Vortrag Theaterstück Der goldene Drache


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Der Autor "Roland Schimmelpfennig ist der führende deutsche Dramatiker." (Frankfurter Rundschau)
Der Theaterautor, Regisseur und Dramaturg Roland Schimmelpfennig wurde am 19. 9. 1967 in Göttingen geboren. Nach dem Schulabschluss war er als Journalist und Autor tätig. An der Otto-Falckenberg-Schule in München machte er eine Ausbildung zum Regisseur und anschließend arbietete er zuerst als Regieassistent an den Kammerspielen in München und war anschließend im selbigen Haus als Mitglied der künstlerischen Leitung tätig. Andere Spielstätten an denen Schimmelpfennig als Dramaturg und Autor arbeitete sind beispielsweise das Burgtheater in Wien, das Schauspielhaus Bochum und die Schaubühne und die Volksbühne in Berlin. An der Universität des Saarlands war er für kurze Zeit als Dozent tätig.
Er erhielt für seine Inszenierungen und Stücke, die er verfasst hat, die in über 40 Ländern aufgeführt werden, wie auch für die vielen Hörspiele, ein Großzahl an Preisen, wie zum Beispiel dem Dramatikerpreis der Mühlheimer Theatertage, dem Else Lasker-Schülerpreis und dem Nestroy Preis der Stadt Wien.
Er ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Seinen Stücken liegt immer ein literarisches Werk zugrunde, weswegen man diese zur literarischen Dramatik zählt. Das Heraustreten eine handelnden Figur aus dem dargestellten Szenarium, um an das Publikum gewendet, über sich zu sprechen, dem sich moderne Dramaturgen öfter zur emotionalen Distanzierung des Zuschauers von der Handlung bedienen, findet sich in Schimmelpfennigs Stücken. Weitere Besonderheiten Schimmelpfennigs Theater sind die fehlende Zuweisung von Rollen und Schauspielern, die collageartige Strukturierung und das Arbeiten mit dem Phantastischen und Surrealen.
Der goldene Drache
Uraufführung 5.09.2009, Burgtheater Wien (Akademietheater)
Kurze Episoden handeln von den dunklen Seiten unserer globalisierten Welt, von Ausbeutung, Gier, Illegalität, Eifersucht und Trennung, Greisenschmerz, Geilheit und Brutalität – davon, wie auf Engste miteinander verbunden sind, auch wenn uns das Schicksal eines asiatischen Küchenhelfers nichts anzugehen scheint, bis ein Zahn in unserer Suppe landet. Die Erwähnung der Struktur des Stückes durch Verflechtung dieser Einzelepisoden ist wichtig zum Verständnis der Handlung. Die Szenen wirken zuerst unabhängig voneinander mit der einzigen Gemeinsamkeit, dass sie am selben Abend spielen, doch der Autor erklärt, dass Jeder mit jedem im Stück zusammenhängt. Alle Schicksale von Personen, die im Stück vorkommen, sind entweder mit dem Restaurant, dem benachbarten Lebensmittelgeschäft, oder mit einer Wohnung im Haus, in dem die beiden sich befinden verbunden. Die Figuren, die auf mehreren Etagen des Gebäudes ihre persönlichen Tragödien durchleben, sind durch Familien- und Geschäftsverhältnisse miteinander verbunden. Alle sind Kunden des Restaurants und des Lebensmittelgeschäfts und alle Männer sind Kunden der jungen Asiatin/der Grille. Der Asiate mit Zahnschmerzen und die junge Asiatin sind Geschwister und zugleich Nichte und Neffe eines der Asiaten, die im Restaurant arbeiten; der alte Mann ist Großvater der jungen schwangeren Frau; die Stewardess ist Freundin der Frau in dem Kleid; die Frau in dem Kleid und der Mann mit dem gestreiften Hemd sind ein Ehepaar. Sie alle sind sie unzufrieden und wollen, dass es wieder wird wie früher.
Die zentralen Erzählstränge, die Fabel und die Geschichte des Zahnes, werden immer wieder von den anderen gekreuzt. Der kranke Zahn hat in gewisser Weise die Rolle eines Bindungsgliedes der verschiedenen Situationen.
