Lebendiger Tagebucheintrag
Aix-en-Provence
Das warme pfirsichfarbene Licht umschmeichelt seidig die in
der spätnachmittäglich Sonne leuchtenden Häuserfassaden. Der Flug von Wien nach
Nizza war unkompliziert und auf der zweistündigen Autofahrt vom Flughafen nach
Aix konnte ich herrlich schlafen. So habe ich zwar die Beschreibung Handkes von
seiner Wanderung zu dem St. Victoir nur halb mitgehört, bin nun jedoch
ausgeruht – bereit die Stadt zu erkunden, von der aus man den Berg, der Cézanne
so hingerissen hat, dass dieser das Motiv weit mehr als einmal genutzt hat, an
so manchen Orten in seiner vollen Pracht sieht. Zu diesen Plätzchen zählt auch
die Terrasse unseres Hotels, das Mamas liebste Kriterien (wenn wenig optischer
Reiz vorliegt) „sauber“ und „gepflegt“ erfüllt. Guter Dinge begeben wir uns
nach einer kurzen repos ins Stadtzentrum von Aix, einer der wenigen großen
Städte der Provence. Vorbei an der römischen Therme, hinein in die
Fußgängerzone und natürlich in die erste Boulangerie, die auf dem Weg zum
Hauptplatz liegt. „Un croque chévre et un croissant pistache, s’il vous plait.“
Der mit Ziegenkäse überbackene Toast stellt sich als weitaus bessere
Alternative zum klassischen croque monsieur heraus, auch wenn ich erst in den
nächsten Tagen erfahren werde, dass es sich um Ziegenkäse und nicht um den vom
Küchenchef kreierten Toast handelt.
Um den Hauptplatz bieten einige Fußgängerzonen Möglichkeiten
zu flanieren und die ersten provenzalischen Eindrücke aufzunehmen. Natürlich
bleibt die Gesellschaft anderer schaulustiger Touristen nicht aus, aber im
Vergleich zu der Dichte an Touristen, die ich in dieser Woche noch erleben
werde, sind die anderen Spaziergang hier ein recht überschaubares Grüppchen.
Nach einer Zeit kommen wir zu dem wirklichen größten Platz, der mehr wie ein
Boulevard wirkt, links und rechts mit Bäumen gesäumt, auf der einen Seite Cafés
mit übermüdeten, Pläne studierenden oder doch einfach die Umgebung genießenden
Touristen, gegenüber Marktstände, deren Besitzer einem mit Kostproben einen
ersten Einblick in die Süße Seite der provenzalischen Spezialitäten gewähren.
Weißen Nougat mit Honig so wie auch die Kombination von Zuckermelone und Mandel
muss man mögen, das Ratatouille, das wir zum Abendessen auf einem kleinen
Platz, zusammen mit der klassischen Käseplatte und einem weniger typischen
Tofusalat verzehren, ist dann doch mehr meins. Noch nicht eingeweiht in die
Selbstverständlichkeit einer Karaffe voll Leitungswasser und dem Baguettekorb
bestellen wir außer einem Wein auch Wasserflaschen. Das Dessert lassen wir aus
und so beenden wir unser Geplaudere über Jugendreisen Mama und Reiners, wobei
sich dieser eher wortkarg als Spätalleinreisender entpuppt, und begeben uns auf
die Suche nach einem Eissalon.
Die Supermärkte in der Provence haben oft bis Mitternacht
geöffnet, zumindest in städtischen Gefielen und so wird es dann doch ein Cocos
Aktivia, das wie Mama mehrmals freudig betont in Österreich nicht mehr verkauft
wird, Jus de Coco und französische Marzipanschokolade für den Reiner, bevor wir
müde ins Hotel zurückkehren.
Aix-en-Provence 2
Als wir in die Lobby kommen, ich selbst schon sorgfältig
geschminkt, meinen Eifer gut auszusehen in der Provence erst wieder entdeckend,
empfängt uns die selbe Rezeptionisten wie am Tag zuvor, ihre Augen neugierig
aufgerissen, wünscht sie uns einen Guten Morgen und erklärt der Mama das
Petit-déjeuner Express, das wir dem hochpreisigen Buffet vorziehen. Ich spreche
zwar bis jetzt nur hin und wieder ein Wort auf Französisch, verstehe jedoch so
gut wie alles und kann auch jetzt sogar ein paar Worte über die Schwierigkeiten der Kaffeekannen mit
einer anderen Touristin austauschen. Gefrühstückt wird dann ungestört, da die
anderen Familien bei dem Buffet sitzen auf der Terrasse. Es ist ruhig,
Croissant, Baguette und Pain au chocolat liegen im Körbchen, Orangensaft und
Boissons chauds stehen auf dem kleinen runden Tischchen. Während ich auf den
St. Victoire im Morgenlicht blicke, trinke ich den etwas zu leichten, wässrigen
Kaffee verfeinert mit Länger-frisch-Milch. Ich weiß noch nicht, dass jeder
cafe, der von diesem abweicht, eine unglaubliche Ausnahme in der nächsten Woche
darstellen wird. Egal, zum Eintauchen des Croissants ist er gut genug, und
immerhin gibt es Marmeladen, dies wiederum eine Ausnahme beim Expressfrühstück
in Hotels.
Nach dem Auschecken geht es wieder in die Stadt hinein. Die
Kathedralen und Kirchen waren bis jetzt immer Pflicht bei Stadtbesuchen und so
lassen wir uns auch diese nicht entgehen, der Bummel über den Blumen- und vor
allem über den kulinarischen Markt ist mir dann doch lieber. In der linken Hand
eine Kostprobe einer Olivenpaste (natürlich auf frischem Baguette) in der
rechten ein Stück Tropizienne, eine Art Briochekuchen, entdecke ich am Rand des
Marktplatzes ein altes Ehepaar das strahlend Obst und Gemüse verkauft.
Erdbeeren und Ringlotten und dann noch eine Pizzaschnitte, die allerdings beim
Stand der Pizzeria Capri. Am Abend zuvor hatte jeder dritte Passant einen
Pizzakarton dieses Restaurants unter Arm gehabt. Mein Verdacht bestätigt sich,
schlussendlich wird die Schnitte gedrittelt.
