Nachahmen von Stilen
Schreiben und Lesen
So wie ich Alltägliches augenblicklich verarbeite,
verarbeite ich auch Gelesenes schriftlich.
Man kann sich diese Abhängigkeit in etwa so vorstellen:
Hemingway: Lady Acher trug ihr Haar in kurzen Wellen und ein
Kleid, das ihre schmale Silhouette gekonnt in Szene setzte. Ich stellte mich
neben sie an die Bar. Der Mann hinter der Bar mischte mit leichten Bewegungen
unsere Drinks. Als er sie abstellte, schwabte
ein wenig Flüssigkeit auf Lady Achers abgelegte Hand, doch sie reagierte nicht,
sah zu mir herüber und zog an ihrer Zigarette. Sie genoss meine Unsicherheit,
die nach und nach dem Verlangen wich.
F.S. Fitzgerald: Lady Achers Wellen um
schmiegten sanft ihre kindlichen Züge und zusammen mit ihrem zarten Satin
Kleid verhalfen sie ihrer Erscheinung zu einer aufregenden Unnahbarkeit. Die Bar aus dunklem Holz war von einer
Traube sich unterhaltender junger Franzosen und Exilamerikaner und einer Wolke
aus schwerem Rauch umgeben. Ich wagte kaum, mich neben sie zu stellen und
verfolgte konzentriert die flinken Bewegungen des Barmanns, der beim Abstellen
unserer Gläser ein wenig klare Flüssigkeit auf Lady Achers zarte Hand, die wie fein geblasenes Glas auf der Theke lag, goss.
Wir beiden würdigten dem entschuldigenden Barmann keinen Blick, jedoch nicht
aus Zorn, sondern, da nun alles wie im
Traum zu geschehen schien, vielleicht so gar nichts mehr geschah, während uns
die dünn zwischen uns gewobenen Fäden unbedingter Vertrautheit aus der
Unsicherheit befreiten.
Patrick Süskind: Lady Achers Wellen und ihr modisches Kleid
führten unmittelbar zu einem in mir wachsenden Wunsch beim Tanz umschlungen,
ihre schlanke Hüfte durch den feinen Stoff zu spüren und ihre glühende Wange an
meiner. Der junge Franzose hinter der Bar, an der wir beide,
nun gelehnt, unsere Umgebung beobachteten, natürlich bedacht darauf,
unsere Blicke sich nicht kreuzen zu lassen, mischte gekonnt meinen Drink und
die Art, wie er zuerst stets seine Hand auf der Suche nach einer speziellen
Flasche am Regal entlang gleiten ließ, um dann die Ausgewählte, als würde er
Angst haben einem jungen Mädchen die Kehle zu fest zu drücken, am Hals zu
nehmen und wie ein Kronjuwel zur Theke nach vorne zu heben, verriet den Stolz,
den er zurecht für sein Angebot empfand. Auf dem Regal standen dicht gedrängt
verschiedenste Fruchtschnäpse neben klaren Likören, zwischen Weinen, auf deren
Etiketten unglaubliche Jahreszahlen standen, kleine edel aussehende Fläschchen,
deren Inhalt einem Menschen anderen Metiers ein Geheimnis bleib. Als der
Barmann sein vollendetes Werk mit zufriedener Miene auf der Theke platzierte,
schwabte klare Flüssigkeit auf Lady Achers Hand, die dem jedoch keine
Aufmerksamkeit schenkte, genauso wenig wie dem vorangegangenen Schauspiel, da
ihr Blick auf mir ruhte. Nun hatte ich Mut gefasst und unsere Augen trafen
sich.