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Phantastische Elemente
Sprachliche Besonderheiten
Zwei Stewardessen gehen in ihrem Stammlokal einem irgendwo in Europa liegenden Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant namens „Der goldene Drache“ (Das Zentrum, in dem sich alle Handlungsstränge überschneiden), essen. Eine Stewardess bestellt, die Nummer 6 eine Thai-Suppe. Dort, auf dem Boden der Schüssel, liegt ein blutiger Zahn, der zuvor unabsichtlich um Wok gelandet war. Als sie ihn leider etwas spät, nämlich als er bereits in ihrem Mund ist, entdeckt rauscht sie angewidert aus dem Lokal, den Zahn unabsichtlich in ihrer Tasche. Sie wird ihn schlussendlich in den Fluss werfen. Die Geschichte zum Zahn in der Suppe ist der Kern aller Handlungsstränge. In der Küche arbeiten fünf Asiaten. Einer von ihnen kam nach Europa, um hier seine Schwester zu suchen, und arbeitet illegal im goldenen Drachen. Der Zahn ist der dieses jungen Asiaten genannt „Der Kleine“, dem er kurz zuvor mit der Rohrzange aus dem Mund gezogen wurde. Der Zahn wird zwar aus dem Wok gefischt, doch kurze Zeit später fällt er erneut ins Gericht. Zum Zahnarzt kann der Junge nicht, da er keine Papiere besitzt, so muss der verfaulte Zahn von seinen Kollegen in der Küche des Asia-Imbiss entfernt werden. Der Kleine verblutet und man wickelt ihn in einen großen Drachenteppich und wirft ihn in den Fluss. Von dort schwimmt er nach Hause, nach China, tot und ohne die Schwester, die zu finden das Ziel seiner Reise war. Mindestens genauso schlimm ergeht es seiner Schwester, sie wird zur Prostitution gezwungen, und wird schwer verletzt, als sie von einem Mann misshandelt wird, der ihr betrunken begegnet, als sie ihr Zimmer verlässt. Gleiche leidvolle Situation durchlebt eine Grille, die von einer Ameise ebenfalls zur Prostitution gezwungen wird. Sie muss der Ameise folgen, da sie für den Winter keine Vorräte gesammelt hat. So wird sie den ganzen dunklen Winter von den anderen Ameisen missbraucht, ohne zu merken, dass längst Frühling ist. An demselben Abend zerbricht ein paar Etagen höher eine Ehe (und der verlassene Mann trinkt mit dem Lebensmittelhändler von gegenüber.) Eine Enkelin, die ihren Großvater besucht hat, zerstreitet sich mit ihrem Freund. Zuvor sagt das junge Mädchen seinem Großvater, dass es schwanger ist. (und der verlassene Mann trinkt mit dem Lebensmittelhändler von gegenüber.)
Das Märchenhafte Element – Die Fabel
Die Szene der Grille und der Ameise unterscheidet dramaturgisch ist von den anderen. Es entsteht ein anderes Genre, andere Erzählweise, das Stück wird zu einem Parabelstück. "Die Grille und die Ameise" ist eine Fabel von Äsop und Jean de la Fontaine. Bei La Fontaine wird die Grille jedoch nicht zur Prostituierten – Schimmelpfennigs Version ist härter. So erinnert sie an den Film Dogville in dem eine Frau zur sexuellen Sklavin eines Dorfes wird – als Belohnung dafür, dass sie sich im Dorf vor ihren Verfolgern verbergen kann. Wie Schimmelpfennigs Grille ist sie schön und von allen Männern begehrt – und kann nichts, sie hat ja nie gearbeitet. Er verschärfte die moralische Tonart ins Zeitgenössische: Die Ameise schwingt sich zum Zuhälter der Grille auf. So geht er auf das Thema sexuelle und ökonomische Ausbeutung auf originelle Weise ein. Er verbindet das aktuelle Thema mit Fantastischem und Surrealen. Es ist eine Parabel. Die Welt der Globalisierung hat hier in einer Nussschale Platz. Die Verbindung zum realen ist klar ersichtlich: Wenn man die Grille durch die junge Asiatin ersetzt, wird es klar, dass man eigentlich dem Foltern der beiden asiatischen Geschwister gleichzeitig zusieht. Tiere freilich auch nicht, wie ein Insektenschicksal zeigt.
Kennzeichnend für Schimmelpfennigs Werke ist der Einbruch des Phantastischen in das Gewöhnliche. In diesem Fall erscheint in der Zahnlücke im Mund des jungen Asiaten seine ganze Familie, die er in China ließ und nicht oft anruft. Es fängt in der 29. Szene als eine Art Cliffhanger und entwickelt sich voll in der 32. Szene. Die Szene schließt mit einem „Lebewohl“ und bleibt so ganz in sich geschlossen. Erst hier kommt die Verbindung des jungen Asiaten mit der zur Prostitution gezwungenen Asiatin zutage, die in der ersten Szene nur kurz angedeutet wurde. Es ist für den Autor typisch, dass er eine alltägliche Situation (hier das Ziehen des Zahns) plötzlich zu einer phantastischen werden lässt.
Bestellungen als rhythmisches Motiv
Die 14 Bestellungen, die immer wieder wie knappe Kommandos, manche von ihnen auch mehrmals, durch das China Restaurant schallen. In dem Stück haben sie eine besondere rythmisch sprachliche Position und werden durch den monotonen Klang zur Wortmusik. Sie vermitteln auch die Atmosphäre des asiatischen Restaurants. Am häufigsten wird die Thai-Suppe in der der Zahn des Chinesen ist.
Alle Szenen sind monologisch, es gibt keine Dialoge, manchmal sind die Monologe unter mehrere Figuren geteilt. Die Erzählhaltung von Stück wie Inszenierung wirkt recht brechtisch, Die Darsteller adressieren mehr das Publikum als dass sie miteinander spielen. Alles wird erzählt und beschrieben. Es gibt keine Regieanweisungen, die Personen führen in die Zeit und Ort ein, erzählen, was geschieht. Sogar "Pausen" sind als Sprechtext den Figuren zugeordnet. Die Aussagen der Figuren werden in der indirekten Rede widergeben. Alles wird im Präsens erzählt, mit der Ausnahme der Fabel über die Ameise und die Grille, die wie ein Märchen – im Präteritum – erzählt wird. Die Sprache ist einfach.