Wir besuchen sogar eines der Museen, sehen eine schön
gemachte Ausstellung über einen mir unbekannten Maler und sein Beziehung zum
provenzalischen Licht. Ein Freund von Cézanne, man erkennt es auch in seinen
Bildern. Andere wiederum sind fauvisitisch, dann wird es expressiv, ich kann
mit meinem Schulwissen gut ergänzen, während wir uns Stillleben, Portraits und
vor allem liebevoll gemalte Landschaftsimpressionen ansehen. Dafür kann dann
das Tapisserie Museum ausgelassen werden, ob nun Geheimtipp oder nicht. Die
Cafés, die um die Mittagszeit, doch sehr gut von Touristen besucht sind,
schauen ohnehin einladender aus. Wir entscheiden uns für eines, dessen Auslage
mit belegten Baguettes und Pizzaschnitten lockt. Zur Quische wird ein Gazpacho
serviert, meine Begeisterung für die Quische hält sich in Grenzen, doch das
Café ist ansprechend. Dann geht es zurück zur Tiefgarage. Mein Kreislauf ist
die südländische Hitze und das Sight Seeing nicht gewöhnt, im Auto muss erst
einmal Pause eingelegt werden.
Während ich schlafe, suchen Mama und Reiner vergeblich nach
einem Schloss, das sich, gerade als ich wieder die Augen aufschlage, als
Baustelle herausstellt und so geht es weiter in drei kleine Orte und dort
natürlich ganz nach oben, die Kirchen werden nicht ausgelassen. In der ersten
findet sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft ein, unsicher, da wir als die
einzigen Touristen nicht unangenehm störend sein wollen, stehen wir beim
Eingang bis uns eine Dame anbietet eine Runde zu gehen. Interessierte Blicke
der Einheimischen, die Großteils weit über 70 sind. Auf dem Rückweg begegnen
wird dann den jüngeren Teil der Gäste, ein paar wenige von ihnen befinden sich
sogar noch im Restaurant, als wir dort eintreffen um uns zu stärken. Leider
nichts. Nous n’avons pas quelque chose pour manger. Nichts zu essen. Das es
entweder die Hälfte der auf der Speisekarte angebotenen Speisen oder überhaupt
gar nichts Essbares mehr gibt, wird uns noch öfter passieren.
Im nächsten Ort sind die bekannten und deswegen auch als
Holzsouvenir erhältlichen Zikaden das einzige Zeichen von Leben. Fensterläden
zu, Straßen oder besser kleine Gehwege leer. A vendre. Ein Schild, das in den
Bergdörfern der Provence jedes fünfte Haus schmückt, wenn der Tourismus das village
nicht am Leben hält. Immerhin gibt es an der Schnellstraße ein kleines Café.
Maroni-Kokos Eis schleckend warte ich in der intensiven
Nachmittagssonne auf Mama und Reiner, das nächste Dorf hat eine Kirche,
deswegen der längere Aufenthalt. Hier sind immerhin einige Einheimische,
abermals tendenziell über 75 unterwegs, das Café ist gut besucht. Auf dem
Platz, an dessen Rand es liegt spielen zwei alte Damen Boccia. Zum ersten Mal
empfinde ich ein wenig das Gefühl erfüllter Erwartungen.
Lourmarin ist das erste touristische Bergdorf. Das einzige,
was sich hier anbietet ist in einem der Cafés und Eissalons (Eis ist hier
mindestens so beliebt und vielfältig wie in Italien) zu verweilen und das
Treiben zu beobachten. Wir traben einmal durch die Gassen. Schön ist es hier,
doch die ganzen pseudo künstlerischen Galerien, deren Türen extra weit geöffnet
für einen Einblick des ein oder anderen zahlungsfreudigen Urlaubers sind,
nehmen dem Ganzen das authentische. Statt ins Café geht es nun zur Burg. Burgen
und Schlösser sind das zweite Muss nach Kirchen, doch ich bleibe auf einer
weiten Wiese sitzen und zeichne die Umgebung, während Mama und Reiner das
Kultur fördernde Prachtstück unter die Lupe nehmen. Der eigentlich idyllisch
ruhige Moment wird nur durch ein stechendes Insekt gestört, das ich mit der
Hand wegfege. Ich messe dem Stich noch keine Bedeutung zu, weiß noch nicht was
mich erwartet. Zuerst bedauert der Reiner, dass wir kein Konzert auf der Burg
anschauen und dann geben Mama und ich uns mäßig begeistert bei seinem
Vorschlag, das von vielen unentdeckte, extrem unauffällige Albert Camus Grab zu
suchen. Dafür gehen wir Minigolf spielen, die Bahnen lassen zwar zu wünschen
über, aber der Minigolfplatz bildet zusammen mit einem gut besuchten
Restaurant, das neben Crepes auch Burger und Eis bietet, ein nettes Ensemble.
Ich trinke hungrig mein Schwepps und wünschte gleich hier zu bleiben, doch für
uns geht es noch weiter nach Apt.
Apt
Die Pizzeria war eine sehr zufriedenstellende Wahl auf dem
einzigen wirklich einladenden Platz, den wir in Apt ausfindig machen konnten.
Die Stadt ist klein und auch wenn ich sie am folgenden Vormittag noch von einer
anderen, belebteren Seite kennen lernen werde, spät abends ausgestorben und
grau. Unser Hotel wurde mit dem Wunsch edel zu wirken eingerichtet und sieht
schmuddelig aus, die zwei großen Kriterien „sauber“ und „gepflegt“ sind nicht
ausreichend erfüllt, da hilft auch die angebliche Luxussweet statt dem
einfachen Dreibettzimmer nicht, auch kein Petit-déjeuner Express. Aber die Pizza
schmeckt, um genau zu sein, die drei halben Pizzen mit Salat. Sowohl dieses
spezielle Angebot, als auch wenig bis zu gar nicht marinierter Salat sind
typisch provenzalisch, noch denke ich, dass die langweilig schmeckende
Salatmischung eine Ausnahme ist. Macht aber nichts, der Kellner ist dafür ein
unglaublich charmanter junger Franzose, wobei sein Charme eher im Gespräch mit
Mama zur Geltung kommt und ich nicht einmal mit meinem Englisch ankomme, da der
Wunsch nach einer Dessert Karte, dank der unter Nervosität leidender Aussprache
zu einer Wüsten Karte wird, was er mit einem Witz kommentiert. Der Obstsalat
und das Lavendel-Panacotta sind dafür vorzüglich und der Kellner sorgt für
guten Gesprächsstoff.