Anais Nin: Heute fielen mir am Weg ins Dorf die ersten roten
Blätter auf den Kopf und ich zog sie aus meinem Haar und betrachtet diese
Zeugnisse des ständigen Wandels der Natur, die ständig zerstört und neues
schafft. Das Herbstwetter führte mich in die Bar, wo ich auf Lady Archer, die
ruhig an der Bar lehnte und ein sehr elegantes Kleid trug, traf. Ich platzierte
mich neben sie und fragte mich, was ich erwartete. Wohin sollte diese Situation
führen? Wieso glaubte ich, der ständig das Leben hinterfragte, während andere
es bewältigten, ständig neue Gedanken entdeckte, während andere ihre Ziele
vorfreudig steckten, von so einer lebensfrohen Person wie Lady Archer beachtet
zu werden? Doch ich hatte mir heute fest vorgenommen, das zu sagen, was mir
keine Ruhe gelassen hatte, auch wenn ich wusste, dass meine Unsicherheit oft
dazu führte, dass ich mich in Gesprächen bloß an Nichtigkeiten heranwagte.
Nachdem ich bestellt hatte, verfolgte ich aufmerksam die feinen Bewegungen des
Barmanns und beneidete ihn um die Zufriedenheit, die er beim Mischen eines
guten Drinks zu verspüren schien, denn solche friedvollen Glückmomente schienen
mir stets verwehrt. Doch hatte ich in der Woche zuvor, als Lady Archer bei uns
zum Tee geladen war, doch geglaubt, einem solchen nahe zu sein, da ich trotz
oberflächlichen Gesprächen die Nähe zu ihr gespürt hatte. Als der Barmann
unsere beiden Gläser abstellte, rann ein wenig Flüssigkeit über ihr zartes
Handgelenk, doch hörte sie seine entschuldigenden Worte nicht, da sie, eine
sanfte Welle hinter ihr Ohr legend, ihren Blick mit der auch beim letzten
Antreffen empfunden Vertrautheit auf mir Ruhen ließ.
Max Frisch: Den Entschluss in die Bar zu gehen hatte ich
eher aus Trotz gefasst, da ich Tom beweisen wollte, mir von seiner Hinwendung
zu einem konventionellen Lebensstil nicht die einzige Freude eines Samstagabends
nehme zu lassen. Im Grunde war ich jedoch todmüde und konnte mich auf nichts
konzentrieren, was mich keineswegs gesellschaftsfähig machte. Die Bar war gut
besucht, weil schon spät am Abend. Lady Archer lehnte an der Bar und ich
ertappte mich, ihr Kleid und ihr graubraunes Haar zu beachten. Ihre Gegenwart
hatte unverkennbar Wirkung auf mich, nichts Frappierendes, jedoch
gewöhnungsbedürftig. Nicht, dass ich mich nie in einer solchen Situation
befunden hatte. Es war mir stets recht gewesen, weil jung, auf der Jagd. Aber
nun erblickte ich die Schatten unter meinen Augen in den gebrochenen Spiegeln
hinter der Bar und fühlte schwere Atemzüge, die meine träge Bewegung, als ich
mich auf die Theke stützte, begleiteten. Die Musik war laut und die Jugend,
lauter stereotype Exilamerikaner, die die Lücken zwischen den Einheimischen
füllten, wirbelte sich im Rhythmus. Der Barkeeper war fleißig und aufmerksam.
Ich beobachtete die Technik, mit der er Flüssigkeiten mischte, während er schon
die nächste Bestellung entgegennahm. Die Luft in der Bar war grauenhaft,
niemand hatte unter Tags ein Fenster geöffnet, weil Herbstwind. Lady Archers
und mein Getränk wurden gleichzeitig serviert. Ein paar Tropfen meines Drinks
spritzten beim Abstellen auf Lady Archers jugendliches Handgelenk. Sie zog es
nicht weg und richtete ihre gebannten Kinderaugen auf mich. Wir blickten uns an und es gefiel uns, nichts war noch unangenehm.