Aufbau
Der Text besteht aus 48 kurzen Szenen, die nach filmischen Montageregeln zusammengestellt werden. Einzelne Handlungsstränge werden kompliziert verflochten. Man kann von einer „Zopfdramaturgie“ sprechen, die sonst eher für die Handlungsstränge einer Seifenoper verwendet wird.
Alle Geschichten können nach dem Schema von fünf Phasen der dramatischen Handlung geteilt werden. Der Höhepunkt der Krise in allen einzelnen Geschichten kommt in dem Moment, in dem die Ereignisse in einer Art Zeitluppe hervorgehoben werden. In diesen Augenblicken scheint es, als ob die Zeit still stehen würde. Die Beschreibung dieser erinnert an Slow-Motions-Tricks in Filmen. Der Zahn Flug, als dieser gezogen wird, beispielsweise ist Inhalt der Szenen 20 und 22, dazwischen fügt der Autor noch eine Szene, in der es zum emotionellen Höhepunkt einer anderen Begebenheit kommt. Das Wort „fliegt“ wird siebzehnmal wiederholt, das Moment mehrmals von verschiedenen Blickwinkeln wiederholt. Auch andere Handlungsstränge geraten auf eine ähnliche Weise zur Klimax.
Stil
Der Autor arbeitet, wie schon beim Aufbau erwähnt, mit Mitteln der Film- und Fernsehdramaturgie arbeitet (Schnitt, Montage u. ä.)
Roland Schimmelpfennig betrachtet die Beziehungen zwischen den handelnden Personen aus den verschiedensten Perspektiven.
Schimmelpfennig schafft eine Vermeidung der zu intensiven emotionalen Wirkung des Stückes auf das Publikum, auch wenn es dem Autor nicht um Distanz, sondern um Nähe geht, indem er seine Dramaturgie episch herunterkühlt, märchenähnliche Elemente in Form einer Tierfabel, die der Realität sehr nahe kommt, einbaut und die einzelnen Szenarien, die parallel zueinander ablaufen und deren Zusammengehörigkeit erst am Ende des Stückes zu erkennen ist, in einzelne kurze Episoden teilt. Trotz der dadurch entstehenden Abstraktion der ursprünglichen Handlung bleibt die Prägnanz der extrem kritische Grundhaltung des Stückes erhalten.
Das Stück erinnert eher an eine epische Erzählung als einer dramatischen Handlung. Der Autor wendet die Short-Cut-Dramaturgie an und „zerstückelt“ die Einzelhandlungsstränge in kleine Sequenzen. Oft kommt es zur Durchdringung – die letzte Replik einer kurzen Sequenz, die in einem spannenden Moment unterbrochen wird, wird zur ersten Replik der nächsten (Cliffhanger), obwohl sie in unterschiedlichen Kontexten, in unterschiedlichen Zeitebenen stattfinden. Diese Unterbrechung an einer markanten Stelle wird oft im Fernsehen benützt, um den Zuschauer zum Weiterschauen zu verführen. Schimmelpfennig schafft dadurch auch das die Einzelschicksale in den Hintergrund und die große Thematik der gesamten Verflechtung (Zopfdramturgie) in den Vordergrund gerückt wird.
Schimmelpfennig deutet viel nur an und geht nicht konkret auf die eigentlich Thematik ein.
Ort und Zeit
Die meisten Szenen spielen im Restaurant Der goldene Drache und in der Küche von diesem. In die Wohnungen des Hauses sowie in den Lebensmittelladen werden jeweils zwei oder drei Szenen platziert. Zwei Szenen spielen draußen, eine in der Handtasche der Flugbegleiterin, eine in der Zahnlücke des jungen Asiaten. Bei zehn Szenen, auf die die Fabel aufgeteilt wird, wird der Ort der Handlung nicht angegeben. In zwei Szenen überschneidet sich die zeit- und örtlich unbestimmte Handlung der Fabel mit dem Geschehen in der Wohnung des Lebensmittelhändlers Hans (das Misshandeln der Grille/der jungen Asiatin vom Mann mit dem gestreiften Hemd). Es wird von Episoden ergänzt, die vor diesem Abend stattfanden. Die Katastrophe kommt in dem Moment, in dem die Personen aus den beklemmend engen Räumen (Küche, Wohnung, Zimmer, in dem die junge Asiatin/die Grille im Ameisenhaufen/in der Wohnung des Lebensmittelhändlers Hans wohnt) rausgehen: Der junge Asiate wird von allen seinen Kollegen zum Fluss getragen, Inge geht spazieren, um den Zahn loszuwerden, die Grille/die junge Asiatin entscheidet sich, ihr Zimmer zu verlassen, um nachzusehen, ob es draußen schon Sommer gibt.