3 Apt
Ich wache mit einem unglaublichen Hunger auf und muss diesem
Stand halten, da das Hotelinterne Frühstück Express ja leider ausfällt, also
hinüber über die kleine Brücke in das Ortszentrum. Leider nicht direkt in die
nächste Boulangerie, sondern erst einmal zur Kirche, vor welcher gerade ein
prächtiger Einzug in Trachten gehüllter Apter stattfindet, Reiner und Mama
wittern die außergewöhnlichen Fotomotive und so werden erst einmal zwanzig
Minuten biedere, streng religiöse Mädchen mit Spitzenhauben und bodenlangen
Kleidern bewundert. Ich bewundere sie auch, zumindest in der Hinsicht, dass ich
bei vormittäglichen 26 Grad nicht in dutzende Stoffschichten gehüllt sein
könnte, auf jeden Fall nicht mit so einem andächtigen Gesichtsausdruck. Der
einzige der außer mir und ein paar gleichgesinnten Touristen der Prozession nicht
viel abgewinnen kann ist der jüngste der Security Männer, die den Eingang
regeln. Er gähnt und sieht sich müde um. Die Idee den Gottesdienst beizuwohnen
wird schleunigst abgelehnt und spät aber doch finden wir nicht nur ein
entzückendes Porzelanschüsselchen mit meinem Namen darauf, das dem meiner Mama
aus dem Alsas bis auf kleine Unterschiede annährend gleicht, sondern auch eine
Boulangerie. In der Auslage glänzen die kandierten Früchte für die Apt bekannt
ist. Es gibt sogar Kaffee und andere boissons chauds zum Gebäck, wenn auch
keine confiture. Keine Überraschung mehr. Der Kaffee schmeckt wassrig, auch das
wenig überraschend. Danach muss noch ein Jäuschen her, der ruhige kleine Platz,
auf dem Touristen und Einheimische gleichermaßen vorbeispazieren (eine
Seltenheit in der Provence) ist trotzdem ein gemütlicher Ort gewesen, um sein
petit-dejeuner einzunehmen.
Raus aus Apt, es stehen wieder einige Bergdörfer am
Programm. Die provenzalische Hitze war noch nie so bemerkbar wie jetzt. Im
ersten Ort ist es wenig vergnüglich unter den schwer auf einem liegenden
Sonnenstrahlen die Antiquitäten zu bewundern. Der Boden ist hell und staubig,
die Tische mit alten Tellern, Schmuckstücken, Schallplatten, Sonnenbrillen und
vielem mehr gefüllt. Die Standbesitzer selbst haben sich zum déjeuner in den
Schatten zurückgezogen. Sie packen Salate, Baguette und ihre Zigaretten aus,
plaudern mit den Nachbarn oder werden von Freunden besucht. Schaut man über
ihre Köpfe hinweg sieht man weit ins Land. Doch die Hitze versagt einem
jegliche Art längeren Verweilens und wir retten uns in den Schatten. Ein in den
1970er Jahren stehengebliebenes Ehepaar serviert Crépes und Melonen für die die
Provence weltberühmt ist, zumindest bei Gourmets. Unsere erste Crépe salée oder
Galette, was wie wir herausfinden bloß eine andere Bezeichnung ist. Auf dem
kleinen Platz vor der Kirche sitzt man zu gut, nur noch ein schneller Blick in
diese hinein, denn höhergelegen soll das eigentlich besondere Gotteshaus
liegen. Vielleicht ist das alte romanische Kirchlein, das allein friedvoll
anmutend auf einem winzigen Hügel liegt wirklich außergewöhnlich, das Problem
sind nur die verschlossenen Holztore. Wir sind nicht die einzigen Neugierigen,
die jetzt etwas entmutigt auf den Holzbänken unter den großen Bäumen neben dem
schweren Steinbau sitzen, ich fühle erschöpfte Übelkeit und auch das Vanille
Joghurt aus Mamas Tasche kann hier wenig helfen. Es folgt eine halbstündige
Suchaktion zurück zum Parkplatz, dort ein Versuch in einem Restaurant zu essen,
der an dem üblichen no manger au moment scheitert und so machen wir uns
hoffnungsvoll, immerhin im Genuss einer Klimaanlage auf den Weg ins nächste
Dörfchen.
Würde man wenigstens von einem wirklichen Dörfchen sprechen
können, wären auch die bescheidensten Erwartungen erfüllt gewesen, aber
zwischen den Häusern, die sich unterwürfig unter der Burg des Marquis de Sade
bücken, ist abgesehen von der auf Motorrädern sich möglichst gut die Zeit
vertreibend sitzenden Jungen aus dem Dorf, keine Menschenseele unterwegs. Bevor
der Gipfelanstieg zur Burg beginnt, muss die Mittagshitze durch ein kühles
Getränk erträglicher gemacht werden und der Hunger endlich gestillt werden.
Doch der Bauch darf brav weiter knurren, denn no manger im einzigen Café am
untersten Ende des Ortes. Der Kaffee ist wassrig, die Aussicht dafür schön, so
schön, dass man sich mit der nun schon sehr dringend notwendigen kulinarischen
Versorgung vorstellen könnte, länger zu verweilen, das Café ist sogar recht
belebt, die Dorfjugend trinkt im Schatten des vorspringenden Daches Cola, die
Touristen kühlen sich mit zu Fächern umfunktionierten Landkarten die roten
Wangen. Der Burg wurde vor einiger Zeit von einem französischen Modezar
gekauft, so wie 30 Häuser des Dorfes, die Einwohner waren empört, doch dem nun
über 90 Jährigen Mann gefiel die Idee des Burgbesitzers, der ein Kulturerbe
erhält und die Kunst mit kulturellen Veranstaltungen für den zusammenkommenden
Jetset fördert, anscheinend zu gut, um von ihr loszulassen. Eintritt 12 Euro,
in der Ruinen ein paar wenige Räume, auf dem Berg eine Hand voll Touristen, die
der Hitze strotzend zwischen den drei überdimensionalen Figuren, die wie als
hätten sie sich hier her verirrt, die Grünfläche um die Burg verschönern. Es
bleibt hierbei wohlgemerkt bei einem Versuch und auch das Metallrohr um den
Haupteingang zur Ruine, das eine Profilansicht des Marquis darstellt wirkt
grotesk. Wir sind uns zumindest darin einig, den Eintritt nicht zahlen zu
wollen und so geht es zurück zum Auto, auf der Straße noch einmal kurz
anhalten, die Motoradclique dreht ihre Runde.
