Als wir in die Lobby kommen, ich selbst schon sorgfältig geschminkt, meinen Eifer gut auszusehen in der Provence erst wieder entdeckend, empfängt uns die selbe Rezeptionisten wie am Tag zuvor, ihre Augen neugierig aufgerissen, wünscht sie uns einen Guten Morgen und erklärt der Mama das Petit-déjeuner Express, das wir dem hochpreisigen Buffet vorziehen. Ich spreche zwar bis jetzt nur hin und wieder ein Wort auf Französisch, verstehe jedoch so gut wie alles und kann auch jetzt sogar ein paar Worte über  die Schwierigkeiten der Kaffeekannen mit einer anderen Touristin austauschen. Gefrühstückt wird dann ungestört, da die anderen Familien bei dem Buffet sitzen auf der Terrasse. Es ist ruhig, Croissant, Baguette und Pain au chocolat liegen im Körbchen, Orangensaft und Boissons chauds stehen auf dem kleinen runden Tischchen. Während ich auf den St. Victoire im Morgenlicht blicke, trinke ich den etwas zu leichten, wässrigen Kaffee verfeinert mit Länger-frisch-Milch. Ich weiß noch nicht, dass jeder cafe, der von diesem abweicht, eine unglaubliche Ausnahme in der nächsten Woche darstellen wird. Egal, zum Eintauchen des Croissants ist er gut genug, und immerhin gibt es Marmeladen, dies wiederum eine Ausnahme beim Expressfrühstück in Hotels.

Nach dem Auschecken geht es wieder in die Stadt hinein. Die Kathedralen und Kirchen waren bis jetzt immer Pflicht bei Stadtbesuchen und so lassen wir uns auch diese nicht entgehen, der Bummel über den Blumen- und vor allem über den kulinarischen Markt ist mir dann doch lieber. In der linken Hand eine Kostprobe einer Olivenpaste (natürlich auf frischem Baguette) in der rechten ein Stück Tropizienne, eine Art Briochekuchen, entdecke ich am Rand des Marktplatzes ein altes Ehepaar das strahlend Obst und Gemüse verkauft. Erdbeeren und Ringlotten und dann noch eine Pizzaschnitte, die allerdings beim Stand der Pizzeria Capri. Am Abend zuvor hatte jeder dritte Passant einen Pizzakarton dieses Restaurants unter Arm gehabt. Mein Verdacht bestätigt sich, schlussendlich wird die Schnitte gedrittelt.

Wir besuchen sogar eines der Museen, sehen eine schön gemachte Ausstellung über einen mir unbekannten Maler und sein Beziehung zum provenzalischen Licht. Ein Freund von Cézanne, man erkennt es auch in seinen Bildern. Andere wiederum sind fauvisitisch, dann wird es expressiv, ich kann mit meinem Schulwissen gut ergänzen, während wir uns Stillleben, Portraits und vor allem liebevoll gemalte Landschaftsimpressionen ansehen. Dafür kann dann das Tapisserie Museum ausgelassen werden, ob nun Geheimtipp oder nicht. Die Cafés, die um die Mittagszeit, doch sehr gut von Touristen besucht sind, schauen ohnehin einladender aus. Wir entscheiden uns für eines, dessen Auslage mit belegten Baguettes und Pizzaschnitten lockt. Zur Quische wird ein Gazpacho serviert, meine Begeisterung für die Quische hält sich in Grenzen, doch das Café ist ansprechend. Dann geht es zurück zur Tiefgarage. Mein Kreislauf ist die südländische Hitze und das Sight Seeing nicht gewöhnt, im Auto muss erst einmal Pause eingelegt werden.

Während ich schlafe, suchen Mama und Reiner vergeblich nach einem Schloss, das sich, gerade als ich wieder die Augen aufschlage, als Baustelle herausstellt und so geht es weiter in drei kleine Orte und dort natürlich ganz nach oben, die Kirchen werden nicht ausgelassen. In der ersten findet sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft ein, unsicher, da wir als die einzigen Touristen nicht unangenehm störend sein wollen, stehen wir beim Eingang bis uns eine Dame anbietet eine Runde zu gehen. Interessierte Blicke der Einheimischen, die Großteils weit über 70 sind. Auf dem Rückweg begegnen wird dann den jüngeren Teil der Gäste, ein paar wenige von ihnen befinden sich sogar noch im Restaurant, als wir dort eintreffen um uns zu stärken. Leider nichts. Nous n’avons pas quelque chose pour manger. Nichts zu essen. Das es entweder die Hälfte der auf der Speisekarte angebotenen Speisen oder überhaupt gar nichts Essbares mehr gibt, wird uns noch öfter passieren.

Im nächsten Ort sind die bekannten und deswegen auch als Holzsouvenir erhältlichen Zikaden das einzige Zeichen von Leben. Fensterläden zu, Straßen oder besser kleine Gehwege leer. A vendre. Ein Schild, das in den Bergdörfern der Provence jedes fünfte Haus schmückt, wenn der Tourismus das village nicht am Leben hält. Immerhin gibt es an der Schnellstraße ein kleines Café.

Maroni-Kokos Eis schleckend warte ich in der intensiven Nachmittagssonne auf Mama und Reiner, das nächste Dorf hat eine Kirche, deswegen der längere Aufenthalt. Hier sind immerhin einige Einheimische, abermals tendenziell über 75 unterwegs, das Café ist gut besucht. Auf dem Platz, an dessen Rand es liegt spielen zwei alte Damen Boccia. Zum ersten Mal empfinde ich ein wenig das Gefühl erfüllter Erwartungen.