Handelnde Personen
Mehrere Personen werden von einem Schauspieler dargestellt. Diese Verfremdungseffekte erinnern an Brechts Lehrstücke.
Obwohl im Stück 17 Figuren vorkommen, ist es für fünf Schauspieler bestimmt. Jeder Schauspieler soll drei bis vier Figuren darstellen. Die Schauspielertypen und die Figuren, die sie darstellen, stehen im direkten Kontrast zueinander, was Alter (und häufig auch Geschlecht) betrifft. Die dramaturgische Erklärung ist im Stück enthalten: In der 43. Szene erzählt DER MANN ÜBER SECHZIG über die Begegnung der Flugbegleiterin Eva mit ihrem alten Liebhaber. DER MANN ÜBER SECHZIG sagt, was Eva denkt:„ Wenn ich etwas anderes sein könnte, als ich bin. Wenn ich etwas ganz anderes sein könnte, als ich sein muss. Ein anderer Mensch. Wenn ich nicht mehr die Flugbegleiterin und die Geliebte des Barbiefuckers wäre. Und wenn der Barbiefucker nicht mehr der Barbiefucker wäre. Wenn wir mal tauschen könnten, dann bin ich der attraktiv gebliebene Pilot, […] und er – er ist die hübsche Flugbegleiterin […]“. Jede der Figuren will jemand anderes sein, als sie ist, und alle wollen, dass alles wieder so ist, wie es einmal war: Der Großvater will wieder jung sein, das junge Mädchen will nicht schwanger sein und wieder die herrliche Zeit mit ihrem Freund haben usw. Die Pointen von vielen Szenen werden im Konjunktiv ausgesprochen: „Ich wünschte mir, sie hätte ihn nie kennengelernt“.
Themen
Rechtlosigkeit illegaler Einwanderer, die nicht zum Arzt gehen können
nicht zur Polizei, wenn sie zur Prostitution gezwungen werden oder gar von einem Freier misshandelt und zu Tode geliebt
Parallelwelt der Migranten, die sich, in die Katakomben des Wohlstands verbannt, um unseren Unterleib kümmern, als Küchenkulis oder als Sexsklavinnen
Im Stück kommen viele Themen vor. Das Hauptthema scheint der irreale Wunsch nach einer anderen Existenz zu sein, was auch die gewählte Form, in der die Figuren von kontrastiven Schauspielertypen dargestellt werden, bestätigt. Die aktuellen sind Problematik der „Menschen mit Migrationshintergrund“ (AsiatInnen, die illegal in den europäischen Großstädten minderwertige Arbeit leisten, oder als Prostituierte Geld verdienen), mit asiatischen Restaurants verbundene Stereotype, z. B. hinsichtlich der Hygiene, Verhältnis zwischen der ersten und der dritten Welt – die Ausbeutung der dritten Welt durch die erste – das wird in der Beziehung der Männer aus der europäischen Hauptstadt (der Ameisen) zur jungen Asiatin (der Grille) deutlich. Als zeitlose Problematiken lassen sich die Unzufriedenheit mit dem Schicksal, Unfähigkeit, sich mit der Situation abzufinden (mit dem Alter, mit dem ungeplanten Kind…), verdrängte Aggressionen und Sehnsüchte (alle Männer kommen in die Konfrontation mit der Grille, die sie alle begehren, und lassen an ihr ihre Wut aus) und der Wunsch, jemand anderer zu sein, bezeichnen.
Interpretationsmöglichkeiten
Der Autor arbeitet mit verschiedenen (orientalischen) Symbolen, die Raum für Interpretationen öffnen. Der goldene Drache ist nicht nur ein gewöhnlicher Name für ein asiatisches Restaurant, sondern auch ein Symbol für die asiatische Kultur als Ganzes. Es assoziiert eine Tradition, die bis zu den Anfängen des Christentums reicht. „Mit seinem Gold lockt der Drache Beute an, die das mythologische Untier prompt verschlingt“ [vgl. Fischer, 2010], schreibt Ulrich Fischer. Die asiatischen Drachen werden mit Wasser und Wind verbunden. Es kann also symbolisch verstanden werden, wenn der tote Asiate in einen Teppich mit der Abbildung des goldenen Drachen gewickelt wird und der Drache ihn dann durch die Flüsse und Ozeane nach China trägt – nach Hause, in den Geburtsort einer alten Kultur, die von der westlichen Zivilisation nicht verstanden oder sogar unterdrückt wird.
Der Autor:„Man kann sich ja über das Leben der Illegalen viel Wissen aneignen, die Informationen sind verfügbar, recherchierbar, aber was nützt mir das, wenn ich trotzdem keine wirkliche Verbindung dazu herstelle. Im Fall des Stücks entsteht die Verbindung im Grunde erst durch den fremden Zahn im eigenen Mund“.
Der Fund eines Zahns ist eine ironische Anspielung an den Fund eines Schatzes in einem Märchen, wie auch im Stück gesagt wird, während Inga ihren Löffel mit dem Zahn betrachtet: „Andere Leute finden im Bauch eines Fisches einen goldenen Ring. Andere Leute finden Diamanten im hohen Gras“.