Ménerbes wäre mir vielleicht nicht mehr im Gedächtnis,
jedenfalls löst der Ort bei der Ankunft wenig Begeisterung in mir aus, allein
dass das einzige Buch über die Provence, das ich in diesem Urlaub lese hier
spielt, lässt mich im Nachhinein noch einige Male daran zurück denken. Doch ich
vergebe mich meistens vergebens auf die Suche in meinen verschwommenen
Erinnerungen nach erwähnten Cafés und Häusern, denn auch wenn ich noch erfahren
werden, dass hier Picasso seine Liebsten ein Haus kaufte (um sie los zu werden,
da er sich einer neuen Liebelei hingab wohlgemerkt), scheint der Ort auf den
ersten Blick unspektakulär. Die in der
Fußgängerzone liegenden Cafés sind von ein paar wenigen Urlaubern besetzt, doch
sonst tragen graue kleine Häuser und alles erfüllende Lautlosigkeit (so
jedenfalls meine Erinnerung) zu einem langweiligen Gesamteindruck bei. Doch oh
la la es gibt in einem der Restaurants Küche. Nizza Salat und Omlett frommage,
eine wohlverdiente späte Mittagspause, bloß ein paar Windstöße, die einem
Salatblätter auf die Bluse und Tischtücher auf die Teller wehen, stören, doch
die Restaurantbesitzern sagt die sind gleich wieder vorbei. Sie behält Recht.
Die letzte Station bevor es nach Rousillon geht, Abendessen,
schlafen. Gordes hat eines neuen und einen alten Teil, wobei der Alte eine Art
Museums Dorf darstellt. Man hält auf einem riesigen Parkplatz (einen solchen
findet man bei jeder beliebteren Village der Porvence) und marschiert dann,
weil es ja alle tun und weil oben ja weiß Gott was auf einen wartet, die
Gässchen hinauf, die Augen und die Füße sind müde, es wird mehr auf den Boden
geschaut, als die grün bewachsenen Steinfassade bewundert. Wer kann es einem am
frühen Abend verübeln? Nicht wie sonst ist oben eine verschlossene Kirche, nein, eine Ruine.
Marie, Beeilung, es gibt eine exklusive Ruinenführung, die der Restaurator (der
übrigens im Dienst eines privaten Inhabers des alten Gemäuers steht) nur jetzt
gibt, nur jetzt darf man einfach hinein gehen, was für ein Glück! In der Ruinen
sieht man Steinwände, eine Treppe, dann wieder Wände, auf Französisch werden
bauliche Besonderheiten und Techniken der Renovierung erklärt, der euphorische
Restaurator findet kein Ende, sein Fachvokabular hinterlässt in den nicht französischen Gesichtern
Fragezeichen. Endlich unternimmt eine Dame den Versuch ihn zu bremsen, ein
lautes Merci unterbricht den Redeschwall. Der Schritt in die Freiheit, ein
allgemeines aufatmen.
Roussillon
In Roussillon muss dann nur noch das kleine Hotel gefunden
werden, es liegt nicht direkt im Ort. Das Zimmer ist ebenerdig und nett, wieder
kein Frühstück Express. Reiner springt ins Pool und dann geht es zum Essen ins
Dorf, die Restaurantempfehlung der Rezeptionistin zu befolgen ist eine gute
Entscheidung. Das Restaurant war mir schon bei der herfahrt aufgefallen, nun
sitzen wir auf einer dicht bewachsenen Terrasse und bestellen zwei typisch
französische Menüs. Zuerst Salat, der typisch französisch Lust auf die
Hauptspeisen macht, dann Fleisch auf zwei wundervolle Arten zubereitet, einmal
die Ente in Honig und einmal das Schwein im Teigmantel und dazu Ratatouille und
Erdäpfel Gratin. Am Nebentisch feiert ein einheimischer Junge Geburtstag. Die
Anwesenheit eines Mädchens sorgt für reichlich Gesprächsstoff. Ich fühle mich
geschmeichelt, bin selbst jedoch mit der zweiten Urlauberfamilie beschäftigt.
Dreiköpfiges Schweigen, der Junge in meinem Alter scheint genervt, Mama freut
sich über meine Zufriedenheit, die ich auf diesem Urlaub, trotz fehlender
Gesellschaft in meinem Alter an den Tag lege. Wir plaudern über sprachliche
Eigenheiten meiner Großeltern und hin und wieder wird auch ein blick zur
Familie geworfen, wir würden sie am liebsten zu uns an den Tisch holen,
irgendwann erhebt sich der Junge energisch, die Eltern folgen schnell. Wir
genießen einen provenzalischen Schokokuchen mit flüssigem Kern, dann verlassen
auch wir das, nur wegen der feiernden Runden noch geöffnete Lokal. Das
wunderhübsche Dorf muss jedoch noch kurz erkundet werden. Man hört Stimmen und
findet sich denen folgenden am sehr belebten (wenn auch ausschließlich mit
Touristen) Marktplatz wieder. Eine Band, die mehr Entertainer als Musiker sind
ermöglichen in die Jahre gekommenen Paaren und einigen Kindern eine fröhliche
Tanzeinlage, auch Reiner, der es sich auf einer Treppe bequem gemacht hat, geht
bei Sunny und anderen sommerlichen Schunkelklassikern das Herz auf, er wiegt
sich in den wenig wohligen, aber doch bemüht swingenden Klängen. Es ist
abgekühlt, ich trinke noch eine heiße Schokolade, dann setzten sich Mama und
ich doch durch und der Heimweg wird angetreten.
4 Roussillon
Ich reibe mir die Müdigkeit aus den Augen und trage das Make
up auf, gestern waren Brigitte Bardot und Cahtrine Denove meine Vorbilder
gewesen, davor einmal Marion Cotillard, dann Juliette Binoche. Und heute Jean
Seaberg, leider ohne Jean-Paul Belmondo, dafür sitzt der Lidstrich. Frühstücken
in Rousillon stellt sich leider als weniger leichtes Unterfangen heraus. Die
Boulangerie ist nun einmal kein Café und hat daher zwar den üblichen
dünnflüssigen Kaffee, aber kein Wasser, gibt es in einer Boulangerie nicht
erwidert die Kellnerin auf die Frage sogar für eine Französin ausgesprochen
energisch. Das Croissant und der Pain auch chocolat sind wie immer gut, man ist
mit dieser Wahl immer auf der sicheren Seite, doch anders verhält es sich mit
Quische, wie ich bereits gelernt habe und auch diesmal ist meine
Käselauchquische nicht die richtige Wahl, wobei auch die eigenartige Interpretation
von chaud der provenzalischen Bäckereibesitzerinnen und Mitarbeiterinnen, die
oft zu einem nicht einmal lauwarmen Essvergnügen führt, ihres zu dem wenig
aufregenden Petit-Déjeuner tut. Also muss bevor es in auf die berühmten
Okrafelsen, die Rousillon so bekannt machen, da ganz wunderbare ockerfarbene
Farbextrakte aus ihnen zu gewinnen sind (12 verschiedene Ockerwandfarben kann
man hier an den Häusern bewundern), noch eine Wegstärkung sein. Das erste
gefüllte Baguette mit Schinken, Tomaten und Käse ist formidable und der Spaziergang
durch die Felsen nett, wobei die Sensation das Wiedersehen mit der Familie vom
gestrigen Abendessen darstellt, die wir kurzum bitten von uns ein Foto zu
machen. Während Reiner die längere Route geht, wählen Mama und ich nett
plaudernd den kürzeren Weg und erwarten ihn bei Melonenmilkshake und Kaffee.