Lourmarin ist das erste touristische Bergdorf. Das einzige, was sich hier anbietet ist in einem der Cafés und Eissalons (Eis ist hier mindestens so beliebt und vielfältig wie in Italien) zu verweilen und das Treiben zu beobachten. Wir traben einmal durch die Gassen. Schön ist es hier, doch die ganzen pseudo künstlerischen Galerien, deren Türen extra weit geöffnet für einen Einblick des ein oder anderen zahlungsfreudigen Urlaubers sind, nehmen dem Ganzen das authentische. Statt ins Café geht es nun zur Burg. Burgen und Schlösser sind das zweite Muss nach Kirchen, doch ich bleibe auf einer weiten Wiese sitzen und zeichne die Umgebung, während Mama und Reiner das Kultur fördernde Prachtstück unter die Lupe nehmen. Der eigentlich idyllisch ruhige Moment wird nur durch ein stechendes Insekt gestört, das ich mit der Hand wegfege. Ich messe dem Stich noch keine Bedeutung zu, weiß noch nicht was mich erwartet. Zuerst bedauert der Reiner, dass wir kein Konzert auf der Burg anschauen und dann geben Mama und ich uns mäßig begeistert bei seinem Vorschlag, das von vielen unentdeckte, extrem unauffällige Albert Camus Grab zu suchen. Dafür gehen wir Minigolf spielen, die Bahnen lassen zwar zu wünschen über, aber der Minigolfplatz bildet zusammen mit einem gut besuchten Restaurant, das neben Crepes auch Burger und Eis bietet, ein nettes Ensemble. Ich trinke hungrig mein Schwepps und wünschte gleich hier zu bleiben, doch für uns geht es noch weiter nach Apt.

Apt

Die Pizzeria war eine sehr zufriedenstellende Wahl auf dem einzigen wirklich einladenden Platz, den wir in Apt ausfindig machen konnten. Die Stadt ist klein und auch wenn ich sie am folgenden Vormittag noch von einer anderen, belebteren Seite kennen lernen werde, spät abends ausgestorben und grau. Unser Hotel wurde mit dem Wunsch edel zu wirken eingerichtet und sieht schmuddelig aus, die zwei großen Kriterien „sauber“ und „gepflegt“ sind nicht ausreichend erfüllt, da hilft auch die angebliche Luxussweet statt dem einfachen Dreibettzimmer nicht, auch kein Petit-déjeuner Express. Aber die Pizza schmeckt, um genau zu sein, die drei halben Pizzen mit Salat. Sowohl dieses spezielle Angebot, als auch wenig bis zu gar nicht marinierter Salat sind typisch provenzalisch, noch denke ich, dass die langweilig schmeckende Salatmischung eine Ausnahme ist. Macht aber nichts, der Kellner ist dafür ein unglaublich charmanter junger Franzose, wobei sein Charme eher im Gespräch mit Mama zur Geltung kommt und ich nicht einmal mit meinem Englisch ankomme, da der Wunsch nach einer Dessert Karte, dank der unter Nervosität leidender Aussprache zu einer Wüsten Karte wird, was er mit einem Witz kommentiert. Der Obstsalat und das Lavendel-Panacotta sind dafür vorzüglich und der Kellner sorgt für guten Gesprächsstoff.

3 Apt

Ich wache mit einem unglaublichen Hunger auf und muss diesem Stand halten, da das Hotelinterne Frühstück Express ja leider ausfällt, also hinüber über die kleine Brücke in das Ortszentrum. Leider nicht direkt in die nächste Boulangerie, sondern erst einmal zur Kirche, vor welcher gerade ein prächtiger Einzug in Trachten gehüllter Apter stattfindet, Reiner und Mama wittern die außergewöhnlichen Fotomotive und so werden erst einmal zwanzig Minuten biedere, streng religiöse Mädchen mit Spitzenhauben und bodenlangen Kleidern bewundert. Ich bewundere sie auch, zumindest in der Hinsicht, dass ich bei vormittäglichen 26 Grad nicht in dutzende Stoffschichten gehüllt sein könnte, auf jeden Fall nicht mit so einem andächtigen Gesichtsausdruck. Der einzige der außer mir und ein paar gleichgesinnten Touristen der Prozession nicht viel abgewinnen kann ist der jüngste der Security Männer, die den Eingang regeln. Er gähnt und sieht sich müde um. Die Idee den Gottesdienst beizuwohnen wird schleunigst abgelehnt und spät aber doch finden wir nicht nur ein entzückendes Porzelanschüsselchen mit meinem Namen darauf, das dem meiner Mama aus dem Alsas bis auf kleine Unterschiede annährend gleicht, sondern auch eine Boulangerie. In der Auslage glänzen die kandierten Früchte für die Apt bekannt ist. Es gibt sogar Kaffee und andere boissons chauds zum Gebäck, wenn auch keine confiture. Keine Überraschung mehr. Der Kaffee schmeckt wassrig, auch das wenig überraschend. Danach muss noch ein Jäuschen her, der ruhige kleine Platz, auf dem Touristen und Einheimische gleichermaßen vorbeispazieren (eine Seltenheit in der Provence) ist trotzdem ein gemütlicher Ort gewesen, um sein petit-dejeuner einzunehmen.