Hermann Hesse: Bleiern
legte sich schwerer Zigarettenrauch auf die ausgebeulten Schultern des grauen
Anzugs, den ich trug, mein Kostüm, das mich zu einem von ihnen machte, ein
Draufgänger, ein Abenteurer, ein Jazzliebhaber, ein moderner Avantgardist. Ich
schämte mich nicht, ständig neue Masken aufzusetzen, verheimlichte ich ja doch
nichts, da man nur das bewusst verheimlichen konnte, was man zuvor benannt
hatte und mein wahres Ich war auch für mich ein namenloser Unbekannter, schwer
zu fassen und so wandelbar und unsicher, dass ich es aus tausenden Ichs
bestehend dachte. An diesem Abend hatte sich jene Seite von mir, die sich
den Rebellen nahe fühlte, ja fast die Verbundenheit zwischen Gleichgesinnten zu
ihnen spürte, im Rhythmus der Jazzklänge gebaumelt und ich war hinein gegangen
ohne dem eigentlichen Ekel, den ein anderer Teil von mir all dem Gegenüber
empfand, Beachtung zu schenken. Doch nun, da über die Theke hinweg das Gesicht
eines alten Versagers im Spiegel, auszumachen war, erdrückte mich wieder das
Gefühl des an mir reißenden Verlangens an einem anderen Ort zu sein, von dem
ich dann nie wusste, welchen Namen er trug, wo er lag. Mein Herz ertrank in der schweren Trauer des Nichtwissens und mein
Blick verfing sich immer wieder in den dünnen Stoffen der Mädchenkleider. Der
Barmann stellte mein Glas auf die Theke und daneben ein zweites und als ich
aufblickte sah ich in die Augen Lady Archers. Da stand sie und ich, der eigentlich schon vom Boden aufgesogen zu
werden schien und sich in seiner Schwäche bloß nur noch durch ein wenig Freude
an Lichtern, an schnellen Takten, an Worten, die ich aufschnappte und an der
Kühle von ein paar wohlgemischten Schlucken hang, in diesem Netz aus kleinen
Momenten, die mir gefielen, gerade noch festhing, schaute sie an. Ich
wollte sie küssen, ihre Stirn, ihre Schultern, ihre Arme, ihre Hände, ihren
Mund und obwohl alle Ichs, die meinem jämmerliches Individuum keine Ruhe
ermöglichten, nun doch einig mich daran erinnerten, dass ich von ihr keine
Liebe erwarten konnte, nahm ich ihre fehlende Reaktion auf die Flüssigkeit, die
von ihrem Glas auf ihre zarte Hand geschwabt war, als Zeichen an und ergriff
sie mit meinem Blick.
Henry Miller: Es war
an einem Samstagabend. Die Luft stank nach Schweiß und Sperma. Die
Männeraugen verschlangen die jungen Mädchen, die sich wie Hyänen auf der
Tanzfläche gebärdeten. Ich konnte nicht sagen, ob es mir gefiel, dieser moderne
Tanz, bei dem jeder so ganz für sich tat, was ihm einfiel. Ich bahnte mir einen Weg zur Bar, wobei ein Mädchen mit einer Maske
meinen Ärmel ergriff und als sie mich nach einem Tanz bat, schaute ich auf ihre
gelben Zähne, deren Spitzen rot vom Lippenstift waren und küsste ihre vollen
Lippen, wobei ich ihr das Rot von den Zähnen leckte. Die Theke, an die ich mich
setzte, war mit Gläsern beladen, die wegen der lauten Rhythmen zitterten.
Als wir im selben Augenblick nach unseren Drinks griffen, die der Barmann in
Sekundenschnelle gemixt hatte, blickte ich auf und direkt in ihre lodernden
Augen, die zwar braun waren, doch in dem schummrigen Licht fuchsrot zu mir
herüber blitzten. Ich wollte Lady Archer
fassen, dieses Geschöpf, das unmöglich durch diesen grotesken Liebesakt des
Menschen entstanden sein konnten. Ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn, die
Luft schien plötzlich feucht und schwer und auch sie wand ihren Blick nicht von
mir ab, als ein wenig ihres grünlichen Drinks auf ihre zitternde Hand schwabte.