Die arrogante Kellnerin reagiert auf ein deutsches Seniorenpaar am Nebentisch
zu gereizt, dass Mama und ich auch noch spontan als Dolmetscher und
Menürverleser agieren. Dann geht es weiter, raus aus einer der schönsten
unserer Stationen, ein herrliches Eis aus Mandelmilch (Lavendel wurde
verkostet, war uns dann jedoch zu speziell) tröstete über den Abschied hinweg.
Gordes
Avignon
Der Hotelbesitzer ist zuvorkommend und bietet sogleich eine
Erklärung des Stadtplans an. Avignon hat als einzige Station unserer Route den
Flair eine Großstadt, was nicht positiv zu verstehen ist, vielmehr vermisse ich
bei der Einfahrt in die Stadt die warmwohlige Lichtstimmung, die uns auf in Aix
bezaubert hatte. Noch im Auto, sehe ich aus meinem Fenster die alte Stadtmauer,
grau, und auch die Häuser, die durch die Bögen erkennbar sind, grau. Auch der
Blick durch die andere Fensterscheibe ist wenig zufriedenstellend, große
Kongresshotels und ein riesiges blockartiges Gebäude, das, so glaube ich
entziffern zu können, politischen Zwecken dient. Der Hotelbesitzer erklärt uns
wie wir zu guten Restaurants kommen, ja nicht auf den Hauptplatz, wir werden
bald verstehen was er meint, und auch der Weg zum Papstpalast, wie auch zu Pub
und Apotheke (Wieso sollten wir so bald eine Apotheke brauchen?) wird
eingezeichnet. Er ist nett, Frühstück Express geht in Ordnung, fast vergisst
man das karge Interieur in der kleinen Lobby, in die wahrscheinlich so gut wie
nie Licht fällt, jedenfalls ist schwer vorstellbar, dass sich Sonnenstrahlen
zwischen den hohen Häusern, die dringend einmal renoviert werden müssten, in
die enge Gasse zwängen. Doch der Weg zu unserem Zimmer lenkt unsere
Aufmerksamkeit dann doch wieder auf unser Umfeld, eine endlose Treppe und dann
noch ein Gang, die Exkursion zu unserem Zimmer, das an dessen Ende liegt ist
bestanden, die Belohnung, ein mit bemüht dekorativen afrikanischen Accessoires
ausgestattetes Zimmer, enttäuscht uns dann doch. Aber nichts wie in die Stadt,
der Magen knurrt, wir kommen stets so spät in unserem Übernachtungsort an, dass
der Hunger ungewöhnliche Dimensionen annimmt, Glacé und Snacks aus der
Boulangerie sind schon wieder vergessen. Der empfohlene Platz ist genauso, wie
wir es uns für unsere Abendessen wünschen, ganz im Gegensatz zu dem Restaurant,
das wir auf seine Empfehlung hin, nachdem wir das Auto geparkt haben aufgesucht
haben. Es war wohl nicht nur an uns empfohlen, man fühlte sich wie in einem
Hotelrestaurant, die Menüpreise waren entschieden zu hoch. Dann doch lieber
eine herrliche Pizza mit viel Mozzarella und zwei große Salate, die für
provenzalische Verhältnisse sogar recht ansehnlich sind, doch das war bei dem
Ansturm auf die vollbesetzte Pizzeria zu erwarten, ständig werden leere Tische
neu besetzt, der freundliche Kellner flitzt zwischen den Tischen hin und her,
Stress gehörte hier wohl zum täglichen Abendprogramm. Die vielen Bestellungen
machen sich allerdings in der Wartezeit erst einmal bemerkbar und während Mama
und ich an unserem gemeinsamen Bier (die heutige Entscheidung der täglichen
Frage Bier oder Wein?) nippen, liest der Reiner angeregt in einer schwer zu
folgenden Geschwindigkeit aus dem Reiseführer vor. In Avignon hat sich einst
der Papst niedergelassen, es gab Gründe Rom zu verlassen, doch mein Gedächtnis
hat diese Geschichten anscheinend als nicht besonders merkenswert abgestempelt.
Auf jeden Fall fällt auch faulen Reiseführerverweigerern die einstige Beehrung
der Stadt durch den Papst auf, der Papstpalast, eine mittelalterliche Festung,
thront über der Stadt, zwar nicht so hoch oben, wie die eigentliche Kathedrale,
dafür größenmäßig dieser weit überlegen. Es ist spät geworden, doch gestärkt
geht es dann doch noch auf eine kleine Entdeckungstour, zumindest kurz den
Palast bewundern. Dem Weg zum Hauptplatz haftet etwas unangenehm ausgestorbenes
und verfallenes an, die Häuser hängen seufzend grau in die schmalen Gassen
hinein, kaum ein Fenster ist erleuchtet. Erst in den Gässchen nah um den
Hauptplatz beginnt wieder das Leben, Touristen füllen die Lokale, bloß eine
Frau, die in Fetzen gekleidet laut rufend und auflachend durch die Straße
tanzt, fügt sich nicht in das gemütliche Bild, sie wirkt wie ein Mahnmal, eine
Erinnerung an die fast an ein Slum erinnernden Zustände in anderen Teilen
Avignons. Der Hauptlatz selbst wäre schön, er ist groß und au seinen
Längsseiten links und rechts stehen dicht gedrängt die Menükarten von Cafés und
Restaurants, Paella neben Sushi, zwischen zwei Pizzerien drängt sich noch ein
indisches Lokal in die freie Lücke. Ein Ringelspiel, so wie auch zwei große
Eissalons, deren unzählige Sorten typisch provenzalisch ausgeschmückt mit verlockenden
Fruchtscheiben und Lakritze, Schokoladestreuseln und Karamellsoße, geben dem
Ensemble noch einen zusätzlichen Jahrmarktflair. In dem einen Eissalon müssen
wir das Eis von näherem bewundern. Ganze Porzellankrüge mit frischweißem
Joghurt stehen in dem wie ein Gletscher emporragenden Joghurteis, ganze
Schokoladeriegel liegen in Sorten wie Snickers, Mars oder Kinderschokolade.