Raus aus Apt, es stehen wieder einige Bergdörfer am Programm. Die provenzalische Hitze war noch nie so bemerkbar wie jetzt. Im ersten Ort ist es wenig vergnüglich unter den schwer auf einem liegenden Sonnenstrahlen die Antiquitäten zu bewundern. Der Boden ist hell und staubig, die Tische mit alten Tellern, Schmuckstücken, Schallplatten, Sonnenbrillen und vielem mehr gefüllt. Die Standbesitzer selbst haben sich zum déjeuner in den Schatten zurückgezogen. Sie packen Salate, Baguette und ihre Zigaretten aus, plaudern mit den Nachbarn oder werden von Freunden besucht. Schaut man über ihre Köpfe hinweg sieht man weit ins Land. Doch die Hitze versagt einem jegliche Art längeren Verweilens und wir retten uns in den Schatten. Ein in den 1970er Jahren stehengebliebenes Ehepaar serviert Crépes und Melonen für die die Provence weltberühmt ist, zumindest bei Gourmets. Unsere erste Crépe salée oder Galette, was wie wir herausfinden bloß eine andere Bezeichnung ist. Auf dem kleinen Platz vor der Kirche sitzt man zu gut, nur noch ein schneller Blick in diese hinein, denn höhergelegen soll das eigentlich besondere Gotteshaus liegen. Vielleicht ist das alte romanische Kirchlein, das allein friedvoll anmutend auf einem winzigen Hügel liegt wirklich außergewöhnlich, das Problem sind nur die verschlossenen Holztore. Wir sind nicht die einzigen Neugierigen, die jetzt etwas entmutigt auf den Holzbänken unter den großen Bäumen neben dem schweren Steinbau sitzen, ich fühle erschöpfte Übelkeit und auch das Vanille Joghurt aus Mamas Tasche kann hier wenig helfen. Es folgt eine halbstündige Suchaktion zurück zum Parkplatz, dort ein Versuch in einem Restaurant zu essen, der an dem üblichen no manger au moment scheitert und so machen wir uns hoffnungsvoll, immerhin im Genuss einer Klimaanlage auf den Weg ins nächste Dörfchen.

Würde man wenigstens von einem wirklichen Dörfchen sprechen können, wären auch die bescheidensten Erwartungen erfüllt gewesen, aber zwischen den Häusern, die sich unterwürfig unter der Burg des Marquis de Sade bücken, ist abgesehen von der auf Motorrädern sich möglichst gut die Zeit vertreibend sitzenden Jungen aus dem Dorf, keine Menschenseele unterwegs. Bevor der Gipfelanstieg zur Burg beginnt, muss die Mittagshitze durch ein kühles Getränk erträglicher gemacht werden und der Hunger endlich gestillt werden. Doch der Bauch darf brav weiter knurren, denn no manger im einzigen Café am untersten Ende des Ortes. Der Kaffee ist wassrig, die Aussicht dafür schön, so schön, dass man sich mit der nun schon sehr dringend notwendigen kulinarischen Versorgung vorstellen könnte, länger zu verweilen, das Café ist sogar recht belebt, die Dorfjugend trinkt im Schatten des vorspringenden Daches Cola, die Touristen kühlen sich mit zu Fächern umfunktionierten Landkarten die roten Wangen. Der Burg wurde vor einiger Zeit von einem französischen Modezar gekauft, so wie 30 Häuser des Dorfes, die Einwohner waren empört, doch dem nun über 90 Jährigen Mann gefiel die Idee des Burgbesitzers, der ein Kulturerbe erhält und die Kunst mit kulturellen Veranstaltungen für den zusammenkommenden Jetset fördert, anscheinend zu gut, um von ihr loszulassen. Eintritt 12 Euro, in der Ruinen ein paar wenige Räume, auf dem Berg eine Hand voll Touristen, die der Hitze strotzend zwischen den drei überdimensionalen Figuren, die wie als hätten sie sich hier her verirrt, die Grünfläche um die Burg verschönern. Es bleibt hierbei wohlgemerkt bei einem Versuch und auch das Metallrohr um den Haupteingang zur Ruine, das eine Profilansicht des Marquis darstellt wirkt grotesk. Wir sind uns zumindest darin einig, den Eintritt nicht zahlen zu wollen und so geht es zurück zum Auto, auf der Straße noch einmal kurz anhalten, die Motoradclique dreht ihre Runde.

Ménerbes wäre mir vielleicht nicht mehr im Gedächtnis, jedenfalls löst der Ort bei der Ankunft wenig Begeisterung in mir aus, allein dass das einzige Buch über die Provence, das ich in diesem Urlaub lese hier spielt, lässt mich im Nachhinein noch einige Male daran zurück denken. Doch ich vergebe mich meistens vergebens auf die Suche in meinen verschwommenen Erinnerungen nach erwähnten Cafés und Häusern, denn auch wenn ich noch erfahren werden, dass hier Picasso seine Liebsten ein Haus kaufte (um sie los zu werden, da er sich einer neuen Liebelei hingab wohlgemerkt), scheint der Ort auf den ersten Blick unspektakulär.  Die in der Fußgängerzone liegenden Cafés sind von ein paar wenigen Urlaubern besetzt, doch sonst tragen graue kleine Häuser und alles erfüllende Lautlosigkeit (so jedenfalls meine Erinnerung) zu einem langweiligen Gesamteindruck bei. Doch oh la la es gibt in einem der Restaurants Küche. Nizza Salat und Omlett frommage, eine wohlverdiente späte Mittagspause, bloß ein paar Windstöße, die einem Salatblätter auf die Bluse und Tischtücher auf die Teller wehen, stören, doch die Restaurantbesitzern sagt die sind gleich wieder vorbei. Sie behält Recht.

Die letzte Station bevor es nach Rousillon geht, Abendessen, schlafen. Gordes hat eines neuen und einen alten Teil, wobei der Alte eine Art Museums Dorf darstellt. Man hält auf einem riesigen Parkplatz (einen solchen findet man bei jeder beliebteren Village der Porvence) und marschiert dann, weil es ja alle tun und weil oben ja weiß Gott was auf einen wartet, die Gässchen hinauf, die Augen und die Füße sind müde, es wird mehr auf den Boden geschaut, als die grün bewachsenen Steinfassade bewundert. Wer kann es einem am frühen Abend verübeln? Nicht wie sonst ist oben eine  verschlossene Kirche, nein, eine Ruine. Marie, Beeilung, es gibt eine exklusive Ruinenführung, die der Restaurator (der übrigens im Dienst eines privaten Inhabers des alten Gemäuers steht) nur jetzt gibt, nur jetzt darf man einfach hinein gehen, was für ein Glück! In der Ruinen sieht man Steinwände, eine Treppe, dann wieder Wände, auf Französisch werden bauliche Besonderheiten und Techniken der Renovierung erklärt, der euphorische Restaurator findet kein Ende, sein Fachvokabular hinterlässt in  den nicht französischen Gesichtern Fragezeichen. Endlich unternimmt eine Dame den Versuch ihn zu bremsen, ein lautes Merci unterbricht den Redeschwall. Der Schritt in die Freiheit, ein allgemeines aufatmen.

