sinngemäßes und wörtliches Zitieren - Beispiel


Henry Miller

Eine genauso große Rolle spielt Paris in dem ersten großen Roman eines anderen Schrifstellers, der vielleicht mit ein wenig positiver, aber um kein bisschen weniger Obszön über seine Wahlheimat schreibt. Es handelt sich um den jungen Amerikaner Henry Miller. Er kommt von Amerika enttäuscht und von einer Lesung, die er in seiner Heimat zufällig hört und die ihn mit großen Philosophen und Schriftstellern bekannt macht, inspiriert hierher und empfindet ein lang ersehnte Freiheit und einen nie gesehenen Reichtum an Vergnügen und Freuden. Der Roman, der ihn bekannt macht, wird veröffentlicht, als Henry Miller bereits über 40 ist. „Wendekreis des Krebses“ stellt sich gegen jegliche Moral und löst einen Skandal aus. Wie viele seiner Zeitgenossen bedient sich der umtriebige Autor an seinen eigenen Erfahrungen. In den Beschreibungen dieser berichtet er ohne zu umschreiben. Er stellt den Leser vor „nackte Tatsachen“. Handlungszeit bilden natürlich all die Nächte, in denen er die Liebe ob nun mithilfe von Geld oder nicht, als reines sexuelle Erfahrung erlebt, Gefühle spielen keine Rolle und der Leser wird nicht verschont, nichts wird ausgelassen oder scheinheilig umschrieben. Er berichtet „mit flammender, ungeschminkter Vulgarität vom Leben eines jungen, abgebrannten Staatenlosen in einem triebhaften Paris.“ (S120, PD) Doch im Gegensatz zu Joyce macht er dies ohne Ekel oder Argwohn. Der Erzähler sagt, er sei hier in dieser Stadt der glücklichste Mensch ohne sich im Besitz von Etwas zu befinden oder sich irgendetwas zu erhoffen.

(S.117: „Welche Stadt ist so lebendig wie das Paris von Henry Miller? Für diesen Schriftsteller der Selbstbefreiung ist Paris Hauptstadt aller woanders unmöglichen Freuden und Vergnügen. (…) Die Terrassen der Cafés laden zum Gespräch ein, während man gleichzeitig den endlos ablaufenden Straßenfilm betrachtet, die Stadt spiegelt die Welt.“ (PD)

S.120: „Mit dreiundvierzig muss Henry Miller zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Erfolg zurechtkommen: einem Erfolg, der sowohl literarische Anerkennung als auch einen Skandal wegen Verletzung moralischer Werte oder guter Sitten hervorruft. Wendekreis des Krebses (…) erzählt mit flammender, ungeschminkter Vulgarität vom Leben eines jungen, abgebrannten Staatenlosen in einem triebhaften Paris.“ (PD)

S.124: „Auf den ersten Seiten von Wendekreis des Krebses, im Herbst seines zweiten Jahres in Paris, sagt der Erzähler Henry Miller: „Ich habe Kein Geld, keine Zuflucht, keine Hoffnung. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt.““ (PD)

S.120-121: „Ob (ab hier:121) käuflich oder nicht, diese körperlichen Begegnungen lassen keinen Platz für Gefühle, Sexualität pur, Geräusche und Gefühle explodieren, ohne umschrieben zu werden. Tatsächlich genießt er die Freiheit, welche in Paris herrscht, in vollen Zügen, um in dem, was er schreibt, das zu verwirklichen, was in Büchern nie vorkommt. Viele Jahre lang sind seine Bücher in den Vereinigten Staaten verboten. Auch in Paris geht es nicht ohne Prozess ab. Alkohol. Schmutzige Nächte, sexuelle Ausschweifungen, die ohne scheinheilige Maske abgehandelt werden, ein ekliges Buch, (…) Vergeblich will Amerika diesen schlimmen Sohn vergessen machen, den man in Paris zu veröffentlichen wagt (…). (PD)

S.122: „An einem Tag (…) legt der Erzähler von Wendekreis des Krebses in einem bewegenden Loblied dar, was die Stadt für den schöpferischen Künstler bedeutet: „Es ist kein Zufall, dass es Menschen wie uns nach Paris treibt. (…) Aus sich allein bewirkt Paris keine Dramen. Sie haben anderswo begonnen. Paris ist einfach die Geburtszange, die den lebenden Embryo aus dem Mutterleib hervorholt und ihn in den Brutkasten steckt. (…) Jeder hat hier irgendwann einmal gelebt. Niemand stirbt hier…“ (PD))