Noch lang kein Grund sofort zuzugreifen und eine der selbstgemachten Waffeln
turmhoch füllen zulassen, im Laufe der Reise wird man Eiscreme betreffend
verwöhnt. Also zurück auf den Platz, aber lieber nicht durch die Motorradgang
durch und auch nicht durch die schulklassengroße Gruppe Obdachloser durch, die
es sich auf der rechten Seite noch vor den vielen Restaurants mit ihren Hunden
bequem gemacht haben. Ja die Platzbeschreibung täuscht mehr über sein wahres
Gesicht hinweg, als einen Eindruck zu vermitteln, Neonlichter sorgen für eine
gewisse Reizüberflutung, die Touristen sitzen dicht gedrängt auf Plastiksesseln
unter Plastikschirmen und werden in regelmäßigen Abständen von oben herab mehr
oder weniger, je nach dem wo sie Platz genommen haben, zur Erfrischung
abgeduscht. Auch auf dem Platz vor dem Palast gibt es Lokale, jedoch eindeutig
nobler, wahrscheinlich ist gerade abends die Sicht auf das Gebäude preislich
inkludiert. Kein Wunder, wenn man vergisst, dass man in einer Stadt wie Avignon
ist und sich vorstellt, dass der Palast bei einer Walderkundung plötzlich, als
man einen schweren Ast zur Seite schiebt, in seiner ganzen steinernen Pracht
vor einem steht, könnte man fast eine ehrfürchtige Gänsehaut auf dem Rücken
spüren, doch schon kommen wieder Stimmen von allen Seiten, hinter dem Palast
vereint sich der männliche, ohne Vorurteile stark kriminell anscheinende Teil
der städtischen Jugend, ein Stelldichein, bei dem wahrscheinlich allerlei
ausgetauscht wird, so meine Vermutung, doch was unternehmen wohl die jungen
Mädchen? Ein paar hatte ich bei den Restaurants an den Häuserwänden sitzen
sehen, desinteressiert an ihren Zigaretten ziehend, während ihre Freunde wie
aufgescheuchte Hühner mit Tablett und Speisekarten durch die Touristenscharen
laufen. Der Weg zurück zum Hotel erweist sich als beschwerlich. Mich hat ein
Tier, das sich langsam eindeutig als Nicht-Gelze entpuppt in den Wiesen
Lourmarins gestochen und dieser Stich, den es mir leider, trotz meiner
schnellen Reaktion, als ich den Angreifer spürte und dem festen Zuschlags,
hinterließ, begann sich blau-rot zu verfärben und meinen ganzen linken Fuß in
Mitleidenschaft zu ziehen. Er ist ein wenig angeschwollen, humpelnd suche ich
noch nach einer Nachspeise, die dann eine heiße Schokolade am Imbissstand neben
dem Hotel wird, auch in den französischen Städten, in denen die letzten
Touristen erst um elf einkehren, sind irgendwann die Rollläden
heruntergelassen, beklebt mit schmuddeligen Plakaten und verziert mit Graffitis
fügen sie sich perfekt ins Stadtbild. Im Hotel zurück schaffe ich den Weg ins
Badezimmer nicht mehr, den Fuß in die Luft gestreckt mache ich mir Sorgen. Was
könnte es sein? Was wenn ich eine schlimme Infektion habe und in der Nacht mit
40 Grad Fieber aufwache? Ich schlafe zum Glück, nachdem ich ein
entzündungshemmendes Medikament nehme, augenblicklich ein.
5
Das Petit-dejeuner Express ist wirklich sehr petit und sehr
express. Ein Croissant und keine Marmelade, dafür den typischen Café au
lait, der zum Tunken, wenn auch nicht
zum Trinken geeignet ist. Der Weg in den Frühstücksraum und danach zurück ins
Zimmer ist hinkend die reinste schmale Wendeltreppe-schmalere Gänge-Odysee und
das Hotel zu verlassen, trotz wirklich zuvorkommenden Besitzer, bei dem wir uns
dann doch ein paar Empfehlungen für Ärzte erbitten, ohne Bedauern. Die Straßen
Avignons laden jedoch eben so wenig zum Verweilen ein, bemüht die hübscheste
Route zum Markt zu gehen, bleiben wir doch nur in einem Gässchen etwas stehen,
um uns mit ein paar wenigen gleichgesinnten Touristen die einzige in den
Reiseführern erwähnte Gasse dieser Gegend anzusehen. Sie hat wirklich etwas
Reizvolles, kleine Brücken führen über einen winzigen Kanal zu Villen, die
rechts des Gässchens versteckt hinter hohen umwachsenen Metallzäunen liegen und
auf der linken Seite logt in nettes Café mit selbstgemachten Frozen Joghurt und
pikanten Snacks, doch man muss sich doch eingestehen, dass sie sich nur in
einer solchen Stadt solch einer Aufmerksamkeit erfreuen kann, es steht nun
einmal doch alles im Vergleich. Ich entscheide mich gleich in die Markthalle zu
gehen, die von dem Flohmarkt zu uns herüberflatternden weißgelblichen Kleider
und Tischdecken verlocken mich eindeutig weniger, als der Gedanke an frische
Früchte und provenzalische Spezialitäten. Türme aus Sesamkuchen, die an helle,
runde Käseleibe, Nüssen und anderen Verfeinerungen sind in den Teig
verarbeitet, der nächste Stand lockt mit Kostproben seiner Antipasti und
Aufstriche, die in mundgerechten Bissen auf frischem Baguette auf der Theke
thronen. Es werden sogar ganze formules zum Mitnehmen angeboten. Als Mama und
Reiner wenig später eintreffen, habe ich schon so gut wie alles erkundet und
zeige Mama begeistert die Tröge voll Nüsse und die Aufläufe, die aus hübschen
Porzellanbackformen stückweise verkauft werden. Wir greifen trotz allen
Verlockungen nicht zu, der Supermarkt gleich bei dem hinteren Eingang wird zu
unserem Ziel und glücklich über eine perfekt reife Avocado (ein solches
Exemplar war in der gesamten Markthalle nicht zu entdecken) ziehen wir weiter durch
die erstaunlich schmucken Gässchen für Fußgänger, die mit Cafés an beiden
Seiten, kleinen Geschäften und aufwendig gestaltet (in einem wandelt man unter
lauter bunten Regenschirmen, die an Seilen, welche zwischen den Häusern
gespannt sind, hängen) so gar nicht zu unserer durch die vorabendlichen
Eindrücke und unseren Weg zur Markthalle gezeichneten Meinung über Avignon passen.