Roussillon

In Roussillon muss dann nur noch das kleine Hotel gefunden werden, es liegt nicht direkt im Ort. Das Zimmer ist ebenerdig und nett, wieder kein Frühstück Express. Reiner springt ins Pool und dann geht es zum Essen ins Dorf, die Restaurantempfehlung der Rezeptionistin zu befolgen ist eine gute Entscheidung. Das Restaurant war mir schon bei der herfahrt aufgefallen, nun sitzen wir auf einer dicht bewachsenen Terrasse und bestellen zwei typisch französische Menüs. Zuerst Salat, der typisch französisch Lust auf die Hauptspeisen macht, dann Fleisch auf zwei wundervolle Arten zubereitet, einmal die Ente in Honig und einmal das Schwein im Teigmantel und dazu Ratatouille und Erdäpfel Gratin. Am Nebentisch feiert ein einheimischer Junge Geburtstag. Die Anwesenheit eines Mädchens sorgt für reichlich Gesprächsstoff. Ich fühle mich geschmeichelt, bin selbst jedoch mit der zweiten Urlauberfamilie beschäftigt. Dreiköpfiges Schweigen, der Junge in meinem Alter scheint genervt, Mama freut sich über meine Zufriedenheit, die ich auf diesem Urlaub, trotz fehlender Gesellschaft in meinem Alter an den Tag lege. Wir plaudern über sprachliche Eigenheiten meiner Großeltern und hin und wieder wird auch ein blick zur Familie geworfen, wir würden sie am liebsten zu uns an den Tisch holen, irgendwann erhebt sich der Junge energisch, die Eltern folgen schnell. Wir genießen einen provenzalischen Schokokuchen mit flüssigem Kern, dann verlassen auch wir das, nur wegen der feiernden Runden noch geöffnete Lokal. Das wunderhübsche Dorf muss jedoch noch kurz erkundet werden. Man hört Stimmen und findet sich denen folgenden am sehr belebten (wenn auch ausschließlich mit Touristen) Marktplatz wieder. Eine Band, die mehr Entertainer als Musiker sind ermöglichen in die Jahre gekommenen Paaren und einigen Kindern eine fröhliche Tanzeinlage, auch Reiner, der es sich auf einer Treppe bequem gemacht hat, geht bei Sunny und anderen sommerlichen Schunkelklassikern das Herz auf, er wiegt sich in den wenig wohligen, aber doch bemüht swingenden Klängen. Es ist abgekühlt, ich trinke noch eine heiße Schokolade, dann setzten sich Mama und ich doch durch und der Heimweg wird angetreten.

4 Roussillon

Ich reibe mir die Müdigkeit aus den Augen und trage das Make up auf, gestern waren Brigitte Bardot und Cahtrine Denove meine Vorbilder gewesen, davor einmal Marion Cotillard, dann Juliette Binoche. Und heute Jean Seaberg, leider ohne Jean-Paul Belmondo, dafür sitzt der Lidstrich. Frühstücken in Rousillon stellt sich leider als weniger leichtes Unterfangen heraus. Die Boulangerie ist nun einmal kein Café und hat daher zwar den üblichen dünnflüssigen Kaffee, aber kein Wasser, gibt es in einer Boulangerie nicht erwidert die Kellnerin auf die Frage sogar für eine Französin ausgesprochen energisch. Das Croissant und der Pain auch chocolat sind wie immer gut, man ist mit dieser Wahl immer auf der sicheren Seite, doch anders verhält es sich mit Quische, wie ich bereits gelernt habe und auch diesmal ist meine Käselauchquische nicht die richtige Wahl, wobei auch die eigenartige Interpretation von chaud der provenzalischen Bäckereibesitzerinnen und Mitarbeiterinnen, die oft zu einem nicht einmal lauwarmen Essvergnügen führt, ihres zu dem wenig aufregenden Petit-Déjeuner tut. Also muss bevor es in auf die berühmten Okrafelsen, die Rousillon so bekannt machen, da ganz wunderbare ockerfarbene Farbextrakte aus ihnen zu gewinnen sind (12 verschiedene Ockerwandfarben kann man hier an den Häusern bewundern), noch eine Wegstärkung sein. Das erste gefüllte Baguette mit Schinken, Tomaten und Käse ist formidable und der Spaziergang durch die Felsen nett, wobei die Sensation das Wiedersehen mit der Familie vom gestrigen Abendessen darstellt, die wir kurzum bitten von uns ein Foto zu machen. Während Reiner die längere Route geht, wählen Mama und ich nett plaudernd den kürzeren Weg und erwarten ihn bei Melonenmilkshake und Kaffee. Die arrogante Kellnerin reagiert auf ein deutsches Seniorenpaar am Nebentisch zu gereizt, dass Mama und ich auch noch spontan als Dolmetscher und Menürverleser agieren. Dann geht es weiter, raus aus einer der schönsten unserer Stationen, ein herrliches Eis aus Mandelmilch (Lavendel wurde verkostet, war uns dann jedoch zu speziell) tröstete über den Abschied hinweg.