Der Autor
"Roland Schimmelpfennig ist der führende deutsche Dramatiker." (Frankfurter Rundschau)
Der Theaterautor, Regisseur und Dramaturg Roland Schimmelpfennig wurde am 19. 9. 1967 in Göttingen geboren. Nach dem Schulabschluss war er als Journalist und Autor tätig. An der Otto-Falckenberg-Schule in München machte er eine Ausbildung zum Regisseur und anschließend arbietete er zuerst als Regieassistent an den Kammerspielen in München und war anschließend im selbigen Haus als Mitglied der künstlerischen Leitung tätig. Andere Spielstätten an denen Schimmelpfennig als Dramaturg und Autor arbeitete sind beispielsweise das Burgtheater in Wien, das Schauspielhaus Bochum und die Schaubühne und die Volksbühne in Berlin. An der Universität des Saarlands war er für kurze Zeit als Dozent tätig.
Er erhielt für seine Inszenierungen und Stücke, die er verfasst hat, die in über 40 Ländern aufgeführt werden, wie auch für die vielen Hörspiele, ein Großzahl an Preisen, wie zum Beispiel dem Dramatikerpreis der Mühlheimer Theatertage, dem Else Lasker-Schülerpreis und dem Nestroy Preis der Stadt Wien.
Er ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Seinen Stücken liegt immer ein literarisches Werk zugrunde, weswegen man diese zur literarischen Dramatik zählt. Das Heraustreten eine handelnden Figur aus dem dargestellten Szenarium, um an das Publikum gewendet, über sich zu sprechen, dem sich moderne Dramaturgen öfter zur emotionalen Distanzierung des Zuschauers von der Handlung bedienen, findet sich in Schimmelpfennigs Stücken. Weitere Besonderheiten Schimmelpfennigs Theater sind die fehlende Zuweisung von Rollen und Schauspielern, die collageartige Strukturierung und das Arbeiten mit dem Phantastischen und Surrealen.
Der goldene Drache
Uraufführung 5.09.2009, Burgtheater Wien (Akademietheater)
Kurze Episoden handeln von den dunklen Seiten unserer globalisierten Welt, von Ausbeutung, Gier, Illegalität, Eifersucht und Trennung, Greisenschmerz, Geilheit und Brutalität – davon, wie auf Engste miteinander verbunden sind, auch wenn uns das Schicksal eines asiatischen Küchenhelfers nichts anzugehen scheint, bis ein Zahn in unserer Suppe landet. Die Erwähnung der Struktur des Stückes durch Verflechtung dieser Einzelepisoden ist wichtig zum Verständnis der Handlung. Die Szenen wirken zuerst unabhängig voneinander mit der einzigen Gemeinsamkeit, dass sie am selben Abend spielen, doch der Autor erklärt, dass Jeder mit jedem im Stück zusammenhängt. Alle Schicksale von Personen, die im Stück vorkommen, sind entweder mit dem Restaurant, dem benachbarten Lebensmittelgeschäft, oder mit einer Wohnung im Haus, in dem die beiden sich befinden verbunden. Die Figuren, die auf mehreren Etagen des Gebäudes ihre persönlichen Tragödien durchleben, sind durch Familien- und Geschäftsverhältnisse  miteinander verbunden. Alle sind Kunden des Restaurants und des Lebensmittelgeschäfts und alle Männer sind Kunden der jungen Asiatin/der Grille. Der Asiate mit Zahnschmerzen und die junge Asiatin sind Geschwister und zugleich Nichte und Neffe eines der Asiaten, die im Restaurant arbeiten; der alte Mann ist Großvater der jungen schwangeren Frau; die Stewardess ist Freundin der Frau in dem Kleid; die Frau in dem Kleid und der Mann mit dem gestreiften Hemd sind ein Ehepaar. Sie alle sind sie unzufrieden und wollen, dass es wieder wird wie früher.
Die zentralen Erzählstränge, die Fabel und die Geschichte des Zahnes, werden immer wieder von den anderen gekreuzt. Der kranke Zahn hat in gewisser Weise die Rolle eines Bindungsgliedes der verschiedenen Situationen.
1.        Zwei Stewardessen gehen in ihrem Stammlokal einem irgendwo in Europa liegenden Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant namens „Der goldene Drache“ (Das Zentrum, in dem sich alle Handlungsstränge überschneiden), essen. Eine Stewardess bestellt, die Nummer 6 eine Thai-Suppe. Dort, auf dem Boden der Schüssel, liegt ein blutiger Zahn, der zuvor unabsichtlich um Wok gelandet war. Als sie ihn leider etwas spät, nämlich als er bereits in ihrem Mund ist, entdeckt rauscht sie angewidert aus dem Lokal, den Zahn unabsichtlich in ihrer Tasche. Sie wird ihn schlussendlich in den Fluss werfen.