Mein Kreislauf sagt mir, dass es Zeit für eine Pause wird, er kündigt es
bereits im kleinen CD Geschäft, das wir besuchen, um auf Reiners Wunsch hin
eine CD für die Autofahrten zu kaufen. Ich sitze in dem kühlsten Winkel hinter
dem Ständer mit den Postkarten und löffle die Avocado, während der Verkäufer,
der sich als Jazz und Klassik Fan herausstellt, eifrig berät. Es soll auch
etwas Französisches dabei sein. Zwei Jazz Sängerinnen fallen in die engere
Auswahl. Nun müssen sie sich noch einer Hörprobe stellen, Reiner und ich
entscheiden uns jeweils für eine. Schlussendlich kaufen wir auf mein Anraten,
doch nicht den Céline Dion Verschnitt, der sich im Jazz versucht, sondern eine
sehr experimentierende Jazz Diva, die in einer Linie mit Ella Fitzgerald und
Billy Holiday steht. Ein Fehler, wir werden die CD genau zweimal hören, jedes
Mal auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin, einmal am Weg ins Spital. Wir müssen
wohl oder übel den Anforderungen meines Körpers entgegen kommen und kehren in
eine Café nicht unweit des Geschäfts ein. Ein großer kalter Café au lait mit
chocolat und zu Essen ein Salat, das klingt nach einer Energie bringenden
Zusammenstellung, doch mein Magen und Kopf geben sich resistent gegen jeden
Versuch meine Kreislauf in Schwung zu bringen und so geht es müden Schritts
weiter in Richtung Burg. Die unglaublich beschwerliche Wanderung endet für mich
auf dem Platz vor diesem mittelalterlichen Steinmonstrum, das wir schon gestern
Abend bestrahlt von dramatisch angeordneten Lichtern bewundert haben. Mama und
Reiner drehen eine Runde um die Burg, ich setze mich erdrückt von der
Mittagssonne in eine der überteuerten Toursitenfallen und darf nicht im
normalen Sitzbereich, sondern neben dem Eingang etwas separiert Platz nehmen,
da ich nichts plane zu Essen. Ein
Ananassaft und eine Kugel Joghurteis verbessern zusammen mit meiner liebsten
Frankreichlektüre minimal meinen Zustand, doch mit der Mama trifft auch der
mich ständig plagende Heißhunger wieder ein. Ich hole mir eine Gemüsecrépe bei
einem Imbisstand auf selbigen Platz, wobei es an der Theke so heiß ist, dass
ich mich während die Angestellte in der Küche verschwindet, gegen den
Getränkeautomaten lehne, um nicht ausgestreckt am Boden zu enden. Die Crépe ist
miserabel, doch nichts anderes habe ich in der Gegend erwartet und in gewisser
Hinsicht erleichtert sie nun doch den Aufstieg zur Kathedrale, ein Steinweg,
der sich dadurch auszeichnet komplett in der Sonne zu liegen. Das Ziel erreiche
ich nicht, ich bleibe auf einer Bank ausgestreckt, den angeschwollenen Fuß aus
der Sandale befreit, zurück und hoffe, dass keine der vielen Pensionisten
ebenfalls einen Schattenplatz beanstandet. Auffällig viele Burschen bewegen
sich mit ihren Handys in der Hand den Berg hinauf, später berichtet mir Mama,
als die beiden von der Aussichtsplattform auf dessen Spitze zurückkehren, von
einer Pokemon Go Großversammlung, es hatte sich wohl ein Prachtexemplar an dem
Ort aufgehalten. Ausflug beendet, ich war zwar hauptsächlich gelegen oder
gesessen, doch mein Körper lässt sich nicht von der Meinung abbringen, dass
sein größter Wunsch etwas zu Essen und ein schattiges Plätzchen sei. Der Platz
auf dem wir einkehren ist nett und die ruhige Atmosphäre lässt wenig von der
Nähe zur Burg und zu dem überfüllten Hauptplatz erahnen. Wir bestellen eine
Crépe mit Ziegenkäse und einen Salat mit Walnüssen. Der Reiner verlässt und
gleich nach dem Essen, um das Auto zu holen, während wir uns schön langsam auf
den Weg zurück machen. Eigentlich steht noch eine kleine Nachspeise in dem
schönen alten Café und Eisgeschäft am Rande des Hauptplatzes am Plan, doch
Reiner braucht nicht lang und wir begnügen uns mit herrlichem Proviant: Die mit
Abstand herrlichste Apfeltasche und ein zwar unglaublich süßer aber zumindest
genauso verlockender Mandelkochen.
Pont du Gare
Die Parkgebühren beim Pont du Gare betragen 12 Euro, ein
stolzer Preis, auch wenn wir von dem Reiseführer bereits vorgewarnt sind. Auf
dem Gelände kommen uns ausschließlich Badegäste entgegen, der ruhige Ort und
der große Schatten, den der Pont über das Gewässer wirft, eignen sich wirklich
wunderbar für eine kühle Erfrischung. Reiner möchte auch baden gehen und
vielleicht bis elf bleiben, um die Lichtspiele Turrels von einer der beiden
Restaurantterassen auf den Anhöhen links und rechts des römischen Wunderwerks
zu genießen. Doch was mehrere Stunden an einem Ort tun, der sich zwar positiv
von all den anderen Touristenanlagen abhebt, da sich die Einkehrmöglichkeiten,
Souvenirstände und Eisgeschäfte erstaunlich in Grenzen halten, der jedoch dadurch
bloß zum Essen und Baden gehen taugt, wenn man nicht bereit ist den Pont von
allen Seiten zu umwandern und bewundern? Das sind wir eindeutig nicht,
zumindest Mama und ich, Wunder der Technik und Architektur hin oder her. In
Realität schaffe ich es dann nicht einmal mehr bis zum Wasser nach vor, während
andere jugendliche über die Felslandschaft laufen, versuche ich an Mamas Arm
den Weg durch die immer noch starke Abendsonne zu bewältigen. Es ist unmöglich,
der Besuch beim Arzt plötzlich ein nicht hinterfragbarer Entschluss. Auch mein
Magen meldet einen Entschluss: Ein Sandwich, ein Wunsch der mindestens sieben
Mal täglich aufkeimt. Doch wie könnte es anders sein. Desolé, keine choses
salées. Ich kann mich also zwischen Eis, Trockenfrüchten und Donuts entscheiden,
mir ist übel und ich nehme Mamas mitgebrachten Apfel dankend an, warte bis sie
Wasser aus dem Souvenirshop geholt hat und entdecke zwei Sanitäterinnen. Wir
sprechen sie an. Mon dieu. Mein Fuß, der rotblau leuchtend, dick angeschwollen
auf dem Bett in der kleinen Kammer unter die Lupe genommen wird, sorgt für
Aufregung. Mama verändert das Datum des Stiches auf denselben Morgen statt vor
vier Tage, denn die empörte Reaktion der besorgten Sanitäterinnen lässt sich
bereits erahnen. Keine kann dem Anblick ein Insekt zuordnen, scheinbar wissend
drückt die Älteste an der ein oder anderen Stelle. Ich nicke oder schüttle den
Kopf, französisch fällt mir in einer solchen Situation reichlich schwer und mit
meinen Englischkenntnissen bin ich hier eindeutig alleine. Schlussendlich werde
ich auf einen Rollstuhl gesetzt und mein Fuß in Eisbeutel gewickelt. Nicht mehr
auftreten! Niemals! Verstanden, die unzähligen Schritte der vergangenen Tage
bleiben unerwähnt. Als wir hinausfahren, packt eine der Jüngeren die DVD enttäuscht
zurück in ihre Tasche, Filmschauen ging sich nun doch nicht mehr aus.