Gordes

Avignon

Der Hotelbesitzer ist zuvorkommend und bietet sogleich eine Erklärung des Stadtplans an. Avignon hat als einzige Station unserer Route den Flair eine Großstadt, was nicht positiv zu verstehen ist, vielmehr vermisse ich bei der Einfahrt in die Stadt die warmwohlige Lichtstimmung, die uns auf in Aix bezaubert hatte. Noch im Auto, sehe ich aus meinem Fenster die alte Stadtmauer, grau, und auch die Häuser, die durch die Bögen erkennbar sind, grau. Auch der Blick durch die andere Fensterscheibe ist wenig zufriedenstellend, große Kongresshotels und ein riesiges blockartiges Gebäude, das, so glaube ich entziffern zu können, politischen Zwecken dient. Der Hotelbesitzer erklärt uns wie wir zu guten Restaurants kommen, ja nicht auf den Hauptplatz, wir werden bald verstehen was er meint, und auch der Weg zum Papstpalast, wie auch zu Pub und Apotheke (Wieso sollten wir so bald eine Apotheke brauchen?) wird eingezeichnet. Er ist nett, Frühstück Express geht in Ordnung, fast vergisst man das karge Interieur in der kleinen Lobby, in die wahrscheinlich so gut wie nie Licht fällt, jedenfalls ist schwer vorstellbar, dass sich Sonnenstrahlen zwischen den hohen Häusern, die dringend einmal renoviert werden müssten, in die enge Gasse zwängen. Doch der Weg zu unserem Zimmer lenkt unsere Aufmerksamkeit dann doch wieder auf unser Umfeld, eine endlose Treppe und dann noch ein Gang, die Exkursion zu unserem Zimmer, das an dessen Ende liegt ist bestanden, die Belohnung, ein mit bemüht dekorativen afrikanischen Accessoires ausgestattetes Zimmer, enttäuscht uns dann doch. Aber nichts wie in die Stadt, der Magen knurrt, wir kommen stets so spät in unserem Übernachtungsort an, dass der Hunger ungewöhnliche Dimensionen annimmt, Glacé und Snacks aus der Boulangerie sind schon wieder vergessen. Der empfohlene Platz ist genauso, wie wir es uns für unsere Abendessen wünschen, ganz im Gegensatz zu dem Restaurant, das wir auf seine Empfehlung hin, nachdem wir das Auto geparkt haben aufgesucht haben. Es war wohl nicht nur an uns empfohlen, man fühlte sich wie in einem Hotelrestaurant, die Menüpreise waren entschieden zu hoch. Dann doch lieber eine herrliche Pizza mit viel Mozzarella und zwei große Salate, die für provenzalische Verhältnisse sogar recht ansehnlich sind, doch das war bei dem Ansturm auf die vollbesetzte Pizzeria zu erwarten, ständig werden leere Tische neu besetzt, der freundliche Kellner flitzt zwischen den Tischen hin und her, Stress gehörte hier wohl zum täglichen Abendprogramm. Die vielen Bestellungen machen sich allerdings in der Wartezeit erst einmal bemerkbar und während Mama und ich an unserem gemeinsamen Bier (die heutige Entscheidung der täglichen Frage Bier oder Wein?) nippen, liest der Reiner angeregt in einer schwer zu folgenden Geschwindigkeit aus dem Reiseführer vor. In Avignon hat sich einst der Papst niedergelassen, es gab Gründe Rom zu verlassen, doch mein Gedächtnis hat diese Geschichten anscheinend als nicht besonders merkenswert abgestempelt. Auf jeden Fall fällt auch faulen Reiseführerverweigerern die einstige Beehrung der Stadt durch den Papst auf, der Papstpalast, eine mittelalterliche Festung, thront über der Stadt, zwar nicht so hoch oben, wie die eigentliche Kathedrale, dafür größenmäßig dieser weit überlegen. Es ist spät geworden, doch gestärkt geht es dann doch noch auf eine kleine Entdeckungstour, zumindest kurz den Palast bewundern. Dem Weg zum Hauptplatz haftet etwas unangenehm ausgestorbenes und verfallenes an, die Häuser hängen seufzend grau in die schmalen Gassen hinein, kaum ein Fenster ist erleuchtet. Erst in den Gässchen nah um den Hauptplatz beginnt wieder das Leben, Touristen füllen die Lokale, bloß eine Frau, die in Fetzen gekleidet laut rufend und auflachend durch die Straße tanzt, fügt sich nicht in das gemütliche Bild, sie wirkt wie ein Mahnmal, eine Erinnerung an die fast an ein Slum erinnernden Zustände in anderen Teilen Avignons. Der Hauptlatz selbst wäre schön, er ist groß und au seinen Längsseiten links und rechts stehen dicht gedrängt die Menükarten von Cafés und Restaurants, Paella neben Sushi, zwischen zwei Pizzerien drängt sich noch ein indisches Lokal in die freie Lücke. Ein Ringelspiel, so wie auch zwei große Eissalons, deren unzählige Sorten typisch provenzalisch ausgeschmückt mit verlockenden Fruchtscheiben und Lakritze, Schokoladestreuseln und Karamellsoße, geben dem Ensemble noch einen zusätzlichen Jahrmarktflair. In dem einen Eissalon müssen wir das Eis von näherem bewundern. Ganze Porzellankrüge mit frischweißem Joghurt stehen in dem wie ein Gletscher emporragenden Joghurteis, ganze Schokoladeriegel liegen in Sorten wie Snickers, Mars oder Kinderschokolade. Noch lang kein Grund sofort zuzugreifen und eine der selbstgemachten Waffeln turmhoch füllen zulassen, im Laufe der Reise wird man Eiscreme betreffend verwöhnt. Also zurück auf den Platz, aber lieber nicht durch die Motorradgang durch und auch nicht durch die schulklassengroße Gruppe Obdachloser durch, die es sich auf der rechten Seite noch vor den vielen Restaurants mit ihren Hunden bequem gemacht haben. Ja die Platzbeschreibung täuscht mehr über sein wahres Gesicht hinweg, als einen Eindruck zu vermitteln, Neonlichter sorgen für eine gewisse Reizüberflutung, die Touristen sitzen dicht gedrängt auf Plastiksesseln unter Plastikschirmen und werden in regelmäßigen Abständen von oben herab mehr oder weniger, je nach dem wo sie Platz genommen haben, zur Erfrischung abgeduscht. Auch auf dem Platz vor dem Palast gibt es Lokale, jedoch eindeutig nobler, wahrscheinlich ist gerade abends die Sicht auf das Gebäude preislich inkludiert. Kein Wunder, wenn man vergisst, dass man in einer Stadt wie Avignon ist und sich vorstellt, dass der Palast bei einer Walderkundung plötzlich, als man einen schweren Ast zur Seite schiebt, in seiner ganzen steinernen Pracht vor einem steht, könnte man fast eine ehrfürchtige Gänsehaut auf dem Rücken spüren, doch schon kommen wieder Stimmen von allen Seiten, hinter dem Palast vereint sich der männliche, ohne Vorurteile stark kriminell anscheinende Teil der städtischen Jugend, ein Stelldichein, bei dem wahrscheinlich allerlei ausgetauscht wird, so meine Vermutung, doch was unternehmen wohl die jungen Mädchen? Ein paar hatte ich bei den Restaurants an den Häuserwänden sitzen sehen, desinteressiert an ihren Zigaretten ziehend, während ihre Freunde wie aufgescheuchte Hühner mit Tablett und Speisekarten durch die Touristenscharen laufen. Der Weg zurück zum Hotel erweist sich als beschwerlich. Mich hat ein Tier, das sich langsam eindeutig als Nicht-Gelze entpuppt in den Wiesen Lourmarins gestochen und dieser Stich, den es mir leider, trotz meiner schnellen Reaktion, als ich den Angreifer spürte und dem festen Zuschlags, hinterließ, begann sich blau-rot zu verfärben und meinen ganzen linken Fuß in Mitleidenschaft zu ziehen. Er ist ein wenig angeschwollen, humpelnd suche ich noch nach einer Nachspeise, die dann eine heiße Schokolade am Imbissstand neben dem Hotel wird, auch in den französischen Städten, in denen die letzten Touristen erst um elf einkehren, sind irgendwann die Rollläden heruntergelassen, beklebt mit schmuddeligen Plakaten und verziert mit Graffitis fügen sie sich perfekt ins Stadtbild. Im Hotel zurück schaffe ich den Weg ins Badezimmer nicht mehr, den Fuß in die Luft gestreckt mache ich mir Sorgen. Was könnte es sein? Was wenn ich eine schlimme Infektion habe und in der Nacht mit 40 Grad Fieber aufwache? Ich schlafe zum Glück, nachdem ich ein entzündungshemmendes Medikament nehme, augenblicklich ein.

