Stil der modernen Prosa (~ 1920)


Es war heller, als gewöhnlich in dem Esszimmer, dass sich im zweiten Stock des Hauses befand. Die Mittagssonne schien mit ihrem warmen Licht den ganzen Raum erfüllen wollen und die schweren Samtvorhänge hatten schon längst ihre Versuche die in den Wintermonaten häufige schwere Dunkelheit des Raumes zu bewahren. Das pastellfarbene Mobiliar erschien plötzlich derartig schön und die frischen Sonnenblumen spähten aufgeweckt und einladend zu der Tür herüber, die in den Korridor führte. Ich faltete sorgfältig die frischen Stoffservieten und obwohl ich sicher schon bei meiner zwanzigsten angelangt war und noch ein ganzer Stapel geduldig darauf wartet kunstvoll auf schönen Porzellantellern trapiert zu werden, fühlte ich mich irgendwie beschwingt. Während meine Hände mit voller Automatik ohne auf Anweisungen meinerseits zu warten emsig falteten, fiel mein Blick auf Camille, die auf der Fensterbank saß und sich strengen Blickes in einem feinen asiatisch angehauchten Handspiegel betrachtete. Langsam begann sie zu Nicken und wie selbstverständlich annehmend, dass ich ihr meine volle Aufmerksamkeit schenken würde sagte sie: „ Diese Gedanken, sie bringen mich um. Haben sie ja schon immer getan. Doch früher, da waren sie noch so, wie soll ich sagen rein, klar von so einer jungfräulichen Klarheit. Und jetzt? Es sind einfach zu viele, zu viele Gedankenfetzten. Sorgen, die sich nicht mehr ordnen lassen. Die wann sie wollen kommen und ich komme nicht nach. Ich komme nicht nach, sie zu ordnen und diese Verwirrung macht sie zu Sorgenbällen. Sie sind wie Staub und ich komme mit dem wischen nicht mehr nach. Und jetzt schau dir das an! Ist das nicht furchtbar? Ich mein siehst du das?“ Ich schaute sie nur an ohne zu Antworten, da ich diese Art von einseitig geführten Gesprächen zwischen mir und Camille schon kannte. Ich wusste, dass bei Camilles Fragen selten Antworten erwartet wurden. „Henry, es ist zum verzweifeln! Diese Falten auf meiner Stirn. Heute am morgen sind sie zum ersten Mal aufgefallen. Ich schaute in den Spiegel und da sie ich sie, diese Narben, Erinnerungen an die Sorgen, die meinen Kopf zum platzen bringen.“ Sie drückte theatralisch den Spiegel auf die Bank neben sich und vergrub ihr Gesicht in ihren aufgestüzten Arm. „Camille“, sagte ich ruhig „Camille, Sie müssen wissen, dass sie“ Die Tür ging mit einem Ruck auf und Estelle kam mit einem silbenen Tablett auf dem sich ein saftig gefüllter Truthahn befand in den Raum gestapft. Mit einem schweren Seufzer stellte sie das Tablett in die Tischmitte und betrachtete das Ergebnis stundenlanger Arbeit in der Küche zufrieden. „So geschafft!“, murmelte nach der kurzen Begutachtung zufrieden, während sie ihre Hände sorgfältig in ihrer Küchenschürze abwischte. Dann fiel auch ihr Blick auf Camille, die noch immer in ihrer theatralischen Pose auf der Fensterbank lag und an einen gefallenen Engel erinnerte. Estelle erkannte diese Ähnlichkeit anscheinend nicht, denn sie legte lediglich ihren Kopf schief und sagte mit zusammengekniffenen Augen: „ Camille! Weißt du eigentlich wie spät es ist? Was faulenzt du noch herum? Liegst da in Hose und Hemd herum, obwohl es in einer halben Stunde los geht! Zieh dich an! Na hop, rauf mit dir!“ Estelle war die einzige in diesem Haus, die so mit Camille redete. Sie behandelte Camille noch immer wie ein Kind, dabei war diese selbst schon Mutter und wahrscheinlich nur wenige Jahre jünger als Estelle. Aber ich hatte das Gefühl, dass Camille genau so jemanden wie Estelle brauchte und Estelle wusste das auch. Auch jetzt erhob sich Camille ohne einem Wort von der Fensterbank und ging wie immer, so als würde sie über den Boden schweben und mit gewohnt aufrechter Haltung zur Tür, die durch den Garten in das zweite Haus führte, hinaus. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, schüttelte Estelle noch einmal den Kopf, während sie das Silberbesteck auf dem Tisch verteilte. Ich nützte diesen Augenblick mit ihr alleine, um sie etwas zu fragen, was mich schon lange beschäftigte. „Estelle?“, fragte ich und wartete Geduldig bis sie mich mit wachen Augen fragend anschaute, „Ja mein Junge?“ „Weiso…,“ ich räusperte mich verlegen, da ich nicht wusste, ob meine Frage falsch oder zu provokant wirken würde. „Wieso glaubst du hat Camille immer wieder Männer an ihrer Seite und ist doch alleine?“ Estelle zog die Augebrauen in die Höhe und seufzte, als hätte sie sich schon dieselbe Frage gestellt. „Schau mein Junge, es ist so das Früchte ihre Zeit brauchen um richtig reif zu werden und genießbar zu sein.“ Ich erkannte nicht auf was sie hinaus wollte. „Sind die Früchte dann reif, sind sie der größte Genuss. Denn jetzt sind sie nicht nur schön anzusehen, sondern sie zu essen ist nun auch herrlich. Doch, und das ist unvermeidlich, mit der Zeit wird jede Frucht alt, zu alt, sie wird klein und schrumplig und, ja und so weiter, du kennst ja zu altes Obst, aufjedenfall gibt es aber eine Möglichkeit den Früchten dieses Schicksal zu ersparen, indem man sie zu etwas ganz besonders himmlischen macht, zu granierten Früchten. So bleibt ihre Schönheit erhalten. Beim ersten Bissen einer solchen Frucht, will man nur noch in Zucker gelegtes Obst essen und von frischen gar nichts mehr hören, doch irgendwann klebt der Zucker zwischen den Zähnen und man bekommt Bauchschmerzen und man sehnt sich nur noch nach einem: Einem guten frischen gerade richtig gereiftem Stück Obst. Leider ist das so. Leider für die arme Camille, denn sie hat sich schon längst in eine Zuckermantel gehüllt.“