St. Remy
Zuerst werden wir unsere Sachen in dem Hotel unterbringen
und dann weiter ins Spital fahren. Der Rezeptionist ist besorgt und empfiehlt
und das Krankenhaus in Avignon, statt jener die die Sanitäterinnen auf einen
Zettel notiert haben, wir sollen ihm berichten, ob alles gut verläuft. Im Auto
schwärmt Mama von dem hübschen Hotel im Kolonialstil und dem Frühstücksbuffet,
für das wir uns ausnahmsweise entschieden haben, man könne ja nicht wissen, ob
ich morgen im Hotel bleiben müsse.
Avignon
Das Spital entpuppt sich als Labyrinth, die Beschilderung
ist eine geringe Hilfe. Die Laune ist sowieso schon gesenkt, man beachte, dass
wir nun das zweite Mal in einer Stadt eintreffen, die uns schon beim Ersten Mal
nicht zugesagt hatte. Zum Glück führt uns eine nette Schwester in die
Notaufnahme, eine gut gefüllter Raum, der an eine Arztpraxis in einem dritte
Welt Land erinnert, kaputte Automaten und eine Sanitäranlage wie auf einem alten
Bahnhof lassen einen den Glauben an ein solides Spital verlieren. Die Wartezeit
wird durch Beobachtung der anderen Eintreffenden und Sudokus erleichtert, Mama
nippt nervös an ihrem Orangensaft, die Sorge ist ihr ins Gesicht geschrieben.
Als ich endlich aufgerufen werde, dürfen Mama und Reiner nicht mit. Sie sollten
sich keinerlei Sorgen machen, die Ärzte spräche Englisch, sie würden ohnehin
informiert werden. In der Erstaufnahme
habe ich das merkwürdige Gefühl, die Dame, die meinen Bericht ausfüllt, hört
mir nicht im Geringsten zu, glücklicherweise nicht wissend, dass sie die
einzige bleiben wird, die wirklich Englisch versteht. Nach weiterer Wartezeit,
werde ich auf eine Art Bett gelegt. Das Zimmer teile ich mir mit einer Dame,
die an einem Sauerstoffgerät hängt und deren Keuchen und Röcheln mir mehrere
Male das Gefühl, sie vor dem Ersticken bewahren zu müssen, gibt. Die junge
Ärztin, die sich um mich kümmert kann (oh surprise!) kein Englisch, doch wir
schaffen es ein wenig zu kommunizieren, wobei das enttäuschende Ergebnis ist,
dass es sich um eine Infektion handle, das Tier jedoch nicht klar sei. Mein Fuß
wird zum Objekt ihrer Handykamera, sie würde es mit ihren Kollegen besprechen,
vielleicht müsse ich eine Nacht hier bleiben. Dann 20 Minuten , gefühlte zwei
Tage niemand. Ich liege im Zimmer und mahle mir mein schlimmes Schicksal aus.
Der Arzt, der als nächstes mein Bein unter die Lupe nimmt, schüttelt lediglich
seinen Kopf. Meine Angst wächst. Vielleicht ist es eine sik. Eine bitte was?
Sik. Das Wort war mir unbekannt. Als Mama und Reiner ins Zimmer kommen (es war
wieder eine halbe Ewigkeit vergangen), bin ich den Tränen nahe, doch sie
erklären mir, dass ich nachhause könne, nur Antibiotikum nähmen müsse. Reiner
spricht mich auch gleich auf mein laut ihm fehlerhaftes Sudokulösen an, eine
Kritik mit der ich dank der Erleichterung gut umgehen kann. Ich löse sogleich
eines, um ihm meine Technik zu demonstrieren. Dann bekomme wir die Liste der
Medikamente mit dem Auftrag zur Polizei zu fahren, welche wiederum einer
Apotheke Bescheid geben würde, dass wir kommen. So wird es auch gemacht, die
letzte Hürde wird dank dem Apotheker auch noch überwunden, der anmerkt weder
diese Salbe noch im Sortiment zu haben noch ein Antibiotikum in jener
Dosierung. Seit drei Jahren nicht. Na wunderbar. Immerhin kennt er sich aus und
findet rasch Alternativen, sodass wir
sogar noch zum Abendessen ins Zentrum fahren können. Die Entscheidung wohin wir
Essen gehen erübrigt sich, da nur noch Hauptplatz um halb 12 Betrieb ist und so
kehren wir, wenn ich auch mit gewissem Widerwillen, in eine Pizzaria ein. Die
Dampfmaschinen, deren kalter Wasserdampf zu dieser Uhrzeit mehr störend als
erfrischend ist, werden auf unseren Wunsch hin abgedreht und trotzdem schnauze
ich Mama und Reiner schlecht gelaunt an. Die späte Uhrzeit macht Reiner nervös
und mich seine flinke Art auszuwählen. Die Speisen sind sogar gut. Eine Pizza
mit viel Käse und frische Zuckermelone auf einem Salatbett. Müde kehren wir ins
Hotel zurück und gehen unverzüglich in unserem sehr gemütlichen Zimmer mit
einer großen Glastür nach draußen schlafen.
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