5

Das Petit-dejeuner Express ist wirklich sehr petit und sehr express. Ein Croissant und keine Marmelade, dafür den typischen Café au lait,  der zum Tunken, wenn auch nicht zum Trinken geeignet ist. Der Weg in den Frühstücksraum und danach zurück ins Zimmer ist hinkend die reinste schmale Wendeltreppe-schmalere Gänge-Odysee und das Hotel zu verlassen, trotz wirklich zuvorkommenden Besitzer, bei dem wir uns dann doch ein paar Empfehlungen für Ärzte erbitten, ohne Bedauern. Die Straßen Avignons laden jedoch eben so wenig zum Verweilen ein, bemüht die hübscheste Route zum Markt zu gehen, bleiben wir doch nur in einem Gässchen etwas stehen, um uns mit ein paar wenigen gleichgesinnten Touristen die einzige in den Reiseführern erwähnte Gasse dieser Gegend anzusehen. Sie hat wirklich etwas Reizvolles, kleine Brücken führen über einen winzigen Kanal zu Villen, die rechts des Gässchens versteckt hinter hohen umwachsenen Metallzäunen liegen und auf der linken Seite logt in nettes Café mit selbstgemachten Frozen Joghurt und pikanten Snacks, doch man muss sich doch eingestehen, dass sie sich nur in einer solchen Stadt solch einer Aufmerksamkeit erfreuen kann, es steht nun einmal doch alles im Vergleich. Ich entscheide mich gleich in die Markthalle zu gehen, die von dem Flohmarkt zu uns herüberflatternden weißgelblichen Kleider und Tischdecken verlocken mich eindeutig weniger, als der Gedanke an frische Früchte und provenzalische Spezialitäten. Türme aus Sesamkuchen, die an helle, runde Käseleibe, Nüssen und anderen Verfeinerungen sind in den Teig verarbeitet, der nächste Stand lockt mit Kostproben seiner Antipasti und Aufstriche, die in mundgerechten Bissen auf frischem Baguette auf der Theke thronen. Es werden sogar ganze formules zum Mitnehmen angeboten. Als Mama und Reiner wenig später eintreffen, habe ich schon so gut wie alles erkundet und zeige Mama begeistert die Tröge voll Nüsse und die Aufläufe, die aus hübschen Porzellanbackformen stückweise verkauft werden. Wir greifen trotz allen Verlockungen nicht zu, der Supermarkt gleich bei dem hinteren Eingang wird zu unserem Ziel und glücklich über eine perfekt reife Avocado (ein solches Exemplar war in der gesamten Markthalle nicht zu entdecken) ziehen wir weiter durch die erstaunlich schmucken Gässchen für Fußgänger, die mit Cafés an beiden Seiten, kleinen Geschäften und aufwendig gestaltet (in einem wandelt man unter lauter bunten Regenschirmen, die an Seilen, welche zwischen den Häusern gespannt sind, hängen) so gar nicht zu unserer durch die vorabendlichen Eindrücke und unseren Weg zur Markthalle gezeichneten Meinung über Avignon passen. Mein Kreislauf sagt mir, dass es Zeit für eine Pause wird, er kündigt es bereits im kleinen CD Geschäft, das wir besuchen, um auf Reiners Wunsch hin eine CD für die Autofahrten zu kaufen. Ich sitze in dem kühlsten Winkel hinter dem Ständer mit den Postkarten und löffle die Avocado, während der Verkäufer, der sich als Jazz und Klassik Fan herausstellt, eifrig berät. Es soll auch etwas Französisches dabei sein. Zwei Jazz Sängerinnen fallen in die engere Auswahl. Nun müssen sie sich noch einer Hörprobe stellen, Reiner und ich entscheiden uns jeweils für eine. Schlussendlich kaufen wir auf mein Anraten, doch nicht den Céline Dion Verschnitt, der sich im Jazz versucht, sondern eine sehr experimentierende Jazz Diva, die in einer Linie mit Ella Fitzgerald und Billy Holiday steht. Ein Fehler, wir werden die CD genau zweimal hören, jedes Mal auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin, einmal am Weg ins Spital. Wir müssen wohl oder übel den Anforderungen meines Körpers entgegen kommen und kehren in eine Café nicht unweit des Geschäfts ein. Ein großer kalter Café au lait mit chocolat und zu Essen ein Salat, das klingt nach einer Energie bringenden Zusammenstellung, doch mein Magen und Kopf geben sich resistent gegen jeden Versuch meine Kreislauf in Schwung zu bringen und so geht es müden Schritts weiter in Richtung Burg. Die unglaublich beschwerliche Wanderung endet für mich auf dem Platz vor diesem mittelalterlichen Steinmonstrum, das wir schon gestern Abend bestrahlt von dramatisch angeordneten Lichtern bewundert haben. Mama und Reiner drehen eine Runde um die Burg, ich setze mich erdrückt von der Mittagssonne in eine der überteuerten Toursitenfallen und darf nicht im normalen Sitzbereich, sondern neben dem Eingang etwas separiert Platz nehmen, da ich nichts  plane zu Essen. Ein Ananassaft und eine Kugel Joghurteis verbessern zusammen mit meiner liebsten Frankreichlektüre minimal meinen Zustand, doch