Reisebericht eines jungen Mannes

Toskana 1917

Es war heller als gewöhnlich in dem Esszimmer, das sich im zweiten Stock des Hauses befand. Das warme Licht der Mittagssonne  erfüllte den Raum. Die schweren Samtvorhänge hatten aufgegeben, die Dunkelheit der Wintermonate zu bewahren. Das pastellfarbene Mobiliar war äußerst elegant und die frischen Sonnenblumen spähten einladend zu der Tür herüber, die in den Korridor führte. Ich faltete duftende Stoffservietten. Obwohl ich schon bei der zwanzigsten angelangt war und trotzdem noch ein Stapel kunstvoll auf Porzellantellern trapiert werden musste, fühlte ich die Freude an der Arbeit. Während meine Hände, ohne auf Anweisungen meinerseits zu warten, falteten, sah ich zu Camille, die auf der Fensterbank saß.

Mit strengen Augen begutachtete sie sich in einem asiatischen Handspiegel. Sie nickte wissend und sagte, meine Aufmerksamkeit als Selbstverständlichkeit erachtend: „ Diese Gedanken, sie bringen mich um. Haben sie schon immer getan. Doch früher, da waren sie rein und klar. Und jetzt? Es sind zu viele Gedankenfetzten. Sorgen, die sich nicht mehr ordnen lassen. Die wann sie wollen kommen und ich komme nicht nach. Ich komme nicht nach, sie zu ordnen und diese Verwirrung macht sie zu Klumpen. Sie sind der Staub, dem ich mit meinem Besen nicht nachkomme. Und jetzt, sieh dir das an! Ist das nicht furchtbar? Ich meine, siehst du das?“ Ich schaute sie nur an, ohne zu antworten, da ich diese Art von einseitig geführten Gesprächen zwischen mir und Camille schon kannte. Ich wusste, dass bei Camilles Fragen selten Antworten erwartet wurden. „Jake, ich verzweifle! Die Falten auf meiner Stirn. Heute am Morgen sind sie mir zum ersten Mal aufgefallen. Ich schaute in den Spiegel und da sah ich die Narben, Erinnerungen an die Sorgen, die meinen Kopf zum Platzen bringen.“ Sie drückte theatralisch den Spiegel auf die Bank neben sich. Dann vergrub sie ihr Gesicht in ihrem aufgestützten Arm.

