Schreiben zum Selbstzweck
Geständnis einer
Egoistin
Ich schreibe für mich selbst. Wenn ich traurig bin, schreibe
ich, um die Trauer zu ertragen. Wenn ich glücklich bin, schreibe ich, um das
Glück zu konservieren. Ich denke beim Schreiben nicht immer an mich, doch
sobald eine Figur spricht, spricht sie meine Worte und der Ort und die Zeit,
die sie umgeben, haben mich in ihren Bann gezogen.
Wenn ich schreibe, mache ich Ordnung. Die Symmetrie der
Buchstaben, die Gliederung in Absätze, das Niederschreiben, mit dem ich meine
Gedanken zu einem Manifest zusammenstückle, nimmt scheinbar den Regungen und
Gefühlen, Gedankenfetzen und Eindrücken das Vergängliche.
An dem Tag an dem ich erkennen musste, dass jener Zeitpunkt
kommen werde, an dem auch alles Geschriebene der unausweichlichen Endlichkeit
unterlag, galt nur noch der Augenblick und die zwischenmenschliche Liebe als
bedeutend. Die Schrift hatte mich enttäuscht, als ich erkannte, dass sie nicht
alles überdauert.
Und doch war das Erste, was meine Trauer über die
Vergänglichkeit, die alles überschattete, in einen Rahmen des Ertragbaren
zurückdrängt, die Aufzeichnung meiner Gedankenentwicklung seit der Implosion,
die stattfand, als mir die wahre Dimension des Lebens bewusst wurde. Obwohl ich
statt von Dimension von Dauer sprechen würde, denn mein damaliges Urteil über
die Dimension entspricht nicht mehr dem heutigen.
Dadurch, dass ich jeden Gedanken, der sich in einem
schlichten Satz ausdrücken ließ, aufschrieb, wurde er erträglicher.
Erträglicher machte ihn die Befriedigung, ihn in Worte fassen zu können, ohne,
dass er an Wahrhaftigkeit verlor.
Ich arbeitete geduldig. Ich wartete manchmal Stunden,
manchmal sogar Tage, bis wieder ein Gedanke sich als in Worte fassbar von den
anderen abhob. Ich überlegte bei jedem Wort, jeder Absatz schien mir bedeutend
und sobald ich, dass Gefühl hatte, ich mache mir mit einem Satz etwas vor,
rutsche von dem ist – in den vielleicht ist – oder wäre- Zustand ohne darauf
hinzuweisen, strich ich das Geschriebene durch. Wenn etwas nicht absolut
objektiv war, dann wies ich darauf hin. Ich wollte nichts poetisieren. Ich
wollte keine Dichtung sondern unbedingte Wahrheit.
Erst als das Wichtigste geschrieben stand, konnte ich mein
Leid soweit in den Hintergrund drängen, dass ich neue Gedanken fassen konnte.
Nur auf Fragen die mit Kugelschreiber in das Notizbuch notiert waren, konnte
ich nach Antworten suchen, diese niederschreiben, dann überdenken. Wobei mir
oft beim Überdenken bloß neue Ansätze einfielen, da die alten zwar Lücken
aufwiesen, doch das, was bereits geschrieben, mit der Absicht verfasst worden
war, unbedingt wahr zu sein.
Ordnung und Wahrheit schenkte mir auch da Trost, wo einen
Rat zu geben oder eine Aufmunterung fast unmöglich ist und nur feinfühligste,
klügste Menschen anderen helfen können.
Erst als meine Gedanken einen vorübergehenden Abschluss
erreicht hatten und mich nur noch hin und wieder einzelne von ihnen sich in
meinem Kopf herauskristallisierten, als ich geschafft hatte aus meinen tiefsten
Ängsten eine Theorie aufzustellen, tiefe Emotionen durch die Schrift zu verfremden
ohne sie zu verfälschen oder zu leugnen, ertrug ich es wieder nicht
augenscheinlich von Essentiellen zu lesen, zu hören, zu schreiben.
Geblieben ist mir die nur in bei Ausnahmen erscheinende
Akzeptanz Texte gegenüber, die weder zwischen scheinbar banalen Zeilen das
Essentielle hindurchscheinen lassen noch über eine Thematik wahrhaftig
schreiben.
Dass mehr Thematiken außer der Grundfrage des Lebens wieder
für mich Geltung haben, ermöglicht auch mir wieder vielfältiger zu schreiben,
nicht nur wissenschaftlich, sondern auch poetisch. Und doch knüpft genau hier
eine neue Frage an.
Soll ich weiter Dinge niederschreiben oder soll ich handeln
und verwirklichen statt zu verarbeiten? Eine Frage, auf die zu antworten mir
scheinbar nicht frei möglich ist, da zu schreiben, auch wenn es sich vielleicht
hinter den aktiven Taten anreihen wird, mein unbedingtes Verlagen ist.
Welche Wortwahl, welcher Syntax, welche Textgattung, welche
Sprache? Ich kann noch nicht sagen, was mir am besten dazu dient, durch
Schreiben innere Ruhe zu erlangen und Menschen die Dinge so mitzuteilen, dass
auch sie in meinem Geschriebenen Unterhaltung, Trost, Wahrhaftigkeit und den
Genuss des Moments finden. Ich wünsche mir, dass manche Leser sich verstanden
fühlen, andere lernen zu verstehen, dass die, die ständig denken meditative
Ruhe oder Ablenkung finden und jene, die verdrängen formal und inhaltlich
konfrontiert und angeregt werden.
Sobald ich ein Buch lese und mir der Stil zusagt, übernehme
ich ihn sowohl in Gesprochenem als auch beim Schreiben, doch meine eigene
Sprache sollte nicht bloß aus anderen Stilen zusammengeflicktes, sondern ein
neues, reines Stück Stoff sein, das anderen zur Inspiration dient, so wie mir
große Autorinnen und die Idiolekte meiner Mitmenschen als Inspiration dienen.
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