mit der Mama trifft auch der mich ständig plagende Heißhunger wieder ein. Ich hole mir eine Gemüsecrépe bei einem Imbisstand auf selbigen Platz, wobei es an der Theke so heiß ist, dass ich mich während die Angestellte in der Küche verschwindet, gegen den Getränkeautomaten lehne, um nicht ausgestreckt am Boden zu enden. Die Crépe ist miserabel, doch nichts anderes habe ich in der Gegend erwartet und in gewisser Hinsicht erleichtert sie nun doch den Aufstieg zur Kathedrale, ein Steinweg, der sich dadurch auszeichnet komplett in der Sonne zu liegen. Das Ziel erreiche ich nicht, ich bleibe auf einer Bank ausgestreckt, den angeschwollenen Fuß aus der Sandale befreit, zurück und hoffe, dass keine der vielen Pensionisten ebenfalls einen Schattenplatz beanstandet. Auffällig viele Burschen bewegen sich mit ihren Handys in der Hand den Berg hinauf, später berichtet mir Mama, als die beiden von der Aussichtsplattform auf dessen Spitze zurückkehren, von einer Pokemon Go Großversammlung, es hatte sich wohl ein Prachtexemplar an dem Ort aufgehalten. Ausflug beendet, ich war zwar hauptsächlich gelegen oder gesessen, doch mein Körper lässt sich nicht von der Meinung abbringen, dass sein größter Wunsch etwas zu Essen und ein schattiges Plätzchen sei. Der Platz auf dem wir einkehren ist nett und die ruhige Atmosphäre lässt wenig von der Nähe zur Burg und zu dem überfüllten Hauptplatz erahnen. Wir bestellen eine Crépe mit Ziegenkäse und einen Salat mit Walnüssen. Der Reiner verlässt und gleich nach dem Essen, um das Auto zu holen, während wir uns schön langsam auf den Weg zurück machen. Eigentlich steht noch eine kleine Nachspeise in dem schönen alten Café und Eisgeschäft am Rande des Hauptplatzes am Plan, doch Reiner braucht nicht lang und wir begnügen uns mit herrlichem Proviant: Die mit Abstand herrlichste Apfeltasche und ein zwar unglaublich süßer aber zumindest genauso verlockender Mandelkochen.

Pont du Gare

Die Parkgebühren beim Pont du Gare betragen 12 Euro, ein stolzer Preis, auch wenn wir von dem Reiseführer bereits vorgewarnt sind. Auf dem Gelände kommen uns ausschließlich Badegäste entgegen, der ruhige Ort und der große Schatten, den der Pont über das Gewässer wirft, eignen sich wirklich wunderbar für eine kühle Erfrischung. Reiner möchte auch baden gehen und vielleicht bis elf bleiben, um die Lichtspiele Turrels von einer der beiden Restaurantterassen auf den Anhöhen links und rechts des römischen Wunderwerks zu genießen. Doch was mehrere Stunden an einem Ort tun, der sich zwar positiv von all den anderen Touristenanlagen abhebt, da sich die Einkehrmöglichkeiten, Souvenirstände und Eisgeschäfte erstaunlich in Grenzen halten, der jedoch dadurch bloß zum Essen und Baden gehen taugt, wenn man nicht bereit ist den Pont von allen Seiten zu umwandern und bewundern? Das sind wir eindeutig nicht, zumindest Mama und ich, Wunder der Technik und Architektur hin oder her. In Realität schaffe ich es dann nicht einmal mehr bis zum Wasser nach vor, während andere jugendliche über die Felslandschaft laufen, versuche ich an Mamas Arm den Weg durch die immer noch starke Abendsonne zu bewältigen. Es ist unmöglich, der Besuch beim Arzt plötzlich ein nicht hinterfragbarer Entschluss. Auch mein Magen meldet einen Entschluss: Ein Sandwich, ein Wunsch der mindestens sieben Mal täglich aufkeimt. Doch wie könnte es anders sein. Desolé, keine choses salées. Ich kann mich also zwischen Eis, Trockenfrüchten und Donuts entscheiden, mir ist übel und ich nehme Mamas mitgebrachten Apfel dankend an, warte bis sie Wasser aus dem Souvenirshop geholt hat und entdecke zwei Sanitäterinnen. Wir sprechen sie an. Mon dieu. Mein Fuß, der rotblau leuchtend, dick angeschwollen auf dem Bett in der kleinen Kammer unter die Lupe genommen wird, sorgt für Aufregung. Mama verändert das Datum des Stiches auf denselben Morgen statt vor vier Tage, denn die empörte Reaktion der besorgten Sanitäterinnen lässt sich bereits erahnen. Keine kann dem Anblick ein Insekt zuordnen, scheinbar wissend drückt die Älteste an der ein oder anderen Stelle. Ich nicke oder schüttle den Kopf, französisch fällt mir in einer solchen Situation reichlich schwer und mit meinen Englischkenntnissen bin ich hier eindeutig alleine. Schlussendlich werde ich auf einen Rollstuhl gesetzt und mein Fuß in Eisbeutel gewickelt. Nicht mehr auftreten! Niemals! Verstanden, die unzähligen Schritte der vergangenen Tage bleiben unerwähnt. Als wir hinausfahren, packt eine der Jüngeren die DVD enttäuscht zurück in ihre Tasche, Filmschauen ging sich nun doch nicht mehr aus.