Ich verspürte diese Trunkenheit, in die
mich ihre Anwesenheit stets versetzte, die Begeisterung ihrer Erscheinung mit
keinem Wort gerecht werden zu können. Sie ließ sich nicht niederschreiben. Sie
war eine Raubkatze, die ich mit meiner Tinte nicht jagen konnte, viel zu
schnell zu wendig und ich ergriff sie mit meinen Augen, meinem imaginären Seil
und spürte die Wärme, als sie ihren Fuß auf die Seite meines Hockers stellte
und ihren nackten Schenkel, der sich unter dem zarten Stoff ihres Kleides
verbarg, gegen den meinen presste.
Milena Michiko Flasar: Ich wollte hinein. Ich befahl es
zuerst meinem Kopf, dann meinem Körper, dann meinen Füßen. Keiner hörte auf
mich. Ich stand vor der Bar. Regentropfen fielen dick auf den Gehsteig, doch
nicht auf mich. Ich stand im Trockenen. Ich fühlte die schützende
Unsichtbarkeit, die mich umschloss. Ich war nicht da. Mein Körper sträubte sich
dagegen, hier zu sein. Hey, mach doch Platz. Zuerst stoß man an mich. Dann
wurde ich unfreiwillig mit hineingezogen. Jazzmusik streichelte mit ihren
sanften Klängen die Menschen, die sich umschlungen auf dem Parkett wiegten. Als
die Nummer zu Ende war, wurde es still. Dann das beschleunigte Zupfen des
Bassisten. Ein paar ausgelassene Rufe. Die Luft schien zu vibrieren. Ich spürte
mein Herz. Zuerst ging ein Befehl ans rechte Bein. Ein Schritt. Ich atmete tief
durch, als wäre ich erleichtert über den Gehorsam. Ich erreichte die Bar und spürte ihre Augen, die mich ganz zu erfassen
wussten. Als einzige. Ich hatte gewusst, dass Lady Archer da sein würde und
doch dieses Gefühl in meinem Magen, als ich sie tatsächlich sah. Unsere Getränke
kamen gleichzeitig. Der Barkeeper, der eine Zufriedenheit ausstrahlte, die ich
nie haben würden, hatte sie vor uns abgestellt. Das Zittern der hellen
Flüssigkeiten. Ein wenig schwabte auf ihre Hand. Sie zog sie nicht zurück. Die
Tropfen vibrierten auf ihrem Handrücken. Ich
erwartete von ihrem Blick keine Liebe, kein Verlangen. Mitleid war das, was
aus ihrem Blick sprach. Jedes Mal, wenn sie mich sah las sie mein Gedankenbuch
und ich brauchte nicht den Mund zu öffnen. Ich wollte ihr meinen Dank zeigen. Berührung.
Es schien wie ein Wort, das keinen Inhalt hatte, zumindest keinen, den ich
umzusetzen vermochte. Dann ihre Fingerkuppe an meiner. Zwei Gläser, zwei
Menschen, eine Berührung. Ein Gedanke.