„Camille“, sagte ich, „Camille, Sie müssen wissen, dass sie-“ Die Tür ging mit einem Ruck auf und Estelle kam mit einem gefüllten Truthahn in den Raum gestapft. Mit einem Seufzer stellte sie das Tablett in die Tischmitte und betrachtete das Ergebnis stundenlanger Arbeit. „So, geschafft.“, murmelte nach der Begutachtung, während sie ihre Hände in der Schürze abwischte. Dann fiel ihr Blick auf Camille, die in unveränderter Pose auf der Fensterbank lag. Sie erinnerte an einen gefallenen Engel. Estelle erkannte die Ähnlichkeit nicht, legte lediglich ihren Kopf schief und kniff ihre Augen zusammen: „ Camille, weißt du eigentlich wie spät es ist? Liegst da in Hose und Hemd und in einer halben Stunde -. Zieh dich an! Hinauf mit dir!“

Estelle war die einzige in diesem Haus, die so mit Camille sprach. Sie behandelte sie noch wie ein Kind. Dabei war jene selbst Mutter und wahrscheinlich wenige Jahre jünger als Estelle. Ich glaubte, dass Camille Estelle brauchte, auch Estelle wusste das. Camille erhob sich wortlos von der Fensterbank und ging wie immer zur Tür, die durch den Garten in das zweite Haus führte, hinaus. Sie konnte gehen als würde sie über den Boden schweben und hatte eine sagenhafte Haltung. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, schüttelte Estelle den Kopf, während sie das Silberbesteck verteilte. Ich nützte, mit ihr alleine zu sein. „Estelle?“, fragte ich und wartete Geduldig bis sie mich mit ihren neugierigen Augen ansah, „Ja, mein Junge?“ „Wieso“, ich räusperte mich. Ich konnte nicht einschätzen, ob meine Frage provokant wirkte. „Wieso hat Camille immer wieder einen Liebhaber und ist doch allein?“ Estelle zog die Augenbrauen in die Höhe. Ihr seufzen verriet, dass sie sich schon dieselbe Frage gestellt hatte. „Schau mein Junge, Früchte brauchen ihre Zeit um richtig reif zu werden, genießbar zu sein.“ Ich erkannte nicht, auf was sie hinaus wollte. „Sind die Früchte dann reif, sind sie ein großer Genuss. Denn jetzt sind sie nicht nur schön anzusehen, sondern sie zu essen ist nun ebenso herrlich. Doch, und das ist unvermeidlich, mit der Zeit wird jede Frucht alt, zu alt, sie wird klein und schrumplig und - ja und so weiter, du kennst ja zu altes Obst. Auf jeden Fall gibt es eine Möglichkeit den Früchten dieses Schicksal zu ersparen. Man macht sie zu etwas ganz besonders Himmlischen, zu granierten Früchten. Ihre Schönheit bleibt erhalten. Beim ersten Bissen einer solchen Frucht, will man nur noch in Zucker gelegtes Obst essen und von Frischem gar nichts mehr hören. Doch irgendwann klebt der Zucker zwischen den Zähnen und man bekommt Bauchschmerzen. Man sehnt sich nur noch nach einem: Einem guten, frischen, gerade richtig gereiftem Stück Obst. Leider ist das so. Leider für die arme Camille. Sie trägt ihren Zuckermantel, doch die Enttäuschungen nehmen ihm die Würde.“


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