2.        Die Geschichte zum Zahn in der Suppe ist der Kern aller Handlungsstränge. In der Küche arbeiten fünf Asiaten. Einer von ihnen kam nach Europa, um hier seine Schwester zu suchen, und arbeitet illegal im goldenen Drachen. Der Zahn ist der dieses jungen Asiaten genannt „Der Kleine“, dem er kurz zuvor mit der Rohrzange aus dem Mund gezogen wurde. Der Zahn wird zwar aus dem Wok gefischt, doch kurze Zeit später fällt er erneut ins Gericht. Zum Zahnarzt kann der Junge nicht, da er keine Papiere besitzt, so muss der verfaulte Zahn von seinen Kollegen in der Küche des Asia-Imbiss entfernt werden. Der Kleine verblutet und man wickelt ihn in einen großen Drachenteppich und wirft ihn in den Fluss. Von dort schwimmt er nach Hause, nach China, tot und  ohne die Schwester, die zu finden das Ziel seiner Reise war.
3.        Mindestens genauso schlimm ergeht es seiner Schwester, sie wird zur Prostitution gezwungen, und wird schwer verletzt, als sie von einem Mann misshandelt wird, der ihr betrunken begegnet, als sie ihr Zimmer verlässt.
4.        Gleiche leidvolle Situation durchlebt eine Grille, die von einer Ameise ebenfalls zur Prostitution gezwungen wird. Sie muss der Ameise folgen, da sie für den Winter keine Vorräte gesammelt hat. So wird sie den ganzen dunklen Winter von den anderen Ameisen missbraucht, ohne zu merken, dass längst Frühling ist.
5.        An demselben Abend zerbricht ein paar Etagen höher eine Ehe (und der verlassene Mann trinkt mit dem Lebensmittelhändler von gegenüber.)
6.        Eine Enkelin, die ihren Großvater besucht hat, zerstreitet sich mit ihrem Freund. Zuvor sagt das junge Mädchen seinem Großvater, dass es schwanger ist. (und der verlassene Mann trinkt mit dem Lebensmittelhändler von gegenüber.)
Das Märchenhafte Element – Die Fabel
Die Szene der Grille und der Ameise unterscheidet dramaturgisch ist von den anderen. Es entsteht ein anderes Genre, andere Erzählweise, das Stück wird zu einem Parabelstück. "Die Grille und die Ameise" ist eine Fabel von Äsop und Jean de la Fontaine. Bei La Fontaine wird die Grille jedoch nicht zur Prostituierten – Schimmelpfennigs Version ist härter. So erinnert sie an den Film Dogville in dem eine Frau zur sexuellen Sklavin eines Dorfes wird – als Belohnung dafür, dass sie sich im Dorf vor ihren Verfolgern verbergen kann. Wie Schimmelpfennigs Grille ist sie schön und von allen Männern begehrt – und kann nichts, sie hat ja nie gearbeitet. Er verschärfte die moralische Tonart ins Zeitgenössische: Die Ameise schwingt sich zum Zuhälter der Grille auf. So geht er auf das Thema sexuelle und ökonomische Ausbeutung auf originelle Weise ein.  Er verbindet das aktuelle Thema mit Fantastischem und Surrealen.  Es ist eine Parabel. Die Welt der Globalisierung hat hier in einer Nussschale Platz. Die Verbindung zum realen ist klar ersichtlich: Wenn man die Grille durch die junge Asiatin ersetzt, wird es klar, dass man eigentlich dem Foltern der beiden asiatischen Geschwister gleichzeitig zusieht. Tiere freilich auch nicht, wie ein Insektenschicksal zeigt.
Phantastische Elemente
Kennzeichnend für Schimmelpfennigs Werke ist der Einbruch des Phantastischen in das Gewöhnliche. In diesem Fall erscheint in der Zahnlücke im Mund des jungen Asiaten seine ganze Familie, die er in China ließ und nicht oft anruft. Es fängt in der 29. Szene als eine Art Cliffhanger und entwickelt sich voll in der 32. Szene. Die Szene schließt mit einem „Lebewohl“ und bleibt so ganz in sich geschlossen. Erst hier kommt die Verbindung des jungen Asiaten mit der zur Prostitution gezwungenen Asiatin zutage, die in der ersten Szene nur kurz angedeutet wurde. Es ist für den Autor typisch, dass er eine alltägliche Situation (hier das Ziehen des Zahns) plötzlich zu einer phantastischen werden lässt.
Sprachliche Besonderheiten
Bestellungen als rhythmisches Motiv
Die 14 Bestellungen, die immer wieder wie knappe Kommandos, manche von ihnen auch mehrmals, durch das China Restaurant schallen. In dem Stück haben sie  eine besondere rythmisch sprachliche Position und werden durch den monotonen Klang zur Wortmusik. Sie vermitteln auch  die Atmosphäre des asiatischen Restaurants. Am häufigsten wird die Thai-Suppe in der der Zahn des Chinesen ist.
Alle Szenen sind monologisch, es gibt keine Dialoge, manchmal sind die Monologe unter mehrere Figuren geteilt. Die Erzählhaltung von Stück wie Inszenierung wirkt recht brechtisch, Die Darsteller adressieren mehr das Publikum als dass sie miteinander spielen. Alles wird erzählt und beschrieben. Es gibt keine Regieanweisungen, die Personen führen in die Zeit und Ort ein, erzählen, was geschieht. Sogar "Pausen" sind als Sprechtext den Figuren zugeordnet. Die Aussagen der Figuren werden in der indirekten Rede widergeben. Alles wird im Präsens erzählt, mit der Ausnahme der Fabel über die Ameise und die Grille, die wie ein Märchen – im Präteritum – erzählt wird. Die Sprache ist einfach.