Albert Camus: An der von umliegenden Straßenlaternen schwach
beschienen, langgestreckten Fassade des alten Gebäudes in der Vorstadt fegte
der zischelnde Herbstwind entlang und vor dem Eingang zu der kleinen, schummrig
leuchtenden Bar saßen verschwörerische Grüppchen dicht beieinander und trotzten
dem kühlen Wetter. Der Wein wärmte sie von innen. Als ich eintrat, spielte die
Band, die sich in einer Ecke des Raums auf einem provisorischen Podest gedrängt
hatte, moderne Jazznummern und eine elektrisierende Spannung erfüllte die
jungen Menschen auf der Tanzfläche. Ich lehnte
mich an die aus dunklem Holz gezimmerte Theke und beobachtete durch ein kleines
Fenster, wie die Schwärze der Nacht von dem hellen Licht, das aus den
Räumlichkeiten auf die feuchte Gasse strahlte, zurückgedrängt wurde. Der Mann
hinter der Bar stellte mein Getränk zusammen mit einem zweiten Glas vor sich
auf die Theke und sein Blick verriet Zufriedenheit mit seinem Werk. Er
unterschied sich mit diesem Ausdruck entscheidend von vielen seiner Mitbürger,
die stets einem Ziel nachstrebten, Warten auf die unerreichbare Zukunft, nach
vorne, weiter und noch ein Stück weiter. Er sah sein Ziel direkt vor sich auf
dem Tisch und ich nahm den Drink mit einem anerkennenden Nicken, das seinen
Mixkünsten galt, entgegen. Ehrliche Freude sprach aus seinem Lächeln. Die zarte
Hand, die nach dem zweiten Glas griff, berührte die meine und ein wenig meines
Drinks schwabte auf die blasse Haut. Ich sah auf und erkannte Lady Archer, die
meinem Blick nicht auswich. Ich glaubte die Müdigkeit, die lange Tage in
sprechende Augen flößten, zu erkennen und doch fühlte ich die Wärme, die ihr
auch heute neugieriger, vielsagender Blick in mir auslöste. Ihr Kleid war rot
und ihr Haar zu perfekten Wellen geföhnt. In den Goldreifen, der das
Handgelenk, das zu jener Hand, die sich, trotz den Spritzern meines Getränks, noch
immer nicht rührte, gehörte, umschloss, waren zum Kleid passende Rubine
eingearbeitet. Ein paar wenige Sekunden
ihre mich ganze einnehmende Nähe zu spüren genügte, dass der Wunsch nach einem
gemeinsamen Abend in mir wie eine gedeihende Pflanze heranwuchs, die sich
hinaufschlängelte und blühend mein Herz umwand.
Franz Kafka: Es war ein Sonntagabend und die Bar, die stets
zu seinen Stammlokalen gehörte – Er hatte etwas für
gemütliche, heimelige Etablissements übrig – war hervorragend besucht, nicht
zuletzt, da man schon den 19. Oktober schrieb und der Herbstwind, der kalt und
pfeifend zwischen den Häusern durch die schmalen Gassen fegte, dem Sitzen in im
Freien nach einem langen Sommer, abrupt und gnadenlos ein Ende gesetzt hatte.
Er ließ seinen Blick über die tanzende Menge schweifen und auch wenn er sich
solche Gefühlsregungen nicht gerne eingestand, wurde er doch merklich
melancholisch, als die Klänge der Jazzband zu ihm drangen. Glücklicherweise
änderte in diesem Moment der Bassist den Rhythmus und er zwängte sich, von
jeglichem schweren Gedanken befreit, durch das bevölkerte Parkett zur Theke. Er
bestellte bei dem netten Herrn hinter der Bar einen guten Wein und dieser
schenkte ihm mit unglaublicher Eleganz – und das, trotz der vielen, drängenden
Kundschaft – ein, was ihm, der auf solche Dinge unheimlich Wert legte, eine
solche Freunde machte, dass diese sich in dem Trinkgeld widerspiegelte. Er nahm
das feine Glas, in dem ein großzügiges Vierterl dunklen Weins wiegte von der
Theke, wobei ein wenig überschwabte und auf den Rücken der Damenhand, die neben
dem Glas - anscheinend auf die Bestellung wartend – lag, floss. Diese peinliche
Situation ließ ihn entschuldigend aufschauen und er sah direkt in die Augen
Lady Archers, mit deren Anwesenheit er hier zwar stets rechnete, deren
blitzender Blick ihn jedoch trotzdem förmlich erschrak.
Er hatte sein Gefallen an ihr nie verbergen können, die Art wie ihr Kleid –
bestimmt aus einem der großen Modehäuser Paris – ihre schmale Silouette
umspielte und ihr Haar ihr Kinn um schmiegte,
nahm ihm auch an jenem Abend wieder den Atem. Und auch ihren Blick verließ jene
Gleichgültigkeit, die sie oft ausstrahlte und er erkannte Neugier. Er machte
einen Schritt auf sie zu, zückte sein Taschentuch und entfernte elegant dem, es
ihm glücklich erlaubenden, Mädchen den Wein von ihrem hübschen Handrücken.