Riviera

Den Sommer gilt es für die amerikanische und europäische künstlerische Avantgarde an der französischen Riviera zu verbringen. Lange Zeit eine Küste, die kaum Aufmerksamkeit erlangt. In den Sommermonaten ans Meer zu fahren wird erst in den 1920er Jahren beliebt. Plötzlich geht man schwimmen, um die sportliche Figur zu fördern, legt sich in die Sonne, um ganz nach dem neusten Trend braun gebrannt und gesund auszusehen, statt eine noble Blässe zu pflegen, und als sich das vielleicht bekannteste und beliebteste Societypaar der Zeit Gerald und Sara Murphy auf Anraten Cole Porters eine Villa an der Riviera kauft und Personen öffentlicher Interesse wie Coco Chanel es ihnen gleich tun, wird die einst unbemerkte Küste zu einem Hotspot. Die Exilamerikaner versammeln sich in der Villa der Murphys und die großzügigen, an Kunst interessierten Gastgeber verwöhnen sie und geben die imposantesten Feste. Liebevoll schreibt Donald Odgen Stewart über die Beiden: „Es war einmal vor langer Zeit, da lebten ein Prinz und eine Prinzessin; (…) Sie leibten einander und sie beherrschten die große Kunst, das Leben ihrer Freunde unübertroffen vergnüglich zu machen“ (S.114, 10G)

(S.113-114: Sara und Gerald Murphy – „Das amerikanische Societypaar (…) ist strahlender Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Exilamerikaner.“ (10G)

S.185: „Im Sommer übersiedelt das chice Paris an die Riviera.“ (P19)

S.115: die Riviera, leer bevor sie von Cole Porter und anschließend den Murphys auch für den Sommer entdeckt wurde– „Die Murphys selbst waren durch Cole Porter auf diesen schönen Landflecken aufmerksam geworden. (…) Damals waren die Strände verwaist, niemand legte sich freiwillig in die brütende Sonne und ging die Gefahr ein, braun zu werden. Noble Blässe war in, doch den Murphys war das gleich.“ (10G)

S.114: „Die Murphys sind großzügige Gastgeber, die es sich (…) als begüterte Erben leisten können, ihren künstlerischen Neigungen nachzugehen (…). (…) Die beiden gelten als Stilikonen ihrer Zeit und sind das golden couple, (…).“ (10G)

S.116: „Erst Amerikaner wie die Murphys, die zu den Pionieren an der Riviera gehörten, machen aus der Küste den Tummelplatz der Schönen und Reichen.“ (10G)

Frauen

Durch den Krieg erlangt die Frau eine völlig neue Position und Bedeutung in der Gesellschaft. Nun, während und nach dem Weltkrieg, sind viele Männer auf den Schlachtfeldern bzw. auf diesen gestorben und die Frau hat nicht nur die Aufgabe die Familie zu umsorgen, sondern muss nun auch den Mann in vielen Bereichen der Arbeit ersetzen. Dazu kommt nach dem Krieg, dass auf das Bild der „idealen“, also moralischen und sozialen Zwängen jener Zeit unterlegenen, Frau, nicht mehr von großer Bedeutung ist, da all die vor dem Krieg geltenden „Ideale“ eine solche Katastrophe nicht vermeiden konnten. Die neue Selbstwahrnehmung und das daraus gewonnene Selbstbewusstsein der modernen Frau fördert die Emanzipation dieser. Diese neue Haltung spiegelt sich auch in der äußeren Erscheinung der Damen der „goldenen Zwanziger“ wieder. Obwohl es als Schönheitsideal gilt extrem schlank zu sein, was zusammen mit dem angesagten „Bubi – Kopf“ Haarschnitt, zu einer androgyn wirkenden Erscheinung führt, wird durch empörend kurze Röcke, eine freie Schulterpartie und das Tragen der berühmten „Flapper Kleider“, nach denen die „Flapper-girls“ der 1920er Jahre auch benannt sind, Weiblichkeit und Sexappeal auf eine nie gesehene schockierende Weise in Szene gesetzt.

Unabhängig und vor allem ungeniert zeigt sich die moderne Frau auch in ihrem Lebensstil. Trifft man sie untertags auch scheinbar sittlich und konventionell bei „Besuchen, Teekränzchen und Empfängen.“ (S.160,P19) an, so treibt sie sich als aktive Teilnehmerin des Nachtlebens durch Bars und Tanzlokale. Doch hierbei spielt es keine Rolle, ob sie eine Begleitung hat. Sie kommt alleine mit ihrem Auto, trinkt Alkohol, raucht wie ein Schlot und tanzt schon einmal an einem Abend eng umschlungen mit einem ganzen Haufen Männer zu heißen Jazz-Rythmen. Ihre Gesichter schminken sie, wie es einst nur bei Prostituierten und Schauspielerinnen zu sehen war. Und auf jenen Bühnen, wo früher das übertriebene Make Up der Auftretenden die Aufmerksamkeit auf sich zog, tanzt zum Schock des begeisterten Publikums eine schwarze Frau ohne bedecktem Oberkörper und zeigt somit im wilden Tanz ihre Brüste: Es ist Josephine Baker, innbegriff der unzügelbaren Frau, die im Moulin Rouge ihre neuen Tanzstil vor jubelnden Zuschauern präsentiert.