St. Remy

Zuerst werden wir unsere Sachen in dem Hotel unterbringen und dann weiter ins Spital fahren. Der Rezeptionist ist besorgt und empfiehlt und das Krankenhaus in Avignon, statt jener die die Sanitäterinnen auf einen Zettel notiert haben, wir sollen ihm berichten, ob alles gut verläuft. Im Auto schwärmt Mama von dem hübschen Hotel im Kolonialstil und dem Frühstücksbuffet, für das wir uns ausnahmsweise entschieden haben, man könne ja nicht wissen, ob ich morgen im Hotel bleiben müsse.

Avignon

Das Spital entpuppt sich als Labyrinth, die Beschilderung ist eine geringe Hilfe. Die Laune ist sowieso schon gesenkt, man beachte, dass wir nun das zweite Mal in einer Stadt eintreffen, die uns schon beim Ersten Mal nicht zugesagt hatte. Zum Glück führt uns eine nette Schwester in die Notaufnahme, eine gut gefüllter Raum, der an eine Arztpraxis in einem dritte Welt Land erinnert, kaputte Automaten und eine Sanitäranlage wie auf einem alten Bahnhof lassen einen den Glauben an ein solides Spital verlieren. Die Wartezeit wird durch Beobachtung der anderen Eintreffenden und Sudokus erleichtert, Mama nippt nervös an ihrem Orangensaft, die Sorge ist ihr ins Gesicht geschrieben. Als ich endlich aufgerufen werde, dürfen Mama und Reiner nicht mit. Sie sollten sich keinerlei Sorgen machen, die Ärzte spräche Englisch, sie würden ohnehin informiert werden. In der  Erstaufnahme habe ich das merkwürdige Gefühl, die Dame, die meinen Bericht ausfüllt, hört mir nicht im Geringsten zu, glücklicherweise nicht wissend, dass sie die einzige bleiben wird, die wirklich Englisch versteht. Nach weiterer Wartezeit, werde ich auf eine Art Bett gelegt. Das Zimmer teile ich mir mit einer Dame, die an einem Sauerstoffgerät hängt und deren Keuchen und Röcheln mir mehrere Male das Gefühl, sie vor dem Ersticken bewahren zu müssen, gibt. Die junge Ärztin, die sich um mich kümmert kann (oh surprise!) kein Englisch, doch wir schaffen es ein wenig zu kommunizieren, wobei das enttäuschende Ergebnis ist, dass es sich um eine Infektion handle, das Tier jedoch nicht klar sei. Mein Fuß wird zum Objekt ihrer Handykamera, sie würde es mit ihren Kollegen besprechen, vielleicht müsse ich eine Nacht hier bleiben. Dann 20 Minuten , gefühlte zwei Tage niemand. Ich liege im Zimmer und mahle mir mein schlimmes Schicksal aus. Der Arzt, der als nächstes mein Bein unter die Lupe nimmt, schüttelt lediglich seinen Kopf. Meine Angst wächst. Vielleicht ist es eine sik. Eine bitte was? Sik. Das Wort war mir unbekannt. Als Mama und Reiner ins Zimmer kommen (es war wieder eine halbe Ewigkeit vergangen), bin ich den Tränen nahe, doch sie erklären mir, dass ich nachhause könne, nur Antibiotikum nähmen müsse. Reiner spricht mich auch gleich auf mein laut ihm fehlerhaftes Sudokulösen an, eine Kritik mit der ich dank der Erleichterung gut umgehen kann. Ich löse sogleich eines, um ihm meine Technik zu demonstrieren. Dann bekomme wir die Liste der Medikamente mit dem Auftrag zur Polizei zu fahren, welche wiederum einer Apotheke Bescheid geben würde, dass wir kommen. So wird es auch gemacht, die letzte Hürde wird dank dem Apotheker auch noch überwunden, der anmerkt weder diese Salbe noch im Sortiment zu haben noch ein Antibiotikum in jener Dosierung. Seit drei Jahren nicht. Na wunderbar. Immerhin kennt er sich aus und findet  rasch Alternativen, sodass wir sogar noch zum Abendessen ins Zentrum fahren können. Die Entscheidung wohin wir Essen gehen erübrigt sich, da nur noch Hauptplatz um halb 12 Betrieb ist und so kehren wir, wenn ich auch mit gewissem Widerwillen, in eine Pizzaria ein. Die Dampfmaschinen, deren kalter Wasserdampf zu dieser Uhrzeit mehr störend als erfrischend ist, werden auf unseren Wunsch hin abgedreht und trotzdem schnauze ich Mama und Reiner schlecht gelaunt an. Die späte Uhrzeit macht Reiner nervös und mich seine flinke Art auszuwählen. Die Speisen sind sogar gut. Eine Pizza mit viel Käse und frische Zuckermelone auf einem Salatbett. Müde kehren wir ins Hotel zurück und gehen unverzüglich in unserem sehr gemütlichen Zimmer mit einer großen Glastür nach draußen schlafen.

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