Aufbau
Der Text besteht aus 48 kurzen Szenen, die nach filmischen Montageregeln zusammengestellt werden. Einzelne Handlungsstränge werden kompliziert verflochten. Man kann von einer „Zopfdramaturgie“ sprechen, die sonst eher für die Handlungsstränge einer Seifenoper verwendet wird.
Alle Geschichten können nach dem Schema von fünf Phasen der dramatischen Handlung geteilt werden. Der Höhepunkt der Krise in allen einzelnen Geschichten kommt in dem Moment, in dem die Ereignisse in einer Art Zeitluppe hervorgehoben werden. In diesen Augenblicken scheint es, als ob die Zeit still stehen würde. Die Beschreibung dieser erinnert an Slow-Motions-Tricks in Filmen. Der Zahn Flug, als dieser gezogen wird, beispielsweise ist Inhalt der Szenen  20 und 22, dazwischen fügt der Autor noch eine Szene, in der es zum emotionellen Höhepunkt einer anderen Begebenheit kommt. Das Wort „fliegt“ wird siebzehnmal wiederholt, das Moment mehrmals von verschiedenen Blickwinkeln wiederholt. Auch andere Handlungsstränge geraten auf eine ähnliche Weise zur Klimax.
Stil
Der Autor arbeitet, wie schon beim Aufbau erwähnt, mit Mitteln der Film- und Fernsehdramaturgie arbeitet (Schnitt, Montage u. ä.)
Roland Schimmelpfennig betrachtet die Beziehungen zwischen den handelnden Personen aus den verschiedensten Perspektiven.
 Schimmelpfennig schafft eine Vermeidung der zu intensiven emotionalen Wirkung des Stückes auf das Publikum, auch wenn es dem Autor nicht um Distanz, sondern um Nähe geht, indem er seine Dramaturgie episch herunterkühlt, märchenähnliche Elemente in Form einer Tierfabel, die der Realität sehr nahe kommt, einbaut und die einzelnen Szenarien, die parallel zueinander ablaufen und deren Zusammengehörigkeit erst am Ende des Stückes zu erkennen ist, in einzelne kurze Episoden teilt. Trotz der dadurch entstehenden Abstraktion der ursprünglichen Handlung bleibt die Prägnanz der extrem kritische Grundhaltung des Stückes erhalten.
Das Stück erinnert eher an eine epische Erzählung als einer dramatischen Handlung. Der Autor wendet die Short-Cut-Dramaturgie an und „zerstückelt“ die Einzelhandlungsstränge in kleine Sequenzen. Oft kommt es zur Durchdringung – die letzte Replik einer kurzen Sequenz, die in einem spannenden Moment unterbrochen wird, wird zur ersten Replik der nächsten (Cliffhanger), obwohl sie in unterschiedlichen Kontexten, in unterschiedlichen Zeitebenen stattfinden. Diese Unterbrechung an einer markanten Stelle wird oft im Fernsehen benützt, um den Zuschauer zum Weiterschauen zu verführen. Schimmelpfennig schafft dadurch auch das die Einzelschicksale in den Hintergrund und die große Thematik der gesamten Verflechtung (Zopfdramturgie) in den Vordergrund gerückt wird.
Schimmelpfennig deutet viel nur an und geht nicht konkret auf die eigentlich Thematik ein.
Ort und Zeit
Die meisten Szenen spielen im Restaurant Der goldene Drache  und in der Küche von diesem. In die Wohnungen des Hauses sowie in den Lebensmittelladen werden jeweils zwei oder drei Szenen platziert. Zwei Szenen spielen draußen, eine in der Handtasche der Flugbegleiterin, eine in der Zahnlücke des jungen Asiaten. Bei zehn Szenen, auf die die Fabel aufgeteilt wird, wird der Ort der Handlung nicht angegeben. In zwei Szenen überschneidet sich die zeit- und örtlich unbestimmte Handlung der Fabel mit dem Geschehen in der Wohnung des Lebensmittelhändlers Hans (das Misshandeln der Grille/der jungen Asiatin vom Mann mit dem gestreiften Hemd). Es wird von Episoden ergänzt, die vor diesem Abend stattfanden. Die Katastrophe kommt in dem Moment, in dem die Personen aus den beklemmend engen Räumen (Küche, Wohnung, Zimmer, in dem die junge Asiatin/die Grille im Ameisenhaufen/in der Wohnung des Lebensmittelhändlers Hans wohnt) rausgehen: Der junge Asiate wird von allen seinen Kollegen zum Fluss getragen, Inge geht spazieren, um den Zahn loszuwerden, die Grille/die junge Asiatin entscheidet sich, ihr Zimmer zu verlassen, um nachzusehen, ob es draußen schon Sommer gibt.