S.160: „Die moralischen Werte und sozialen Zwänge der traditionellen Gesellschaft von vor dem Ersten Weltkrieg gelten aus gescheitert, weil sie den Krieg nicht verhindern konnten. Nun also gilt es, jeglichen Zwang abzulegen und die individuelle Emanzipation voranzutreiben. (…) Es wird modern die weiblichen Reize verschwinden zu lassen. Die Frau soll androgyn wirken, mit entblößten Beinen und Armen, ohne Hüften und Busen, dünn, um nicht zu sagen dürr, mit kurz geschnittenen Haaren.“ (P19)

S.165: „Natürlich muss die elegante Toilette auch gezeigt werden. An Gelegenheiten dafür mangelt es nicht, denn der Tag einer Dame von Welt spielt sich ab zwischen Besuchen, Teekränzchen und Empfängen.“ (P19)

S.187: „Als ursächlicher Zusammenhang gilt: Je weniger die Frau bekleidet ist, umso geschminkter das Gesicht…War Schminke damals gerade noch bei Schauspielerinnen und Prostituierten akzeptiert, wird sie nun allgegenwärtig, (….)“ (P19)

S.373: „Neger-Kunst“ ist in – „Und so werden in New York schwarze Künstler engagiert: Josephine Baker (…). Im September landet die Truppe in Paris, wo sie umgehend von Jaques Charles, dem Regisseur des Moulin-Rouge, unter die Fittiche genommen wird. Er kann Josephine Baker überzeugen, mit nackte, Busen zu tanzen…(…). (P19)

Für einen völlig differenten Typus Frau, der diese partyhungrigen „Flapper – girls“ eher missbilligend beäugt, wird Paris ebenfalls zur Anlaufstelle. Um sich von den veraltet scheinenden Zwängen des konservativen Heimatlandes loszulösen und mit Hoffnung auf mehr Toleranz und Respekt, strömen lesbische Frauen aus aller Welt nach Paris. Hier werden sexuell anders orientierte Frauen und Männer zumindest in den meisten Kreisen toleriert. In der modernen Künstlerszene soll es sogar angesagt sein Homo oder Bi-sexuell zu sein. Und wirklich bietet Paris vor allem den amerikanischen Künstlerinnen eine gute Umgebung sich zu entfalten und ihnen „scheint der Alltag, trotz  eines latenten Klimas permanenter Verdächtigung, weniger erdrückend als der Puritanismus“ (S.400,P19) der für viele konservativ eingestellte Amerikaner noch immer als ideale Lebenseinstellung gilt. Und einigen von ihnen gelingt es wirklich von der Pariser Avantgarde, mit welcher sie ihre Einstellung zu den nicht mehr geltenden Werten und Zwängen, die es zu überwinden gilt, teilen, Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erlangen. Eine von ihnen ist Natalie Clifford Barney, die in ihrem Salon, der schon am Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnet wird, lesbische Künstlerinnen, ob nun aus  Frankreich oder dem Ausland, empfängt. Treffpunkt für männliche Künstler und Literaten jener Zeit ist der Salon einer anderen lesbischen Dame. Die Amerikanerin Gertrude Stein, die offen zu ihrer Beziehung zu Alice B. Toklas steht, empfängt zusammen mit dieser Männer und ihre Ehefrauen, die sich dann über Toklas Gastfreundlichkeit erfreuen dürfen, während Stein hitzige Gespräche mit deren Männer führt. Erwähnenswert wäre auch das Paar Adrienne Monnier und Sylvia Beach, zwei warmherzige Inhaberinnen der zu dieser Zeit beliebtesten Buchhandlungen Paris. Doch die beiden zuletzt angeführten Paare werden in Kapitel fünf noch genauer behandelt werden.



S.398.399: „Aufgrund der relativen Toleranz in den wohlsituierten und kultivierten Schichten und in Künstlerkreisen gelten Homo- und Bisexualität in den 1920er Jahren fast als modern: (…)“ (P19)

S.400: „Nachdem der Krieg eine gewisse Emanzipation der Frauen gebracht hat, wird 1922 mit Veröffentlichung des Skandalromans La Garconne, in dem die moderne Frau offen Anspruch auf finanzielle Unabhängigkeit und körperliche Freuden bis hin zum „sapphischen Idyll stellt, die Forderung der Lesbierinnen nach Anerkennung noch vehementer. Für all die Amerikanerinnen, die auf der Suche nach Freiheit Paris als Domizil wählen, vor allem Künstlerinnen, scheint der Alltag, trotz  eines latenten Klimas permanenter Verdächtigung, weniger erdrückend als der Puritanismus. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Natalie Clifford Barney ihren Salon in der Rue Jacob zu einem Zentrum „lesbischen Treibens“ gemacht, in dem sich 50 Jahre lang viele Frauen, Französinnen wie Exilantinnen, begegnen sollen: (…)“ (P19)

S.401: „Gertrude Stein und Alice B. Toklas sind ein anerkanntes Paar, das aus ihrer Wohnung in der Rue de Fleurus eine Heimstatt für die Avantgarde macht, ebenso beliebt sind die Buchhandlungen von Adrienne Monnier und Sylvia Beach. All diese Frauen zählen zu den ersten „modernen“ Lesben, die, unabhängig und oft vermögend, offen über ihre sexuelle Orientierung reden. Sie schließen sich der Avantgarde-Bewegung an, weil sie dort, befreit von den vor dem Krieg geltenden sozialen und moralischen Zwängen, eine neue Sichtweise der Welt zum Ausdruck bringen können.“ (P19)

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