Arthur Schnitzler:
Mann und Frau nebeneinander an die Theke einer Bar gelehnt.
Ein Barkeeper mixt ihre Getränke. Schummrige Beleuchtung. Abend.
Dame: (übertrieben überrascht) Du hier?
Herr: Geh jetzt tu nicht so überrascht, hast ja doch
gewusst, dass ich kommen werd‘.
Dame: Nix hab ich gewusst, woher denn?
Herr: Ah, hat’s dir die Mitzi nicht ausgerichtet?
Dame: Gar nix hat‘s mir ausgerichtet.
Herr: Na umso schöner, jetzt überrasch‘ ich dich noch dazu.
Dame: (mit hochgezogenen Augenbrauen) Na so langst deine
Frau nicht überrascht.
Herr: (schaut sie zum ersten Mal direkt an) Na wie meinst
denn das jetzt?
Dame: Na eben wie ich’s sag. Glaubst ja nicht ehrlich, dass
du der ewig den treuen Gatten mimen kannst?
Herr: (empört) Was heißt da bitte mimen? (leiser werdend) Versteh
doch, hin und wieder gefallen mir halt liebe Mäderlaugen, die, die so nett
glitzern, das findest halt nur da bei euch.
Dame: Bei uns?
Herr: Na, bei euch in der Vorstadt eben. Verstehst?
Dame: (mit gesenktem Blick) Natürlich, natürlich.
Herr: (seufzt) Bist jetzt bös?
Dame: (in sich zusammengesunken) Nein, leid tut‘s mir halt.
Ich denk so oft an dich, hab die ein oder andere triste Stunde und du vergnügst
dich zaus mit der Gattin.
Herr: (beschwichtigend) Ah geh schau, die hat halt sonst
keine Freud, du bist jung und fesch, jetzt gönn ihr doch ein bisserl die
Aufmerksamkeit ihres Manns. Denken tu ich ja doch an dich.
Dame: (mit wegwerfender Handbewegung) Ach jetzt hör doch
auf!
Herr: Du, ich schwör‘s dir. (fast auf ihren Handrücken)
Dame: (theatralisch in den Spiegel hinter der Bar blickend) Was
fang ich schon an mit deinem Schwur. Ich versink ja so in Trauer – andauernd –
ich weiß mir schon nicht mehr zu helfen. Ich bin nur ein armes Kind aus der
Peripherie und doch sind meine Gedanken so bei dir, dass ich, in meine
Eifersüchtelein vertieft, gar nicht auf die vielen Offiziere und Generäle - und
weiß der Herr Gott, was da noch dabei – reagieren kann. Sie bieten mir den Arm
und auch einmal ein Ketterl oder einen hübschen Stein und ich arme Verdammte…
Herr: (nun wie aufgeweckt) Offiziere und Generäle sagst?
Dame: Ja hast schon richtig gehört. (seufzt erneut)
(Herr stellt seinen Drink ab und dreht sich ganz zu ihr.)
Dame: Aber was bringt’s mir. (stellt ebenfalls ihr Glas ab
und dreht sich zu ihm) Nicht einmal mit dir will ich noch eine Minute
verbringen, so schrecklich wütet in mir die Eifersucht, die Trauer! (stützt
ihren Kopf wenig elegant in ihre Hände)
Herr: Du stürzt mich in ein Loch, mich zerfrisst schon die
Schuld.
Dame: (verliert die Geduld und auch ihre kokette Gestik –
etwas ungraziöser) Geh was tust jetzt so. Sag
mir halt einmal, dass du mich gern hast!
Herr: Ah, das weißt ja, deswegen bin ich ja so zerrissen.