Handelnde Personen
Mehrere Personen werden von einem Schauspieler dargestellt. Diese Verfremdungseffekte erinnern an Brechts Lehrstücke.
Obwohl im Stück 17 Figuren vorkommen, ist es für fünf Schauspieler bestimmt. Jeder Schauspieler soll drei bis vier Figuren darstellen. Die Schauspielertypen und die Figuren, die sie darstellen, stehen im direkten Kontrast zueinander, was Alter (und häufig auch Geschlecht) betrifft. Die dramaturgische Erklärung ist im Stück enthalten: In der 43. Szene erzählt DER MANN ÜBER SECHZIG über die Begegnung der Flugbegleiterin Eva mit ihrem alten Liebhaber. DER MANN ÜBER SECHZIG sagt, was Eva denkt:„ Wenn ich etwas anderes sein könnte, als ich bin. Wenn ich etwas ganz anderes sein könnte, als ich sein muss. Ein anderer Mensch. Wenn ich nicht mehr die Flugbegleiterin und die Geliebte des Barbiefuckers wäre. Und wenn der Barbiefucker nicht mehr der Barbiefucker wäre. Wenn wir mal tauschen könnten, dann bin ich der attraktiv gebliebene Pilot, […] und er – er ist die hübsche Flugbegleiterin […]“. Jede der Figuren will jemand anderes sein, als sie ist, und alle wollen, dass alles wieder so ist, wie es einmal war: Der Großvater will wieder jung sein, das junge Mädchen will nicht schwanger sein und wieder die herrliche Zeit mit ihrem Freund haben usw. Die Pointen von vielen Szenen werden im Konjunktiv ausgesprochen: „Ich wünschte mir, sie hätte ihn nie kennengelernt“.
Themen
Rechtlosigkeit illegaler Einwanderer, die nicht zum Arzt gehen können
 nicht zur Polizei, wenn sie zur Prostitution gezwungen werden oder gar von einem Freier misshandelt und zu Tode geliebt
Parallelwelt der Migranten, die sich, in die Katakomben des Wohlstands verbannt, um unseren Unterleib kümmern, als Küchenkulis oder als Sexsklavinnen
Im Stück kommen viele Themen vor. Das Hauptthema scheint der irreale Wunsch nach einer anderen Existenz zu sein, was auch die gewählte Form, in der die Figuren von kontrastiven Schauspielertypen dargestellt werden, bestätigt. Die aktuellen sind Problematik der „Menschen mit Migrationshintergrund“ (AsiatInnen, die illegal in den europäischen Großstädten minderwertige Arbeit leisten, oder als Prostituierte Geld verdienen), mit asiatischen Restaurants verbundene Stereotype, z. B. hinsichtlich der Hygiene, Verhältnis zwischen der ersten und der dritten Welt – die Ausbeutung der dritten Welt durch die erste – das wird in der Beziehung der Männer aus der europäischen Hauptstadt (der Ameisen) zur jungen Asiatin (der Grille) deutlich. Als zeitlose Problematiken lassen sich die  Unzufriedenheit mit dem Schicksal, Unfähigkeit, sich mit der Situation abzufinden (mit dem Alter, mit dem ungeplanten Kind…), verdrängte Aggressionen und Sehnsüchte (alle Männer kommen in die Konfrontation mit der Grille, die sie alle begehren, und lassen an ihr ihre Wut aus) und der Wunsch, jemand anderer zu sein, bezeichnen.
Interpretationsmöglichkeiten
Der Autor arbeitet mit verschiedenen (orientalischen) Symbolen, die Raum für Interpretationen öffnen. Der goldene Drache ist nicht nur ein gewöhnlicher Name für ein asiatisches Restaurant, sondern auch ein Symbol für die asiatische Kultur als Ganzes. Es assoziiert eine Tradition, die bis zu den Anfängen des Christentums reicht. „Mit seinem Gold lockt der Drache Beute an, die das mythologische Untier prompt verschlingt“ [vgl. Fischer, 2010], schreibt Ulrich Fischer. Die asiatischen Drachen werden mit Wasser und Wind verbunden. Es kann also symbolisch verstanden werden, wenn der tote Asiate in einen Teppich mit der Abbildung des goldenen Drachen gewickelt wird und der Drache ihn dann durch die Flüsse und Ozeane nach China trägt – nach Hause, in den Geburtsort einer alten Kultur, die von der westlichen Zivilisation nicht verstanden oder sogar unterdrückt wird.
Der Autor:„Man kann sich ja über das Leben der Illegalen viel Wissen aneignen, die Informationen sind verfügbar, recherchierbar, aber was nützt mir das, wenn ich trotzdem keine wirkliche Verbindung dazu herstelle. Im Fall des Stücks entsteht die Verbindung im Grunde erst durch den fremden Zahn im eigenen Mund“.
Der Fund eines Zahns ist eine ironische Anspielung an den Fund eines Schatzes in einem Märchen, wie auch im Stück gesagt wird, während Inga ihren Löffel mit dem Zahn betrachtet: „Andere Leute finden im Bauch eines Fisches einen goldenen Ring. Andere Leute finden Diamanten im hohen Gras“.

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