(lockert seine Krawatte) Aber gehen wir doch lieber nach oben, jetzt, so vollkommen von Gedanken zerfressen, halt ich
die Hitze und die vielen Leut nicht aus.
Dame: (schaut zur Decke) Ich würd ja, aber mit dir in mein
Zimmer zu sein, ist mir unmöglich. Ich bin ja so am End.
(Herr verstummt grübelnd und blickt ein wenig genervt.)
Dame: (schaut ihn aus dem Augenwinkel an.) Und überhaupt so
arm wie ich jetzt bin, hab ich keine Zeit für dich, ich könnt mich ja gar nicht
auf dich konzentrieren, wenn man bedenkt, dass ich alle Geschenke ausschlage – nein! Ich bin wirklich ohne einem Kroshen!
Herr: (flüstert) Aber du weißt ja, dass ich dir ein bisserl
was geb. (lächelt)
Dame: Geld von dem annehmen, der mir meinen Lebenswillen
raubt! (sie schluchzt auf)
Herr: (wie ein Geistesblitz, zur Seite gewendet) Die will
wohl wie eine Dame von Welt behandelt werden, na mir soll’s recht sein. Für die
Gattin find ich schon noch etwas anderes. (zu
ihr gewendet betrübt) Nagut, dann geh ich halt, ich richt ja doch nur Schaden
an. Was bleibt mir armer Seele noch übrig, kann ja doch nur eine ins Unglück
stürzen. Adieu, du liebes Kind, du. (lässt, als er sich umdreht und seine Jacke
von dem Haken nimmt, ein kleines Döschen aus der Tasche fallen)
(Die Dame hebt es auf. Er dreht sich um und tut überrascht.)
Herr: Nein, darauf hab ich ja ganz vergessen.
(Ihre Augen blitzen auf.)
Herr: Na was schaust mich so an? Ein Present für dich hät’s
werden sollen, aber was geht’s dich an, du würdest ja doch immer, wenn‘st das anlegst –
Dame: Anlegst! (fällt ihm ins Wort) Sag, ist es ein
Schmuckstück? (Ihren Kopf gesenkt, lächelt sie ihn an.)
Herr: (achselzuckend) Na ich musst halt heut Vormittag an
dich denken, als ich das beim Juwelier in der Vitrinen gesehen hab. Aber jetzt
gib her, ich will dich nicht länger –
Dame: (steht kerzengerade und senkt heroisch ihre Augen)
Schau natürlich fällt’s mir jetzt schwer. (sie öffnet die Schatulle und kurz
fällt sie aus ihrer Rolle, als die Kette erblickt. Sie fängt sich wieder.) Aber
was soll ich tun? Schon die Maman (bewusst Französisch)
hat immer gemeint, ich hab ein zu großes Herzerl, bin zu nachgiebig. Schau, ich
verzeih dir, ich kann ja gar nicht anders, das liegt in meiner Natur. (hält ihm
das Ketterl hin und wendet sich wie in Überwindung ab.)
Und jetzt leg‘s halt an. (Er reagiert nicht augenblicklich, sie wachelt mit ungeduldig mit der Kette
vor seiner Nase.)
Herr: (anlegend) Na wennst meinst, aber fühl dich nicht
gezwungen. Und jetzt Adieu. (langsame Schrittandeutung Richtung Ausgang)
(Sie dreht sich zu ihm sobald sie
ihre Kette ausführlich im Spiegel hinter der Bar begutachtet hat.)
Dame: Geh jetzt wart einmal kurz. In dem dünnen Sakko, du
erfrierst mir ja nicht da draußen mit dem Herbstwind!
Herr: Jetzt mach dir um mich keine sorgen. (drückt auffällig
zitternd ihre ausgestreckte Hand)
Dame: (sichtlich erschrocken) Geh du zitterst ja, jetzt
bleib halt noch ein bisschen. Oben ist schon ein bisserl ein Feuer in meinem
Karmin.
(sie verlassen die Bar zur Treppe hin. Abgang.)
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